Debatte über Jugendradios:Papa hört mit

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Viktor Worms, 58, moderierte die ZDF-Hitparade, war Programmdirektor bei Antenne Bayern und ZDF-Unterhaltungschef. Er ist Jurymitglied des Deutschen Radiopreises. (Foto: privat)

Bringt jungen Radioverrückten das Handwerk bei! Warum Sender nicht mit ihren Nutzern altern dürfen, wenn sie in der digitalen Welt bestehen wollen.

Gastbeitrag von Viktor Worms

Meine Tochter, die in einem Radiohaushalt aufgewachsen ist und schon als Zehnjährige neben Papa im Antenne-Bayern-Studio sogar mal einen Regler schieben durfte, würde gern Radio hören, aber sie findet keinen Sender. Manchmal hört sie in Gießen, wo sie studiert, übers Internet den Privatsender NRJ: "Gute Musik, bisschen dünn der Inhalt und zu krawallig", sagt sie. Ich: "Aber Marie, du bekommst doch in Gießen auch You FM, vom öffentlich-rechtlichen HR, oder 1 Live vom WDR?" Ihre Reaktion: "Papa, das ist Radio für dich, aber doch nicht für Jugendliche!" Stimmt, ich mag 1 Live.

Ich kenne diese renitenten Radioverweigerer also auch aus meiner Familie, von denen Jochen Rausch, der stellvertretende WDR-Hörfunkdirektor und 1-Live-Erfinder, kürzlich im SZ-Interview sprach. Tenor: Junge Leute hören immer weniger Radio. Spotify, Netflix, Youtube machen dem guten alten Hörfunk den Garaus. Recht hat der Kollege, und klar, wer Videos schaut oder seine Musikbibliothek bei Spotify konsumiert, der hört nicht zur gleichen Zeit Rauschs 1 Live.

Ich hingegen mag nicht nur 1 Live. Lebte ich in Hamburg, NJoy, die Jugendwelle des NDR, wäre mein Programm. Klasse gemacht, glänzend moderiert und oft echt lustig! Doch Papa Worms ist Endfünfziger - und genau darin liegt das Problem. "Wir versuchen natürlich, unsere Hörer zu behalten, wenn sie über 30 sind", sagte WDR-Hierarch Rausch in der taz vor einigen Wochen bezogen auf 1 Live. Und siehe da, das Durchschnittsalter der "Jugendwelle" des WDR liegt bei über 35 Jahren. Mathematisch betrachtet, hören dieses exzellent gemachte Programm genauso viele 20- wie 50-Jährige. Oder anders: Papa ist 40, Tochter oder Sohnemann sind 17, und beide hören ähnliche Musik, interessieren sich für dieselben Themen? Das war vor 30 Jahren nicht so, als meine Eltern ihren von Rock, Punk und Protestmusik beeinflussten Sohn kurz vor der Abhängigkeit von harten Drogen wähnten, und es ist heute nicht viel anders. Ich fände es furchtbar, wenn meine Kinder die gleichen Themen, die gleiche Musik und die gleichen Radiostars hätten wie ich. 1 Live, You FM und NJoy sind einst angetreten als Angebot an Jugendliche und haben sich zu etablierten Mainstream-Programmen für junge Mamas und Papas entwickelt, die sich bereits intensiv Gedanken über die Altersversorgung machen. Wären diese "Jugendprogramme" wirklich für unter 25 programmiert, würden sich die Öffentlich-Rechtlichen auch die Kritik ersparen, eigentlich seien 1Live und Co die Konkurrenz der kommerziellen Erwachsenensender.

Und die Jungen, die wirklich Jugendlichen? Ihnen bleiben ein paar private Angebote wie Big FM, Kiss FM oder Jam FM und öffentlich-rechtliche Leuchttürme wie Bremen Next, Puls vom Bayerischen Rundfunk oder Das Ding vom SWR. Respekt vor diesen wirklich jungen Programmen, Respekt vor den privaten Jugendradios, die allzu oft, weil abhängig von Werbung, am Existenzminimum und daher auch manchmal inhaltlich Fragwürdiges senden.

