Jürgen von der Lippe ist jetzt auch "schon drin". Von der Lippe, das ist jener noch nicht 70 Jahre alte deutsche TV-Moderator, Musiker und Komiker, der es in fast 40 Jahren nicht geschafft hat, das nicht geschlossene Hawaii-Hemd (oder sollte man Zelt sagen?) über einem T-Shirt salonfähig zu machen. Das mit "Schon drin"-Sein sagte man übrigens früher, als Boris Becker die ersten Modems anwarf, um ins Internet zu gelangen. Der barock-analoge von der Lippe ist also jetzt auch da "drin" und unterhält dort mit Lippes Leselust einen Youtube-Channel, der sich der So-schön-ist-lustig-Literatur verschrieben hat.
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Als Agent des Buches war er schon mit der WDR-Schau Was liest du? bis 2010 auf Sendung. Dann wurde sie abgesetzt. Jetzt ist er ins Netz gegangen, um eine "Weiterentwicklung und ein neues Kapitel in literarischer Comedy" voranzutreiben und "aus dem Jugendheim Youtube ein Mehrgenerationenhaus zu machen". So sagte er es der Bild-Zeitung. Damit ihm das gelingt, müssen seine Mehrgenerationen allerdings eines gemeinsam haben: ein Faible für Flachwitze.
Mit Torsten Sträters Werk "Selbstbeherrschung umständehalber abzugeben", wird der Auftakt bestritten. Der Autor ist der Mann mit der Mütze, den der Gast-Comedian Jochen Malmsheimer, mit dem von der Lippe sein Youtube-Ding durchzieht, so vorstellt: "Die Mützen haben alle Namen und wohnen auch unterschiedlich. Aber ich weiß das nicht genau, ich trage keine Mützen, ich habe Haare." Dann wird abwechselnd aus dem Buch des Mützenmannes gelesen: "Da tanzte mit, da biste platt, weil Arafat kein Fahrrad hat", so werden hier die Achtzigerjahre besungen, die "alles versaut" haben. Der mit einer wirklich fantastischen Lesestimme gesegnete Malmsheimer zitiert aus Sträters Buch, dass damals "die medizinische Versorgung im Argen lag". Eine Darmspiegelung sei so durchgeführt worden, "dass man ein trainiertes Frettchen mit einer Polaroidkamera hinten reinschickte". Heul, ist das schön!
Es geht weiter mit Aphorismen von Dietmar Wischmeyer (von der Lippe: "Ein Mann, der das Florett handhabt wie einen Vorschlaghammer und umgekehrt") und Harald Martensteins ("Mein Lieblingsgesellschaftskommunist") Körperflüssigkeitenkolumnen. Braucht niemand, oder?
Es ist das Medium der Stunde. Allerdings ähnelt Blüm immer mehr Uwe Seeler
Doch so einfach ist das heute nicht mehr. Als Elke Heidenreich nach ihrem Rauswurf beim ZDF 2008 sehr laut eine Internet-Literaturshow aufmachte und ein Jahr später sehr leise wieder schloss, da waren Netz, Nutzer und die dortigen Videoplattformen noch nicht so weit. Heute, da Youtube auch ein Streamingdienst wie Netflix sein will und sein kann, mag sogar einem Norbert Blüm, der übrigens immer mehr dem alten Uwe Seeler ähnelt, mit seinen "Notizen zur Zeitgeschichte" ein gewisser Erfolg beschieden sein - oder auch nicht. Doch zeigt etwa der Reclam-Verlag mit der amüsanten Webshow "Weltliteratur to go", durch die der Dramaturg Michael Sommer führt, dass man auch mit schwerer Lesekost im Netz Erfolg haben kann, wenn man sie geschickt aufbereitet. Ob die auf Biegen und Brechen schauprustenden von der Lippe und Malmsheimer den richtigen Internet-Ton getroffen haben, ist zu bezweifeln. Im Medium der Stunde sind sie jedenfalls goldrichtig.