ARD-Polittalk:Fähnchen zeigen

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Günther Jauch wollte am Sonntag über die Hetze sprechen, darüber, ob "der Hass gesellschaftsfähig" wird. Jetzt wird debattiert, wer Gast sein darf in so einer Sendung - und was der Moderator leisten muss.

Von Ulrike Nimz

Es gibt wirklich entspanntere Möglichkeiten, um den Sonntagabend ausklingen zu lassen, als eine von Günther Jauch moderierte Polit-Debatte. Vor allem, wenn das Motto "Pöbeln, hetzen, drohen - wird der Hass gesellschaftsfähig" lautet. Zur Erinnerung: CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer, Weltwoche-Chefredakteur Roger Köppel, Ex-Pegida-Frontfrau Kathrin Oertel - sie alle durften hier in der Vergangenheit schon ihre streitbaren Thesen zur Flüchtlings- und Einwanderungsdebatte präsentieren. Und jetzt sitzt da also Björn Höcke, 43, Fraktionschef der AfD in Thüringen, ehemaliger Oberstudienrat und Mitinitiator der "Erfurter Resolution": Ein Schriftstück, das im März dieses Jahres eine konservativere Ausrichtung der konservativen Partei forderte - wörtlich eine "Widerstandsbewegung gegen die weitere Aushöhlung der Souveränität und der Identität Deutschlands". Seitdem bereitet Höcke sogar dem rechten Flügel seiner Partei Unbehagen und der NPD den Tisch.

Sieben Minuten hält Höcke es aus, bis er sich zu einem Bekenntnis gezwungen sieht. Aus "tiefer Liebe zu seinem Land" sei er einst in die Politik gegangen. Wie der Zauberer auf einem Kreuzfahrtschiff zieht er ein Deutschlandfähnchen aus seinem Anzug und hängt es über die Lehne seines Sessels. Ganz wie Touristen ihr Badetuch über eine Sonnenliege werfen würden, um zu signalisieren: Hier beweg' ich mich erst mal nicht mehr weg. Hier werd' ich jetzt schön braun.

Muss man so einen als Gast holen? Man kann, aber dann muss man als Moderator gegenhalten, wenn Verschwörungstheorien gemurmelt werden (Gleichschaltung der ARD) und nachhaken, wenn es allzu larmoyant-patriotisch wird, wie im Einspieler ("Der Syrer, der zu uns kommt, hat immer noch Syrien. Wenn wir unser Deutschland verloren haben, dann haben wir keine Heimat mehr").

Als Heiko Maas, SPD, Björn Höcke einen "rhetorischen Brandstifter" nennt, entgegnet dieser, der Justizminister rede wie Erich Honecker in der Endphase der DDR. Höcke, der Geschichte studiert hat, beschwört gern den Zeitgeist der Wende, wenn er in Erfurt bei Demos redet. Nur dass er in den letzten Jahren der DDR eben nicht auf Erfurts Straßen unterwegs war, sondern in Westfalen und der Nähe von Koblenz, zeitweilig als Mitglied der Jungen Union. Es ist nicht die einzige Gelegenheit, die sich bietet, um dem so bissigen Redner Höcke was zum Kauen zu geben. Und nicht die einzige, die ungenutzt verstreicht. Nachdem ein Best of der Höcke'schen Verbalausfälle eingespielt worden ist, fällt Günther Jauch nichts Besseres ein als zu fragen: "Was meinen Sie damit?"

"Wünschenswert und notwendig": Jauch-Runde, von links: Björn Höcke, Heiko Maas, Günther Jauch, Anja Reschke, Klaus Bouillon. (Foto: I&U/das erste)

Es ist eine somnambule Art der Gesprächsführung, die Distanz zum Gegenüber, vielleicht auch Unverständnis für offen rechte Positionen ausdrücken soll, und doch nichts anderes zur Folge hat, als dass diese erneut dargelegt werden. Jauch wirkte streckenweise so, als sei er als Moderator vollkommen aus dem Spiel.

Widerlegt wird Höcke an diesem Sonntag nur von einem Gast: NDR-Journalistin Anja Reschke

Für den demokratischen Prozess sei es "wünschenswert und notwendig, dass in einer aktuellen Diskussion alle Seiten zu Wort kommen", erklärt die Redaktion die Entscheidung, Höcke aufs Podium zu setzen. Er sei durch den Moderator und die Gäste mit Fakten widerlegt worden. Nur: Widerlegt wird Höcke an diesem Sonntag eigentlich nur von einem Gast: Anja Reschke, der Innenpolitik-Chefin des Norddeutschen Rundfunks. Als der AfD-Mann sich besorgt um die Sicherheit deutscher Frauen zeigt, ist sie es, die nach der entsprechenden Statistik fragt. Sie ist es, die Höcke fragt, ob es zu seiner Idee von Deutschland gehöre, dass Flüchtlingsheime brennen. Die Hassbriefe, die sie nach ihrem Tagesthemen-Kommentar zur Flüchtlings-Hetze bekam, rezitiert sie so emotionslos als seien es Kochrezepte.

Reschke saß im Vorstand des Netzwerks Recherche, ist Reporterin und Moderatorin beim ARD-Polit-Magazin Panorama, das jüngst schon einmal über Höcke berichtete, ihn vor laufender Kamera in Bedrängnis brachte. Mit der Frage, ob er nicht auch Fälle kenne, in denen deutsche Männer deutsche Frauen belästigen. "Selbstverständlich" erwiderte ein ziemlich kleinlauter Höcke. Aber das müsse er ja nicht in jedem Kontext erwähnen. Eine Demaskierung ist ungleich wirkungsvoller, wenn sie der Maskierte vornimmt. Aber reicht es aus, in einer Talkshow allein auf Selbstentlarvung zu setzen?

An dieser Stelle offenbart sich das Dilemma von Jauchs Polit-Talk. Der Moderator, der Ende November zum letzten Mal im Gasometer sitzen wird, wirkt stets kritisch, ist aber in Wahrheit ein Mann der Konsenskultur. An der offenen Kontroverse ist er erneut gescheitert. Die Sendung ist fast gelaufen, als Höcke noch einmal auf die angebliche Gleichschaltung der Öffentlich-Rechtlichen zu sprechen kommt und Jauch vorwirft: "Sie haben sich selbst konditioniert." Statt die Behauptung zurückzuweisen, tut Jauch das Falsche. Er fragt einfach nur: "In welche Richtung?"

© SZ vom 20.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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