Darüber kann man sich erheben, wie es viele öffentlich-rechtliche Hierarchen gern tun, aber oft fehlt den jungen Privaten das Geld, wirklich fundiert auszubilden, und nicht selten sind es dann Volontäre, die Praktikanten zeigen, wie Radio geht, und dann wird die journalistische Decke halt schon mal dünn. Diese Ausrede gilt für die ARD nicht. Da ist die Frage eher, wann man die Jungen tatsächlich ranlässt, ob man ihnen wirklich zuhört und wissen will, wie sie ticken und wie sie kommunizieren. Ich habe drei von dieser jungen Sorte zu Hause und deren Ton ist - Gott sei Dank! - ein anderer als meiner.

"Wir versuchen natürlich, unsere Hörer zu behalten, wenn sie über 30 sind!" - so nachvollziehbar die Aussage des Kollegen Rausch einerseits ist, so gefährlich ist sie auch, bedeutet sie doch den Abschied vom Anspruch eines tatsächlich jungen Radios und die Kapitulation vor all den neuen Playern, die das Unterhaltungsbedürfnis unseres Nachwuchses stillen. Die Generation 30 plus ist mit WDR 2, WDR 4, NDR 2, SWR3 und allerlei privater Konkurrenz gut versorgt, den Intellektuellen unter den Hörern bieten zahlreiche Kultur-und Informationskanäle eine Radio-Heimat. Und die Kids? Sie irren durch die Radiolandschaft und landen bei Netflix und Spotify!

Kümmern müssen wir uns als Radiomacher also um diejenigen, die deutlich jünger sind als wir selbst. Auch wenn sie vielleicht meinen, aufs Radio verzichten zu können: Das Medium kann nicht auf sie verzichten, wenn es das Schreckgespenst vom Generationenabriss abwenden will. Dieser Abriss ist nicht gottgegeben, er ist von Verantwortlichen gemacht. Und die Voraussetzungen sind eigentlich gut für eine Radio-Renaissance. Denn es ist Radiozeit. Menschen, junge wie alte, suchen Halt, Vertrautheit in einer immer komplexeren Welt. Als Begleiter, als Orientierungshilfe könnte sich Radio unentbehrlich machen, aber natürlich auch als Medium für Zerstreuung und Albernheiten. Wir, die wir Radio machen, die wir Foren bieten könnten, haben es in der Hand. Insbesondere die Öffentlich-Rechtlichen sind geradezu in der Pflicht, jungen Menschen mit für ihre Bedürfnisse maßgeschneiderten Angeboten dieses tolle Medium nahezubringen. Dazu braucht es Mut, sprich: Direktoren, die auch mal einen breiten Rücken im Rundfunkrat machen ob der Sachen, die die Kids da so treiben - und die Genügsamkeit, dass Quote nicht alles ist.

Wer morgen noch hören soll, muss heute angesprochen werden; wer morgen senden soll, muss jetzt ausgebildet werden. Bringen wir jungen Radioverrückten das Handwerkszeug bei und lassen sie dann machen, jenseits der "größten Hits", des "besten Mixes" und der schwachsinnigen Regel "Du darfst über alles reden. Nur nicht über eine Minute!". Jugendradio kann nur so gut sein wie die Stimmen und Köpfe, die das Programm machen und prägen. Wer hier Geld reinsteckt, investiert in Gegenwart wie Zukunft des Mediums. Ständige Erneuerung ist die verlässlichste Verbündete für ein Jugendradio, das nicht an seiner Zielgruppe vorbeisendet.

Meine Tochter, die gern Radio hören würde, aber keinen Sender findet, hat mich schon mal gefragt, wieso sie Gebühren zahlen müsse für ein Angebot, das sie nicht nutzt. Zunächst bin ich zusammengezuckt, aus ihrer Warte aber ergibt das Sinn, wenn das jüngste Programm für Mittdreißiger gemacht wird. Jugendradio, das den Namen verdient, kann zwar, aber muss ausdrücklich keine Quote machen, sondern vor allem neugierig. In Abwandlung eines den Älteren noch bekannten Sprichwortes könnte man sagen: Lasst Hänschen Radio hören, sonst lernt's Hans nimmermehr!

© SZ vom 30.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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