Typologie des Bartes:Lasst es wachsen

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Der Bart ist gesellschaftlich so anerkannt wie nie: Ja, er wird bei einem modernen Mann fast vorausgesetzt. Und die Möglichkeiten, ihn zu tragen, sind schier unendlich. Eine kleine Typologie zeitloser Modelle.

Das Strich-Bärtchen

. (Foto: Katharina Bitzl)

Das sogenannte Menjou-Bärtchen rangiert knapp über dem Hitler-Stutzen. Im Ranking der beliebtesten Bartformen muss sich das M. mit einem Platz ganz weit hinten zufriedengeben, etwa im Bereich Backenbart. Außerdem sollen die Menjou-Träger aus dem Ü-60-Sektor kommen. Das ist ein Skandal. Dieses Ranking ist der sonst löblichen Dissertation zur "Kulturgeschichte des Bartes" (2005) entnommen. Vielleicht ist das Ranking eine Erfindung Guttenberg'scher Dimension? Das wäre schön, denn das M. darf nicht sterben. Schon deshalb nicht, weil es unter den Moustacheartigen, und zu dieser Gattung der Olibas gehört das M., als fein ausrasiertes Dreieck mit langer Basis so etwas ist wie der Ironiker unter lauter Humorlosen. Es wird doch bitte niemand glauben, dass Walrossbartträger wie Heiner Brand ihre Bärte als feine, sich selbst auf charmante Weise auf den Arm nehmende Gesten begreifen könnten. Das sind keine Bärte, sondern humorfreie Zonen. Ganz anders das Menjou-Bärtchen, das nach dem Schauspieler Adolphe Menjou benannt ist und aus den 1920er Jahren stammt. Der ideale Träger des M. ist denn auch der Art-déco-Dandy. Auch dem würde man ein Comeback gönnen. Gerhard Matzig

Der Moustache

. (Foto: Katharina Bitzl)

Wohin die Reise des Moustache geht, den Großstadt-Hipster ja so lieb gewonnen haben, kann man an der Bundesliga-Moustache-Statistik ablesen, die im Bändchen "Fast alles über Fußball" enthalten ist. Im Jahr 1985 trugen 162 Bundesligafußballer einen Moustache, also einen handelsüblichen Schnauzbart, seitdem taumelt die Kurve nach unten. Der letzte nennenswerte Schnauzbartträger war im Jahr 2000 Ali Daei, ein Fußballgott aus Iran, der in jenem Jahr für Hertha BSC spielte. In Iran sind Schnauzbärte nach wie vor verbreitet, in der Bundesliga allerdings sind iranische Fußballer nicht sehr verbreitet, weshalb der Schnauzbart keiner großen Zukunft entgegensieht. Früher hatten insbesondere Kölner und Dortmunder Spieler prächtige Schnauzbärte, die man mit gewissem Recht als Moustache bezeichnen konnte, in diesem Jahr aber ist Dortmund komplett schnauzbartlos Meister geworden, bemerkenswert genug für einen Klub aus NRW, wo ja Schnauzbärte so geballt aufgetreten sind wie sonst nur im Iran. Holger Gertz

Der Zwirbelbart

Der Zwirbelbart war früher das, was heute die mechanische Edeluhr ist: Das Markenzeichen eines Mannes, der es geschafft hat - und sich vor Freude darüber kaum beherrschen kann. Alle Welt sollte es sehen, weil es ihm sprichwörtlich ins Gesicht geschrieben stand: Seht her, alle Barthaare führen steil nach oben! Ein Bart wie ein Dax-Index, der seit Wochen unaufhaltsam durch die Decke geht. Daran hat sich nichts geändert. Wer sich heute für den Zwirbelbart entscheidet, weiß um dessen unverkennbaren Signale: Wer sowas trägt, der hat früher die höchsten Legotürme gebaut, sein Weg auf der Karriereleiter war vorgezeichnet. In keinem Bart spiegeln sich Anspruch und Wirklichkeit so gefahrvoll wie in diesem Kunstwerk. Wer der Welt bartsymbolisch zuruft: Hoppla, hier bin ich, der muss dem Druck der Neider und Zweifler standhalten können. Davon kündet auch der Name der Bartbinde, die zur anhaltenden Formgebung unverzichtbar ist: François Haby, Hoffriseur Kaiser Wilhelms II., entwickelte dieses über Nacht zu tragende Instrument unter dem Titel: Es ist erreicht. Harald Hordych

. (Foto: Katharina Bitzl)

