Modisch gesehen startete Papst Benedikt XVI. mit einem kleinen Fauxpas: Das prächtige Gewand, in dem er sich zum ersten Mal der Welt auf dem Platz des Petersdoms präsentierte, war zu kurz. Dafür konnte er nichts: Gammarelli, seit 1792 der offizielle Ausstatter des Papstes, hatte das Outfit wie immer bei einer Papstwahl in drei Größen angefertigt - denn niemand wusste schließlich, ob ein schmächtiger, ein dicker oder ein sehr großer Kardinal die Nachfolge Johannes Pauls II. antreten würde. Leider passte keines davon dem frisch gewählten Stellvertreter Gottes wie angegossen.
Kurz darauf dichtete vor allem die englische Tabloid-Presse einen Krieg der Schneider zusammen: Angeblich hätte Papst Benedikt Rainardo Mancinelli, der ihm auch schon während seiner Zeit als Kardinal modisch zur Seite gestanden hatte, den Vorzug als Leibschneider gegeben. Gammarelli, der es bis dato nie nötig gehabt hatte, über seine Funktion als Papstausstatter zu reden, war empört. Er bezeichnete Mancinelli, dessen Geschäft erst seit etwas mehr als zwanzig Jahren existierte, sogleich als Emporkömmling. Der wiederum gab fröhlich weiter Interviews, Gammarelli wurde fuchsteufelswild, und der Vatikan fühlte sich genötigt, diplomatisch in einer Pressemitteilung klarzustellen, dass Gammarelli weiterhin offizieller Vatikanschneider sei. Damit beruhigten sich die erhitzten Gemüter - und dem Papst selbst war von da an kein einziger modischer Fehltritt mehr nachzuweisen. Im Gegenteil: Papà Ratzinger, wie ihn die Italiener liebevoll nennen, avancierte in zwei Jahren Amtszeit zur ersten und bisher einzigen Stilikone des jungen 21. Jahrhunderts.
Benedikt, den man bis zum Tag des weißen Rauchs über dem Petersdom in seiner Funktion als Vorsitzenden der Glaubenskongregation einzig und allein als strengen Hüter von Demut und Disziplin wahrgenommen hatte, brachte plötzlich lange nicht gesehene Pracht und Farbenfreude in den Vatikan. Hatte er als Kardinal nichts anderes als Schwarz getragen, sah man ihn jetzt in prächtigem Purpurrot, in Talaren mit feinster goldener Knopfleiste und Samtcapes mit Fellpaspeln, die selbst ein Haute-Couture-Schneider nicht besser hinbekommen hätte. Er wärmte sich die Hände im Pelzmuff und tauschte die schlichte Baskenmütze aus der Zeit als Kardinal gegen manchmal extravagante Kopfbedeckungen: Im Sommerurlaub in den Bergen sah man ihn zum Beispiel in weißer Baseballkappe und bei einem Staatsbesuch beeindruckte er mit einer fellgefütterten Nikolaus-Mütze aus Samt. Angeblich sorgt sein persönlicher Sekretär Georg Gänswein dafür, dass eine gute Auswahl an Kopfbedeckungen auf Reisen mitgeführt wird.
Auch Gänswein selbst ist, salopp gesagt, eine Art Fashion-Statement: Sein überdurchschnittlich gutes Aussehen ist regelmäßig Anlass für Gesprächsstoff. Papst Benedikt scheute sich nicht davor, weltliche Kleidungsstücke in seine Garderobe zu integrieren: In seinem ersten Sommerurlaub verblüffte er die journalistische Entourage mit lässiger Daunenweste über dem weißen Gewand.
Und wenn bei offiziellen Audienzen die Sonne schien, dachte er nicht im Traum daran, die verspiegelten Gucci-Shades abzusetzen. Man fragt sich also, wer eigentlich für diesen Look verantwortlich ist. Und vor allem, ob es auch in der katholischen Kirche wirklich so etwas wie Mode gibt. Erbittet man bei der Pressestelle des Vatikans Auskunft, ist zu hören, dass der Papst grundsätzlich nicht über sein Privatleben spricht. Genauso wenig lassen sich Mitarbeiter des offiziellen Vatikan-Schneiders Gammarelli entlocken, auch wenn man sie kräftig schüttelt. "Wir dürfen nicht sagen, ob wir für den Papst schneidern", sagt der Auszubildende, der sich um die Presse kümmern muss, wobei er leicht herablassend lächelt.
