Verkehrte Spiegelungen:Bewegen statt hobeln

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Knie sind anatomische Fehlkonstruktionen - was oft zu Beschwerden führt. Wissenschaftler zeigen jetzt: Oft müsste die dann angewendete Arthroskopie gar nicht sein.

Werner Bartens

So anmutig sie aussehen können - anatomisch betrachtet sind Knie eher eine Fehlkonstruktion. Kein Knochen passt richtig auf den anderen. Die Menisken federn zwar Stöße ab und ein komplizierter Bandapparat hält das Gelenk zusammen. Trotzdem klagt jeder zehnte Erwachsene über Kniebeschwerden.

Gymnastik hilft oft genauso wie eine Arthroskopie. (Foto: Foto: ddp)

Ärzte empfehlen Patienten dann häufig eine Arthroskopie. Bei der Gelenkspiegelung wird - zumeist unter Vollnarkose - der Innenraum des Knies gespült. Zudem werden etwaige Knochenwülste abgefräst und Knorpel glattgehobelt. Orthopäden aus Kanada zeigen im New England Journal of Medicine von diesem Donnerstag jedoch, dass der Eingriff wenig nützt. "Diese Studie beweist definitiv, dass die Arthroskopie nicht mehr bringt als Krankengymnastik und Medikamente", sagt der Mediziner Brian Feagan.

Die Untersuchung, die im weltweit renommiertesten medizinischen Fachblatt erschienen ist, wird unter Ärzten für Diskussionen sorgen. Schließlich raten Orthopäden oft zur Arthroskopie, wenn Patienten wiederholt mit Knieschmerzen in die Praxis kommen. Der minimalinvasive Eingriff, der auch als Schlüsselloch-Chirurgie bezeichnet wird, gilt als schonend und unkompliziert. "Wir müssen erkennen, dass hier etwas nicht funktioniert und die Ergebnisse offen diskutieren", sagt der kanadische Sportmediziner Bob Litchfield. "Wenn die Technik Patienten nicht nützt, sollten wir uns etwas anderes überlegen. Dazu ist Geld im Gesundheitswesen zu kostbar."

Die Untersuchung ist schwer zu widerlegen. Ärzte von der University of Western Ontario hatten bei 86 Patienten mit chronischen Kniebeschwerden den Eingriff vorgenommen. Weitere 86 Patienten wurden hingegen zwölf Wochen lang nur mit Krankengymnastik und anschließend weiter mit Medikamenten behandelt.

Zwei Jahre später zeigte sich kein Unterschied zwischen beiden Gruppen. Nach Selbsteinschätzung der Patienten waren in der Gruppe, die operiert wurde, weder die Schmerzen geringer noch war die Funktionstüchtigkeit besser.

Unterschiedliche Indikationen

"Es ist eine Herausforderung für Ärzte, zu erkennen, welche Patienten von dem Eingriff profitieren können", sagt der New Yorker Sportarzt Robert Marx. Wenn ein Kreuzband gerissen ist oder ein abgerissenes Knorpelstück vom Meniskus das Gelenk blockiert, kann eine Arthroskopie durchaus hilfreich sein. Solche Patienten wurden in der Studie nicht untersucht. "Bei Arthrose, anderer Abnutzung und daraus resultierenden Schmerzen ist der Eingriff aber nicht angezeigt", so Marx.

Allerdings zeigen Orthopäden in der gleichen Ausgabe des Fachmagazins, wie sehr die Blickdiagnose täuschen kann: Patienten, bei denen in Kernspin-Aufnahmen große Einrisse im Meniskus zu erkennen waren, hatten keinerlei Beschwerden. Andere, deren Gelenk-Innenleben intakt erschien, klagten hingegen über Schmerzen.

Genugtuung wird wohl Bruce Moseley empfinden. Der Orthopäde aus Houston hatte 2002 - ebenfalls im angesehenen New England Journal of Medicine - eine Studie veröffentlicht, der die Fachwelt misstraute. Moseley teilte 180 Patienten mit Kniebeschwerden in drei Gruppen ein. Eine bekam das Gelenk arthroskopisch gespült und geglättet, die zweite nur gespült.

Die dritte Gruppe wurde einer Schein-Operation unterzogen: Moseley ritzte ihnen nur die Haut da ein, wo das Endoskop eingeführt wird. Weder ein noch zwei Jahre später ging es den operierten Patienten besser als jenen, die nur den Placebo-Eingriff über sich ergehen lassen mussten.

© SZ vom 11.09.2008/bilu - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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