Remake von Netflix und BBC:Ernst des Hoppelns

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Die Zeichentrick-Fabel "Watership Down" hat Familien schockiert und den Blick aufs Genre verändert, das in Deutschland lange als Kinderkram galt.

Von Nadja Schlüter

Als der britische Fernsehsender Channel 5 am Ostersonntag 2016 im Nachmittagsprogramm den Zeichentrickfilm Watership Down zeigte, schimpften auf Twitter empörte Eltern. Der sei "sadistisch", schrieb ein Nutzer, ein anderer verlangte, dass für diese Entscheidung jemand gefeuert werden müsse. Anscheinend ist das nicht passiert, denn 2017 zeigte der Sender den Film zu Ostern erneut - mit ähnlichen Reaktionen.

Haben sich da moderne Helikopter-Eltern aufgeregt? Vielleicht. Aber Watership Down (deutscher Titel: Unten am Fluss) hat auch bereits eine Kontroverse ausgelöst, als er 1978 ins Kino kam. In Großbritannien lief der Film, der die Geschichte einer heimatlosen Kaninchensippe im ländlichen England erzählt, ohne Altersbeschränkung, in Deutschland war er ab sechs Jahren freigegeben. Eltern waren schockiert, und wer den Film als Kind gesehen hat, beschreibt seine Erinnerungen in Tweets oder Artikeln zum Beispiel so: "Bin aus dem Kino geflohen", "der verstörendste Film meiner Kindheit", "würde heute noch umschalten, wenn er läuft".

40 Jahre nach seiner Premiere feiern Fans und Experten den Film aber auch als Meisterstück des Zeichentricks, als künstlerisches Gegenstück zu Disney-Kitsch und bonbonfarbenen Fernsehcartoons. Das am Sonntag bei Netflix gestartete Remake, eine vierteilige Miniserie, die vom Streamingdienst und der BBC produziert wurde, wurde darum gespannt, aber auch besorgt erwartet. Netflix verschickte vorab keine Screener an deutsche Journalisten. Sicher ist: Computeranimierte Kaninchen und Landschaften haben den Zeichentrick ersetzt, und statt Art Garfunkel, der den Original-Titelsong "Bright Eyes" sang, seufzt Bond-Interpret Sam Smith "Fire on Fire". Vor allem aber hat die BBC erklärt, die neue Serie werde "besser geeignet für Kinder" sein. Heißt: weniger Gewalt - aber womöglich auch weniger von der Tiefe, die den Film ausmachte?

Die Handlung der gleichnamigen Romanvorlage von Richard Adams klingt erst einmal tatsächlich nach kindgerechter Abenteuergeschichte: Die Kaninchen-Brüder Hazel und Fiver und ihre Sippe werden von Menschen vertrieben und müssen auf der Suche nach einer neuen Heimat zahlreiche Gefahren überstehen. Kennt man so ähnlich aus Als die Tiere den Wald verließen oder Meister Dachs und seine Freunde. Aber Watership Down ist komplexer. In der Kaninchen-Welt gibt es eine eigene Mythologie, ein eigenes Gesellschaftssystem, eine eigene Sprache.

(Foto: BBC/Watership Down)

In der Filmadaption ist die Darstellung der Tiere wenig menschlich. Zwar sprechen die Kaninchen, aber sie lächeln nicht und benutzen keine Werkzeuge. Sie hoppeln, knabbern und trommeln mit den Hinterläufen wie echte Kaninchen. Das ist für Kinder sicher ungewohnt. Zusätzlich ist es relativ schwierig, der vielschichtigen und schnell voranschreitenden Handlung zu folgen, die Themen wie Flucht, autoritäre Herrschaft und Arterhaltung aufgreift. Die größte Überforderung ist aber wohl das Ausmaß an Gewalt: Man sieht Kaninchen, die im Bau vergast, von Hunden gerissen oder in einer Würgefalle gefangen werden. Ein Diktator namens General Woundwort, der die Mitglieder seiner Sippe unterdrückt und mit Narben kennzeichnet, fliegt dem Zuschauer in Zeitlupe und mit zornverzerrter Fratze entgegen, aus dem aufgerissenen Maul triefen Blut und Speichel. In einer seiner Visionen sieht der hellsichtige Fiver, wie ein Feld in Blut getränkt wird. Und dann taucht auch noch "das schwarze Kaninchen des Todes" auf, um Hazel mit ins Jenseits zu nehmen - in Form eines schwarzen, körperlosen Kaninchenkopfes mit glühenden Augen.