Der Laden von Gammarelli ist der feinste in der Via dei Cestari in der Nähe des Pantheons, die wiederum so was wie die Via Montenapoleone für Geistliche ist. Die Atmosphäre ist gediegen bis nobel, im Schaufenster liegen butterweiche pinkfarbene Handschuhe mit goldener Stickerei, die Carine Roitfeld, Chefredakteurin der französischen Vogue, sofort anziehen würde. An den Wänden hängen dicke Stoffrollen: Feinstes Brokat für die liturgischen Gewänder, ein leuchtendes Pink für Bischofs- und tiefes Feuerrot für die Kardinalstalare.
Was fehlt, sind weiße Stoffrollen. Die Farbe Weiß in der Alltagskleidung ist zusammen mit Silber und Gold bekanntlich dem Papst alleine vorbehalten, als Zeichen der Reinheit, der Integrität und des Lichts. Es gibt in der Via dei Cestari noch mehr Schneider und auch viele Geschäfte für kirchliche Gegenstände: Messbecher, Tabernakel, Siegelringe und Weihrauchschwenker sind hier in allen Preisklassen zu haben. Merke: Auch in der Kirche gibt es einen Unterschied zwischen gutem Geschmack (schlichte dunkelrote Stola mit puristischer Stickerei) und schlechtem (Tunika mit Jesus-Bild, ähnlich den airgebrushten Sonnenuntergangs-Postern aus den Achtzigern). Ein paar Nonnen sind sehr guter Dinge bei Ghezzi: Sie haben den Auftrag, für ihre Kirche einen neuen Weihrauchschwenker zu erstehen - und ihre Augen leuchten dabei so wie die von ganz normalen Frauen in einem Laden von Christian Louboutin. Ginge es nach ihnen, ist Mode in der Kirche natürlich ein Thema: "Wir müssen Schwarz tragen, aber Schwarz ist doch so altmodisch", sagt Schwester Carlotta. Lieber würde sie helles Blau oder Grau tragen.
Im Geschäft gegenüber probiert der Verkäufer gerade einer Jesusstatue drei vergoldete Dornenkränze auf. Die Ordensschwester, die er berät, hat sich den Zeigefinger in Denkerpose an die Wange gelegt und versucht nun zu ergründen, welcher wohl Jesus am besten stehen würde. Englische Priester kaufen anthrazitfarbene Kollarhemden für 15 Euro und haben die Qual der Wahl zwischen zwei Lila-Tönen beim Tunika-Kauf von der Stange. Südamerikanische Schwestern in Hellblau stehen aufgeregt vor einem Schaufenster mit schicken cremeweißen Cardigans.
Bewiesen ist also schon mal, dass in der katholischen Kirche Freude am Einkaufen nicht grundsätzlich verboten ist. Und weil bei Gammarelli über den Stil des Papstes nichts weiter zu erfahren ist, geht es weiter zum Borgo Pio. In einer Seitenstraße liegt Salvi, ein religiöser Juwelier mit den schönsten Goldkreuzen im Fenster, die man sich vorstellen kann. Und dazu Hirtenstabaufsätze, Krümme genannt, aus massivem Silber für 4000 Euro. Der Markt für solche Dinge ist klein, aber offensichtlich gibt es ihn - ziemlich weit oben in der Hierarchie der katholischen Kirche. Direkt vor den Toren des Vatikans liegt Rainardo Mancinellis Geschäft. Er ist ein bodenständiger Mann. Seine kleinen Enkelkinder haben einen unverkrampften Umgang mit den Waren und schleudern Rosenkränze über den Boden, der Laden ist weniger nobel als Gammarelli, es herrscht entspanntes Chaos. An der Wand hängt ein Bild von ihm und Papst Benedikt. Bescheiden erklärt er, dass er manchmal etwas für den Papst anfertigt, und dass es Benedikts verstorbene Schwester war, die sich zu Kardinalszeiten um sein Aussehen kümmerte. Wie teuer ist denn so ein Outfit für den Papst?
Rainardo Mancinelli lächelt kurz und verkündet diplomatisch: "Ein Gewand für den Papst hat keinen Preis. Es gibt doch keine größere Ehre, als etwas für den Papst nähen zu dürfen. Das macht man nicht, um Geld zu verdienen." Er erzählt, dass der Kardinal Ratzinger früher sehr oft vorbeikam, und dass er ihn schon immer sehr gerne mochte. Dass er vor gut fünfzig Jahren angefangen hat, "weil es damals einen großen Bedarf an klerikalen Schneidern gab", und er diese Arbeit liebt, "weil das eine richtige Wissenschaft ist". Mancinelli ist viel netter als die Schneider bei Gammarelli, und es wundert einen deshalb nicht, warum sich Papa Ratzinger bei ihm besser aufgehoben fühlt. Aber Details lässt auch er sich nicht entlocken.
