"Aus der Spur":Eine Serie, die zuschnappt

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Die französische Serie "Aus der Spur" erzählt von zynischen Konzernen und einem Mittfünfziger, der alles zu verlieren droht. Éric Cantona beweist: Seine Karriere als Schauspieler ist ebenbürtig mit der als Fußballprofi.

Von Stefan Fischer

Wie ein Reptil häutet sich diese Serie im Verlauf ihrer sechs Folgen. Wird von einem Sozial- zu einem Familiendrama, dann zu einem Thriller, einem Gefängnisdrama, einem Justizthriller und schließlich zum Heist-Movie. Wie ein Reptil lauert Aus der Spur, um immer wieder zuzuschnappen. Die Beute: der Zuschauer, überrascht von jeder neuen Wendung, von den Wandlungen der Figuren, von der Härte genauso wie von der Zärtlichkeit der Serie.

Aus der Spur erzählt die Geschichte von Alain Delambre. Ein Mann Mitte fünfzig, der lange Personalreferent in einem mittelständischen Unternehmen war, seit sechs Jahren jedoch ohne feste Arbeit ist, und dem sich unverhofft eine bizarre Chance auftut. Die Serie basiert auf dem Roman Cadres noirs von Pierre Lemaitre, den Manuel Boursinhac bereits 2013 fürs Kino verfilmt hat. Lemaitre ist nun auch Drehbuchautor, zusammen mit Perrine Margaine, Regie führt Ziad Doueiri, sie setzen ein, als das Leben ihres Protagonisten erstmals endgültig zu kippen droht. Delambre ist inzwischen dermaßen deprimiert, launisch und grob, dass er seine Familie zu verlieren droht: seine Frau Nicole und die beiden erwachsenen Töchter. "Als ich begriffen habe, wie wütend ich bin, habe ich Angst bekommen", sagt Alain in einer der unzähligen Rückblenden - die allerdings nicht vom Ende der Serie her auf die Vorgänge schauen, sondern von einem Moment vor dem großen Finale.

Zu den Kontinuitäten, die Auf der Spur trotz der vielen Richtungswechsel über die sechs Folgen hinweg zusammenhalten, gehört ganz wesentlich, wie Alain und Nicole umeinander kämpfen, um ihre Liebe, trotz herber Enttäuschungen und tiefer Frustration. Éric Cantona und Suzanne Clément spielen dieses Paar. Spätestens mit dieser Rolle ist Cantonas Karriere als Schauspieler ebenbürtig mit der als Fußballprofi, in der er zwei französische und fünf englische Meisterschaften gewonnen hat.

Er spielt den verschlossenen, sturen und stolzen Delambre mit kargen Mitteln, ganz überwiegend eigentlich nur mit seinen tief liegenden Augen. Eine stille Präsenz, die sich immer wieder eruptiv entlädt, wenn die an sich kalte Wut doch hochkocht in Delambre - der sich ansonsten als kluger Stratege entpuppt. Suzanne Clément lässt sich davon nicht an die Wand spielen, sie emanzipiert ihre Rolle von dem starken Ego Alains.

Er wird zum Verbrecher, weil er seine Familie retten will

Der schlittert in ein Auswahlverfahren, in dem er als Personalrecruiter eine Als-ob-Geiselnahme von Führungskräften eines Konzerns steuern soll. In der Serie wird der Zynismus der französischen Industrie ausgestellt, in dieser Ungeheuerlichkeit kulminiert er. Im Original heißt sie Dérapages, Entgleisungen. Und zur Debatte steht, welche Entgleisung schlimmer ist: Die von Delambre, der zum Verbrecher wird, weil er anders keine Möglichkeit sieht, sich und seine Familie zu retten. Oder die der Konzerne, die den sozialen Pakt im Land aufgekündigt haben.

"Es gibt Augenblicke im Leben, da hängt alles von einem Spielzug ab", sagt Delambre. Er führt einige solcher Augenblicke herbei, nimmt das volle Risiko und dabei in Kauf, dass er seine Frau, seine Töchter immer wieder belügen muss. "Was wird da gerade aus dir?", fragt Nicole ihn einmal verzweifelt. Und ahnt die Antwort: ein Reptil.

Aus der Spur , verfügbar bei Netflix*

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© SZ vom 23.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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