Dass Watership Down trotzdem als Kinderfilm eingestuft wurde und wird, liegt nur zum Teil daran, dass Richard Adams' Roman ebenfalls als Kinderbuch gilt. Regisseur Martin Rosen hat selbst gesagt, er habe den Film nicht explizit für Kinder gemacht. Schuld ist wohl vor allem die in Europa und den USA verbreitete Auffassung, dass Trickfilme automatisch Kinderfilme sind. Erwin Feyersinger, Medienwissenschaftler an der Universität Tübingen, kennt das Problem: "Als ich angefangen habe, zu Animation zu forschen, kam öfter die Frage: 'Forschst du zu Kinderfilmen?'" In Deutschland sei diese Verbindung noch stärker als etwa in England, wo seit Ende der Sechzigerjahre animierte Langfilme für Erwachsene entstanden und künstlerische Animationen gefördert wurden.

Vor allem durch Disney bekam der Trickfilm das Label "für Kinder". Richteten sich die ersten Disney-Filme wie Schneewittchen und die sieben Zwerge (1937) oder Fantasia (1940) noch an ein allgemeines Publikum, bildete sich bis in die Siebziger das Genre des "Familienfilms" heraus: Trickfilme wurden für Kinder produziert, die Eltern schauten mit. Als Watership Down 1978 erschien, war es darum fast unvorstellbar, dass der Film nicht für Kinder geeignet sein könnte: Den Stil kannte man doch von 101 Dalmatinern oder dem Dschungelbuch. Niemand rechnete damit, dass mit niedlichen Zeichentricktieren derart ernste Themen behandelt werden könnten und dass es blutige Visionen statt fröhlicher Tanzeinlagen zu sehen geben würde. Auch die FSK und ihr britisches Pendant, das BBFC, sahen wohl durch die Animation genügend Distanz zu echter Gewalt gewahrt. Entsprechend groß war der Schock im Kino oder später vor dem Fernseher.

Harmloser als der Film: Das Animations-Remake von Watership Down ist weniger gewaltsam und dadurch weniger tiefgründig als das Zeichentrick-Original, in dem Blut und Speichel triefen. (Foto: imago/United Archives)

Medienwissenschaftler Feyersinger glaubt, dass sich die Sichtweise "Trickfilm = Kinderfilm" etwas aufgeweicht hat. "Animation, die sich an Erwachsene richtet, gab es immer, aber meistens war sie in Nischen zu finden", sagt er. "Heute erreicht sie über neue Vertriebswege ein breiteres Publikum." Serien wie Die Simpsons oder South Park beweisen seit den Neunzigerjahren, dass Animation sich nicht immer an Kinder richtet. Heute wird das durch Youtube und Netflix, wo man Bojack Horseman oder Paradise PD schauen kann, verstärkt. Nur der animierte Langfilm wird immer noch hauptsächlich mit Kinderprogramm gleichgesetzt - abgesehen vom japanischen Anime oder Stop-Motion-Filmen wie Isle of Dogs, die aber hierzulande kein Massenpublikum erreichen.

Watership Down bleibt bis heute ein Ausnahmefilm. Ob die neue Serie da heranreichen kann? Erste Kritiken aus Großbritannien klingen nicht allzu begeistert. Zwar seien die Sprecher, darunter Ben Kingsley als General Woundwort, hervorragend, aber die animierten Hasen erinnerten sehr an hölzerne Videospielfiguren. Und die Serie sei wirklich harmloser als der Film, dadurch aber nicht nur weniger gewaltsam, sondern auch weniger tiefgründig. Fans von Watership Down werden darüber sicher nicht glücklich sein. Kinder (und ehemalige Kinder mit schlechten Erinnerungen) vielleicht schon.

Watership Down, bei Netflix.

© SZ vom 24.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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