Virtuelles Leben:Hexenjagd im Internet

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Der Albtraum des Internetzeitalters: Chinas neuester Volkssport heißt "Cyber-Stalking" - Menschen werden online denunziert und fertiggemacht.

Henrik Bork

Die Hexenjagd gegen Yin Qi ist in vollem Gange. Der 31-jährige Pekinger erlebt gerade den Albtraum des Internetzeitalters: Irgendjemandem gefiel sein Privatleben nicht. Yin wurde im Internet öffentlich an den Pranger gestellt.

Hexenjagd im Internet: Menschen werden online denunziert. (Foto: Foto: dpa)

Und schon rufen Tausende wütende Chinesen bei seinem Chef an und verlangen, dass er gefeuert wird.

Der Abteilungsleiter in der Pekinger Niederlassung der britischen Firma Quantel, einem Hersteller von digitaler TV-Ausrüstung, ist das jüngste Opfer eines neuen chinesischen Volkssportes: Cyber-Stalking. Selbsternannte Moralapostel oder Patrioten suchen sich einen unglücklichen Zeitgenossen aus, fällen öffentlich ihr Urteil über ihn und fallen dann gemeinsam über ihn her.

Yins Probleme begannen, als seine Ehefrau Zhang Meiran im Internet über seine Exfrau herzog. Unter dem Tarnnamen "Candy" machte sich die neue Ehefrau in recht gehässiger Weise über die geschiedene Ehefrau lustig. Die Ex hatte bei ihrer Scheidung von Yin die gemeinsame Wohnung erhalten, was der neuen Ehefrau offenbar nicht passte. "Sie ist nur eine billige Henne, die beim Sex nur eine einzige Position kennt", schrieb Zhang Meiran alias "Candy" in ihrem Blog.

Selbsternannte Moralwächter

Das war nicht nett, zugegeben. Doch was darauf folgte, war schlimmer und gehässiger. Erst Hunderte, dann Tausende und Zehntausende begannen, sich im Internet über das Ehepaar Yin und Zhang aufzuregen. "Und du glaubst, du bist hübsch? Schau dir dein Gesicht an, flach wie ein indischer Pfannkuchen", schrieb einer an Candys Adresse.

Yin Qi sei unmoralisch, weil er schon während seiner ersten Ehe ein Verhältnis mit Zhang Meiran hatte, befanden die selbsternannten Moralwächter im Internet. Irgendjemand wühlte so lange, bis die Namen des Ehepaars, ihre Personalausweisnummern, Adressen und Telefonnummern bekannt waren. All dies - gemeinsam mit Fotos des Paares - wurde ins Internet gestellt. Seither laufen im Büro von Yins Firma in Peking alle Telefone heiß. Die Anrufer verlangen, dass die Firma den Chinesen entlässt. "Wie können Sie solch einen Menschen beschäftigen", brüllen sie durch den Hörer. "Wir bekommen jede Menge ärgerliche Anrufe wegen Yin Qi", bestätigte eine Mitarbeiterin von Quantel am Montag auf Nachfrage. Der zur Zielscheibe gewordene Yin Qi muss sich verleugnen lassen.

Solche an die Kulturrevolution erinnernden Hexenjagden, die aus dem Internet ins reale Leben übergreifen, sind in China häufig geworden. Vergangenes Jahr verlangten Tausende Surfer, dem Liebhaber einer verheirateten Frau "den Kopf abzuschlagen". Der junge Mann mit dem Internet-Namen "bronzefarbener Schnurrbart" musste sich verstecken. Auch telefonische Morddrohungen gegen Ausländer sind vorgekommen, denen "Beleidigung der chinesischen Nation" vorgeworfen wurde.

© SZ vom 20.11.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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