Umgeschulte Linkshänder:Links vor Rechts

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Linkshänder sind kreativer, haben es im Leben aber schwerer als Rechtshänder. Eine Beraterin für Linkshänder über das Los der Linken.

Interview: Viktoria Weichselgartner

Etwa 15 Prozent der deutschen Bevölkerung sind Linkshänder. Man geht davon aus, dass Linkshändigkeit auf bisher ungeklärtem Weg vererbt wird. Im Interview erklärt Beratungslehrerin und Psychotherapeutin Ursula Nagele-Hiedl, Vorsitzende der ersten deutschen Beratungs- und Informationsstelle für Linkshänder und umgeschulte Linkshänder in München, warum es "Linke" so schwer haben als "Rechte".

Schreiben lernen? Das klappt doch mit links! (Foto: Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Früher wurden Linkshänder oft gezwungen, mit rechts zu schreiben. Gibt es heute noch viele Kinder, die mit der falschen Hand schreiben lernen?

Nagele: Zwar werden sie nicht mehr gezwungen, aber es gibt auch heute noch viele Kinder, die eigentlich Linkshänder wären, aber mit rechts schreiben. Heute spielen Nachahmung und Modellverhalten eine sehr viel größere Rolle: Wenn ein Kind sieht, dass alle anderen Kinder mit rechts schreiben, will es das auch und trainiert sich das an. In unsere Beratungsstelle kommen jede Woche ungefähr fünf Kinder mit diesem Problem.

sueddeutsche.de: Mit welchen Schwierigkeiten haben umgeschulte Linkshänder zu kämpfen?

Nagele: Studien haben gezeigt, dass die Aufmerksamkeitsleistung für die Koordination bei umtrainierten Linkshändern wesentlich höher ist und die Assoziationsareale im Bewegungszentrum in der rechten Gehirnhälfte sehr stark beansprucht sind, stärker noch als bei reinen Linkshändern. Das zeigt, dass ein Linkshänder nicht einfach auf "rechts" umgeschult werden kann.

sueddeutsche.de: Wie macht sich das im Alltag bemerkbar?

Nagele: Umtrainierte Linkshänder machen in der Regel mehr Fehler beim Schreiben. Das hängt damit zusammen, dass sie wesentlich mehr Aufmerksamkeits- und Konzentrationsleistung erbringen müssen und dadurch auch schneller erschöpft sind. Das wirkt sich in der Schreibmotorik aus, nämlich im sehr viel schlechteren Schriftbild.

sueddeutsche. de: Aber ist es da nicht die Aufgabe der Lehrer, genau dem entgegen zu wirken?

Nagele: Da ist noch viel Handlungsbedarf. Im Lehrplan ist es schon angedeutet, aber in der Ausbildung der jungen Lehrer ist das Thema nicht wirklich präsent. Man müsste zum Beispiel im universitären Rahmen viel stärker darauf achten, die angehenden Lehrkräfte für das Thema Linkshändigkeit zu sensibilisieren.

sueddeutsche. de: Wie stellen Sie in Ihrer Beratungsstelle fest, ob es sich um einen Linkshänder handelt?

Nagele: Wir testen den spontanen und den erlernten Handlungsbereich sowie das Bewegungsverhalten im Raum und die Arbeitsrichtung. Gerade die Arbeitsrichtung ist sehr wesentlich, um zu wissen, ob es sich um einen umgeschulten Linkshänder handelt: Linkshändige Kinder neigen nämlich dazu, von rechts nach links zu lesen und zu schreiben.

sueddeutsche.de: Woran erkennen Erwachsene, dass sie vielleicht umgeschulte Linkshänder sind?

Nagele: Umgeschulte Linkshänder neigen besonders in Stressituationen zu Stottern oder Merkfähigkeitsschwächen. Oft denken sie auch viel zu kompliziert und haben Probleme, den direkten Weg zur Problemlösung finden. Wer vorab testen will, ob er vielleicht Linkshänder ist: Es gibt im Internet einen Fragebogen, den man sich herunterladen kann.

sueddeutsche.de: Gibt es denn prinzipiell Unterschiede zwischen Links- und Rechtshändern?

Nagele: Ja, da kann man eine Tendenz feststellen. Linkshänder sind oft Künstler, Musiker, Maler, Dichter - sehr stark intuitive und assoziative Typen. Zudem sind sie auch öfter im Unternehmerbereich zu finden, also kreativ denkende Menschen.

sueddeutsche.de: Gibt es denn auch Berufe, die für Linkshänder ungeeignet sind?

Nagele: Ja, es gibt einige technische und handwerkliche Berufe, die noch nicht auf Linkshänder eingestellt sind. Bei Schreinern hören wir immer wieder, dass es Schwierigkeiten an der Hobelbank gibt. Auch Chirurgen haben oft Probleme, wenn sie als Linkshänder mit einem auf Rechtshändigkeit eingespielten Team arbeiten: Die Abläufe sind alle auf rechts eingestellt und deswegen gibt es am Anfang oft Probleme. Auch als Musiker hat man es als Linkshänder nicht leicht: Blasinstrumente gibt es meistens nur für Rechtshänder. Aber es gibt schon Fortschritte: Für den linkshändigen Frisör zum Beispiel gibt es spezielle Linkshänder-Scheren.

sueddeutsche.de: Sind Sie selbst Linkshänderin?

Nagele: Ich bin umgeschulte Linkshänderin. Ich mache viel Alltagsgriffe mit links, schreibe aber noch mit rechts. Manchmal beschweren sich meine Schüler bei mir, dass meine Schrift bei Korrekturen unleserlich sei. Aber da hab ich ja dann eine gute Ausrede!

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