Der Drei-Tage-Bart

Es gibt Männer, die sich einfach nicht entscheiden können im Leben, oft sind das Spielernaturen, die gerne alles hätten: Geld, Sicherheit, eine feste Beziehung, aber zugleich das ständige Risiko, Abenteuer, die Freiheit der verblassten Jugend. Diese Männer sind nicht nur zu faul, um sich zu rasieren, sie wollen mit ihrem Drei-Tage-Bart auch ein Zeichen setzen. Seht her, ich muss nicht als glatter, gleichförmiger Funktionsmensch herumlaufen, ich bin doch noch ein Mann, und zwar im evolutionsgeschichtlichen Sinn. Zu einem richtigen Bart reicht der Mut allerdings nicht, dazu sind diese Typen eine Spur zu eitel. Zur Drei-Tage-Bart-Gruppe gehören unterschiedliche Typen, vom Selbstproduzenten Til Schweiger (wenn er gerade durchgefeiert hat), über den Designer Tom Ford (der seinen Drei-Tage-Bart wie ein kostbares Kleinod pflegt) bis hin zum grauen Entertainer Harald Schmidt (Faulpelz). Eine Untergruppe dieses Typs ist der melancholische Mann in den mittleren bis reifen Jahren, der etwas leicht Verwahrlostes hat. Dieser Kurzbartträger sieht immer ein wenig traurig aus, ungefähr so wie der Schauspieler Joachim Kròl im Tatort; außerdem drückt ihm sein Doppelkinn aufs Gemüt. Der einzig überzeugende Drei-Tage-Bart-Held ist und bleibt Terence Hill, der sich mit seinem Flaum neben dem Prankenungeheuer und Vollbartträger Bud Spencer lässig behaupten konnte. Und das ist eine virile Leistung. Christian Mayer

. (Foto: Katharina Bitzl)

Der Kaiser-Wilhelm-Bart

Mit dem Kaisertum war auch der gute alte Kaiser-Wilhelm-Bart aus der Mode gekommen, beides aus sehr guten Gründen. Der Kaiser Wilhelm, also der zweite, hat es ja fertiggebracht, aus dem feierlichen Amt das Schlechteste zu machen, was möglich war. Der Kaiserbart hat es fertiggebracht, so hässlich zu sein, wie es einem Bart nur möglich sein kann. Er geht allerdings auf den ersten Wilhelm zurück. Der Reichsgründer von 1871 ließ seinen Backenbart zu beiden Seiten wild wuchern und verband die Dickichte in der Mitte durch einen dichten Schnurrbart. Auch Österreichs Kaiser Franz Joseph schätzte diese Mode, die bei Militärs und Hofschranzen Nachahmer ohne Zahl fand. Wilhelm II. ließ zwar die Wangen kahl, steigerte aber den Aufstiegswinkel der Bartspitzen ins Unerhörte. Diese Art Bart fand man lange nur noch bei Spitzenvertretern des Bundes der Kriminalbeamten, alternden Bikern und Urmels Freund, dem singenden See-Elefanten aus der Augsburger Puppenkiste, der gerne zum Vortrag bringt: "Ich weiß nicht, was soll es bedeuten..." Das wissen auch die Kreativen nicht, die den Kaiserbart, Variante Kaiser eins, jetzt wieder wuchern lassen. Aber sie finden ihn so was von cool. Joachim Käppner

. (Foto: Katharina Bitzl)

Der Vollbart

Im bürgerlichsten aller Jahrhunderte, dem 19. nämlich, wuchs der Vollbart in den Gesichtern der Professoren, Familienväter, Künstler und Nichtsnutze - die männliche Welt bestand aus uniformierten Visagen, alle trugen sie Bärte, so als sei die männliche Wange dermaßen obszön, dass man sie verbergen müsste wie die Frauen ihr Knie. Danach hatte man vom Vollbart lange nichts mehr gehört. Ein paar Ausnahmemänner hatten ihn noch im Gesicht, Frauenmörder wie Landru, Beatpoeten wie Ginsberg und sonore Sugardaddys wie Elmar Gunsch. Aber jetzt tragen ihn die Dreißigjährigen wieder: voll und dicht, dafür kurz getrimmt wie ihre Karriereaussichten. Sie sehen meistens gut damit aus, weil der Vollbart mit dreißig noch juvenil wirkt. Die Kühnheit des Bartträgers erweist sich erst, wenn die ersten Haare grau werden. Partisanen stehen dann zu ihm. Feiglinge reißen ihn ab. Hilmar Klute

© SZ vom 14.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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