Zielgruppe "Best Ager":Der alte Mann und der Berg

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Immer mehr Grauköpfe stürmen die Gipfel. Das hat die Tourismus-Industrie erkannt und vermarktet den "Best Ager". Doch wer, bitte, ist das?

Vanessa Assmann

Der Neologismus lässt Peter Habeler schmunzeln. "Best Ager?", wiederholt der Extrembergsteiger, Jahrgang 1942 und berühmt, seit er vor 30 Jahren mit Reinhold Messner erstmals den Mount Everest ohne künstlichen Sauerstoff bestiegen hat. "Davon höre ich zum ersten Mal."

Seit der Mount-Everest-Erstbesteigung vor 30 Jahren mit Reinhold Messner "hungrig nach Bergen": Peter Haberle (Foto: Foto: Archiv Haberle)

Dabei ist Habeler nach Meinung der Werbestrategen geradezu ein Vorzeige-"Best Ager", denn er steht den meisten Jüngeren bezüglich Fitness, Aktivität und Tatendrang in nichts nach. Nach wie vor ist er "hungrig nach Bergen", wie er sagt. Er war wie jeden Sommer auch dieses Jahr täglich in den Bergen unterwegs. Jetzt sehnt er die Skisaison herbei.

Dennoch zählt sich Habeler lieber zur Altersklasse "40 plus". Älter fühlt er sich nicht. Und Wortschöpfungen wie "Best Ager" hält er für Blödsinn.

"Best Ager" scheint derzeit jedoch der Zauberbegriff all jener Tourismusvertreter zu sein, die Gäste jenseits der 50 als Zielgruppe für ihre Wander- und Skiregionen entdecken.

Liftanlagen mit Ausstiegshilfen

Schließlich treibt Umfragen zufolge von den derzeit etwa 25 Millionen deutschen "Best Agern" jeder Zweite regelmäßig Sport und geht besonders gerne wandern. Spätestens dank den sanft alternden, ständig gut gelaunten und bewegungsfreudigen Wintersportlern Rosi Mittermaier und Christian Neureuther weiß man, dass reife Menschen heute mindesten drei Paar Skier nebst Nordic-Walking-Ausrüstung im Keller stehen haben.

Hinzu kommt, wie etwa die Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse belegt, ein überdurchschnittliches Einkommen. Mit Angeboten wie Seniorentellern und Seniorenskipässen ist auf Dauer selbstredend kein Geschäft zu machen, denn der Begriff Senior hat ausgedient.

So sieht man das auch im Südtiroler Hochpustertal, wo kürzlich ein Fachkongress zum Thema "Best Ager" stattfand, an dem auch Peter Habeler teilnahm. Die Region um die Drei Zinnen gilt seit jeher als Seniorendestination. In den Sommermonaten garantieren diese den vielen familiengeführten Hotels gar das Auskommen - und die Stammgäste werden nicht jünger.

Auch deswegen will Alfred Prenn, Präsident des Tourismusverbandes Hochpustertal, Wege finden, um bisher nie dagewesene "Best Ager" noch gezielter in seine Region zu locken. Zwar fehlt bislang eine nachvollziehbare Strategie, "aber immerhin wissen wir, wie es nicht laufen soll", scherzt er und meint die "Best Ager"-Skikurse, die man vor wenigen Jahren versuchsweise anbot. Sie wurden von den Urlaubern aber als diskriminierend empfunden und einfach ignoriert.

Interessanterweise scheint sich dieses Konzept dagegen in Deutschland zu bewähren, wo der Deutsche Skilehrerverband spezielle Trainingseinheiten für die Generation zwischen 55 und 75 Jahren anbietet und kürzlich mit dem Ehepaar Mittermaier/Neureuther das Buch "Neuer Schwung" veröffentlichte. Im Hochpustertal wird derzeit noch nach Alternativen gesucht: "Wir wollen den 'Best Agern' geben, was sie brauchen, sie aber nicht stigmatisieren", sagt Alfred Prenn.

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Die Sorge im das Image

Er denkt dabei vor allem an Liftanlagen als Aufstiegshilfen, was nicht gerade wie eine durchdachte, speziell auf eine bewegungsfreudige, wenn auch ältere Klientel abgestimmte Maßnahme wirkt.

Einer wie Rainer Brämer hat andere Lösungsansätze. Seit der Vorsitzende des Deutschen Wanderinstituts die Profilstudie Wandern herausgibt, kann er das Potenzial älterer Wanderer für die Tourismuswirtschaft belegen: Während von den unter 30-Jährigen gerade mal 40 Prozent und von den unter 50-Jährigen 61 Prozent gerne wanderten, sind es bei jenen zwischen 60 und 70 Jahren 70 Prozent. "Das ist ein riesiger Markt für jeden Urlaubsort", sagt Brämer.

Doch Prenns Streben nach neuen Liftanlagen teilt er nicht. "Die wenigsten Wanderer gehen des Gipfels wegen in die Berge." Sein Tipp: Akribisch konzipierte Rundwanderwege in der Länge von Tagestouren, die häufig in Mittelgebirgen angelegt werden.

Während in der Tourismusindustrie trotz aller Unwägbarkeiten und Hemmungen im Umgang mit den älteren Kunden mittlerweile "Sixty plus"-Betriebe oder "50 plus"-Hotels schon fast zum Standard gehören, tut sich ausgerechnet die sonst so progressive Sportartikelindustrie mit der neuen Klientel schwer.

Seit Jahren beschäftigt sich die auf das 50plus-Marketing spezialisierte Sportökonomin Claudia Bieker mit dem Phänomen, dass ältere Kundenschichten von Sportausrüstern in der Werbung und im Design ignoriert werden. "Das sind 13 Millionen Kunden, die nicht angesprochen werden, aus Angst vor dem Altern der Marke", sagt Bieker. Und sie wiederholt die Aussage, die bei der Diskussion um "Best Ager" so oft zum Tragen kommt: "Jeder will alt werden, aber keiner will alt sein."

Letztlich scheint der Marketingaktionismus beim Bewerben älterer Wanderer ohnehin vor allem ein deutsches Phänomen zu sein. "Mit dem Begriff 'Best Ager' können Italiener gar nichts anfangen", meint etwa der Hotelier Herbert Santer aus Innichen. Sie würden schon seit jeher mit der ganzen Familie anreisen - von der Dreijährigen bis zur 80-Jährigen käme dabei jeder auf seine Kosten. Zudem muss man selbst bei vielen gut gemeinten Wanderangeboten für die ältere Generation schon sehr genau hinsehen, um den angeblich speziellen Zuschnitt der Touristiker zu erkennen. Manchmal entsteht der Eindruck, als beziehe sich nur der höhere Preis auf die finanziell häufig besser gestellte Generation.

Dabei gibt es beim Wandern über alle Altersschichten hinweg kaum Unterschiede. "Das Bergerlebnis ist für jeden eine tolle Geschichte", sagt Habeler und erinnert an die Bergsteiger Heinrich Harrer und Anderl Heckmair: Beide wurden - auch ohne "Best Ager"-Programm - mehr als 90 Jahre alt.

© SZ vom 23.10.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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