Zurück also zum Papst: Ordentlich Aufsehen erregte er im vergangenen Jahr, als er ein liturgisches Zeremoniengewand aus golden schimmerndem Brokat mit knallroten Prada-Loafers kombinierte. Folgende Fragen warf er damit auf: War es den großen Luxuslabels etwa nicht mehr genug, große Hollywood-Stars für den Auftritt auf dem roten Teppich mit Geschenken auszustatten im Gegenzug für kostenlose weltweite Werbung? War gar der Papst jetzt Teil dieses Systems? Warum gab er sich plötzlich einer eitlen Laune hin? Sicher ist wohl, dass der Papst sich nicht als Werbefläche nutzen lässt. Prada kommentierte die roten Schuhe kurz: Man sei sehr stolz darauf, dass der Papst Loafers aus dem Hause Prada trage. Bleibt die Frage: Warum etabliert Benedikt XVI. einen Look, der mit dem sportlich-pragmatischen seines Vorgängers Johannes Paul II. so gar nichts zu tun hat? Johannes Paul II. hatte die Herzen seiner Jünger durch sein grandioses Charisma erobert - und auf pompösen Schnickschnack zeitlebens verzichtet. Engstirnige Vatikankritiker behaupten deshalb, dass der eher zurückhaltende und intellektuelle Papst Benedikt XVI. durch extravagante Kleidung seine fehlende Ausstrahlung ausgleichen möchte.
Es ist nicht so, dass in der katholischen Kirche jeder anziehen darf, was er will. Den Vorschriften für Kleidung während der heiligen Messe widmete Joseph Braun in "Die liturgische Gewandung" aus dem Jahr 1907 allein Hunderte Seiten, und 18 einzelne Kleidungsstücke sind vorgeschrieben. Es gibt genaue Anweisungen zu Schnitt und Material, und jede Farbe hat eine Bedeutung. In der Weihnachts- und Osterzeit zum Beispiel sollte das Messgewand weiß sein, am Palmsonntag und an Pfingsten rot, grün bei alltäglichen Messen, violett in der Fastenzeit und im Advent, schwarz bei Totenmessen und rosa am 1. Advent. All diese Regeln sind freilich über Jahrhunderte gewachsen.
Papst Benedikt XVI., der in seiner Kardinalszeit oftmals als erzkonservativ verschriene Hüter der Moral, hat bisher noch keine einzige Vorgabe in Bezug auf geistliche Kleidung gemacht. Er bewegt sich in der Welt, als sei er von ihr, und hat trotzdem eine modische Trendwende im kirchlichen Rom ausgelöst.
Bischöfe und Kardinäle haben nämlich Angst, im Vergleich mit dem Papst plump zu wirken. So sagt Rainardo Mancinelli: "Vor der Ära Ratzinger haben Geistliche weniger auf ihr Äußeres geachtet. Ein einfacher Geistlicher hat mir gebeichtet, dass er seit zwanzig Jahren keinen Talar mehr getragen hat." Genau dieser habe sich deshalb jetzt einen neuen anfertigen lassen. Und die Bischöfe fragen nach teureren Stoffen und aufwendigeren Details - eine Umstellung für kirchliche Schneider, die schon an einer einfachen liturgischen Tunika zehn Tage arbeiten.
Als Joseph Ratzinger zum ersten Mal in seiner Funktion als Papst zu Signor Mancinelli kam, war der gute Mann unheimlich aufgeregt. "Obwohl er doch eigentlich immer noch dieselbe Person war." Die beste Erklärung liefert der Papstschneider in Pupo Avatis Film "Il Cuore Altrove", als er versucht, den Sohn für seinen Beruf zu begeistern: "Mein Sohn, wenn du den Papst sieht, und du hast sein Gewand gemacht, dann denkst du, du hättest ihn eigenhändig erfunden!" In dem Moment, als Joseph Ratzinger als Benedikt XVI. auf den Balkon des Petersdoms trat, war er nicht länger einer von uns. Eine Verwandlung, an der auch seine Schneider mitfeilten.