Zwangsversteigerung des Spreeparks:Ein verrotteter Traum

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Die Dinosauerierfiguren liegen auf der Erde - im Hintergrund verrostet ein Riesenrad. Der frühere Spreepark steht heute nur noch für seinen morbiden Charme. (Foto: Reuters)

Halb verfallene Fahrgeschäfte, von Unkraut überwucherte Wiesen: Der ehemalige Berliner Spreepark hat einen morbiden Charme. Nun kommt der 2002 geschlossene Rummelplatz unter den Hammer - und damit auch der Traum eines einstigen Schaustellerkönigs.

Von Judith Liere, Berlin

Auf vielen Rummelplätzen steht ein Fahrgeschäft namens "Fliegender Teppich". Sitzt man darin, wird man so schnell in die Höhe geschwungen, dass man ganz oben, direkt hinter dem Scheitelpunkt, einen Moment lang das Gefühl hat, man würde fliegen - obwohl der steile Weg nach unten eigentlich schon begonnen hat. Es ist dieses Gefühl, bei dem einem kurz vor Überraschung die Luft wegbleibt, bevor man mit erschrecktem Kreischen bemerkt, dass man schon abstürzt.

Das Leben des Schaustellers Norbert Witte verlief wie eine Fahrt auf dem "Fliegenden Teppich". Es ist ein Leben, das wirkt, als hätte es sich jemand für einen Einführungskurs ins Drehbuchschreiben ausgedacht, als mustergültiges Beispiel von Tragödiendramaturgie. Der tiefe Fall des Rummelplatzkönigs. Nun wird ein weiteres Kapitel dieser Geschichte geschlossen: Der Berliner Spreepark im Plänterwald, Wittes Lebenstraum, soll an diesem Mittwoch zwangsversteigert werden.

Es ist ein Traum, der schon lange vor sich hin rottet. Seit 2002 steht das Riesenrad still und rostet, werden die kleinen Boote in Schwanform auf dem Teich von Algen und Schilf überwuchert, verlieren die großen Plastiksaurier auf der Wiese immer mehr Körperteile. Nach der Wende hatte die Schaustellerfamilie Witte den Park im Berliner Osten übernommen.

Eine Reihe falscher Entscheidungen

Der VEB Kulturpark Plänterwald war bei seiner Eröffnung 1969 der Stolz der DDR, der einzige ständige Vergnügungspark des Landes. Die Wittes, die einen Erbbaurechtsvertrag mit dem Land Berlin für das 30 Hektar große Gelände abgeschlossen hatten, waren nach gut zehn Jahren insolvent. Eine hoffnungslos scheinende Situation, auf die Norbert Witte mit einer Reihe falscher Entscheidungen reagierte.

Witte, sagt Hans Trümper, der Anwalt der Spreepark GmbH, sei "geboren, um Spektakuläres zu tun". Das Zitat stammt aus dem Dokumentarfilm "Achterbahn" über Wittes Leben, den der Regisseur Peter Dörfler 2009 gedreht hatte, nachdem er über einen Zeitungsartikel auf die Geschichte aufmerksam wurde. Norbert Witte selbst sagt darin: "Ich hab' immer ganz viel oder gar nichts."

Witte ist Schaustellerkind, sein Großvater Otto war ein bekannter Hochstapler und beharrte Zeit seines Lebens darauf, er sei einmal durch ein Täuschungsmanöver für fünf Tage König von Albanien gewesen. "Ehem. König v. Albanien" stand als Künstlername in seinem Pass, und es steht auch auf seinem Grabstein. Norbert Witte, Jahrgang 1955, wuchs zwischen Stripteaselokalen und Losbuden auf, seine spätere Frau Pia wurde auf einem Autoscooter groß - eine große Rummelplatzliebe entwickelte sich.

Das Unglück hielt Einzug

Sie heirateten, als Pia noch keine zwanzig war, kauften eigene Fahrgeschäfte, verdienten gut damit. Bis 1981. Da passierte auf dem Hamburger "Dom" der bisher schwerste Kirmesunfall Deutschlands, und Norbert Witte war schuld daran. Als er ein Teil an seiner Achterbahn "Katapult" austauschen wollte, kollidierte der Kran mit einem nebenstehenden Karussell. Sieben Menschen starben, 15 wurden teils schwer verletzt. Norbert Witte wurde zu einer Bewährungsstrafe wegen fahrlässiger Tötung verurteilt, und das Unglück hielt Einzug in sein Leben.

Nach dem Unfall tingelte die Familie ohne großen Erfolg mit Fahrgeschäften durch Deutschland, Italien, Jugoslawien. Die Übernahme des Spreeparks in Berlin-Treptow sollte ein Neuanfang sein, ein Schritt in die Sesshaftigkeit, ein Zuhause für die fünf Kinder. Der Plan scheiterte.

Nach der Pleite in Berlin packte Norbert Witte in einer Nacht- und Nebel-Aktion seine Fahrgeschäfte in Container und schickte sie nach Südamerika. "Spreepark heimlich nach Peru verschickt", titelten die Berliner Zeitungen, "uns bleibt nur das rostige Riesenrad". Doch auch in Lima hatte die Familie kein Glück. Pia Witte ging entnervt zurück nach Deutschland. Norbert Witte blieb mit Sohn Marcel dort - und stürzte vollends ab.

Um doch noch irgendwie an Geld zu kommen, ließ er sich auf ein Drogengeschäft ein. 167 Kilogramm Kokain wollte er 2004 nach Deutschland schmuggeln, Stoff im Wert von etwa vier Millionen Euro, versteckt in einem Fahrgeschäft - dem "Fliegenden Teppich". Witte wurde erwischt und vom Berliner Landgericht zu einer siebenjährigen Haftstrafe verurteilt. Sein damals 20-jähriger Sohn Marcel, der die Frachtpapiere unterschrieben haben soll, wurde in Peru zu 20 Jahren verurteilt. Norbert Witte kam nach vier Jahren vorzeitig frei, Marcel sitzt immer noch. Pia Witte trennte sich von ihrem Mann.

Nur vom Spreepark trennte sich bisher keiner der Familie so richtig. Pia Witte ist offiziell Vertragsinhaberin, das Insolvenzverfahren wurde mangels Masse eingestellt. Ihr neuer Lebensgefährte hat mit seiner Sicherheitsfirma den Wachschutz für das Gelände übernommen. Seit zwei Jahren ist der Park an den Wochenenden für Führungen geöffnet, man kann auch mit einer kleinen Eisenbahn einmal rund ums Gelände fahren. Tochter Sabrina Witte verkauft Kaffee und Bratwurst. Und Norbert Witte wohnt dort in einem Wohnwagen.

Der Spreepark ist nur noch Kulisse. (Foto: dpa)

Der Spreepark ist nur noch Kulisse. Für junge Menschen, die dort am Wochenende hinfahren, um die Ästhetik des Verfalls zu fotografieren und die Bilder vor dem Hochladen ins Netz noch mit einem schicken Retro-Effekt bearbeiten. Für Spaziergänger, die sich an ihre Kindheit in der DDR erinnern. Für Karl-Theodor zu Guttenberg, der sich einmal mit seiner Frau auf einem umgestürzten Plastiksaurier fotografieren ließ. Für zahlreiche Mode-Shootings, für Filmaufnahmen, für Theaterprojekte, für Popkonzerte. Es steckt halt so hübsch viel Symbolik und Allegorie in einem verlassenen Vergnügungspark.

Wie es mit dem Spreepark weitergehen wird, das weiß niemand so genau. Seit elf Jahren kann sich kein Investor so richtig begeistern, den Erbbaurechtsvertrag zu übernehmen. Der geschätzte Verkehrswert beträgt 1,6 Millionen Euro. Bei der Auktion an diesem Mittwoch müsste mindestens die Hälfte des Wertes geboten werden. Der neue Eigentümer muss dann die Forderungen des Finanzamts zahlen, aber nicht die 15 Millionen Euro Schulden, die die Wittes gemacht haben. Dafür darf das Grundstück bis 2061 genutzt werden. Die Stadt hat zur Auflage gemacht, dass das Areal weiterhin ein Freizeit- oder Kulturpark bleiben muss.

Seitdem aber trotzdem einmal das Wort "Luxus-Bebauung" als Gerücht über eine mögliche Zukunft auftauchte, haben sich - darauf kann man sich in Berlin verlassen - zwei Bürgerinitiativen gegründet. Eine will, dass der Senat den Vertrag übernimmt, um das Grundstück vor Spekulanten zu schützen. Die andere will lieber selbst kaufen und hofft, das Geld nun über Spenden aufzutreiben. Was die Initiative dann mit dem Gelände anfangen will, wissen ihre Gründer noch nicht so genau, ein Natur-Bio-Park ist eine erste Idee.

Für Familie Witte wird es wohl keine zweite Runde geben. Der fliegende Teppich ist endgültig gelandet.

© SZ vom 03.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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