Tolle Technik:Leonie und ihr Horchi

Lesezeit: 3 min

Mit einem Cochlea-Implantat können viele gehörlose Kinder heute hören. Es fängt Geräusche aus der Umgebung ein überträgt diese an den Hörnerv im Innenohr.

Von Alexa Hennig von Lange

Leonie tanzt barfuß in der Mitte ihres Zimmers, ihre Füße bewegen sich im Takt über den bunten Teppich. Erst als sie bemerkt, dass Besuch da ist, nimmt sie eilig die Kopfhörer ab. "Hallo!" Begeistert erzählt sie, dass sie ein großer Fan der Sängerin Katy Perry ist und selbst gerne singt. Für die Elfjährige ist das ein ungewöhnlicher Satz, denn sie ist taub. Dass sie überhaupt Musik hören kann, liegt an einem Implantat, das sie seit ihrem zwölften Lebensmonat hinter den Ohren trägt.

Implantate übernehmen im Körper Aufgaben, die dieser nicht selbst erledigen kann. Zum Beispiel wegen einer Krankheit oder eines Gendefekts. Leonies Implantat heißt Cochlea-Implantat und ermöglicht ihr zu hören. Es besteht aus mehreren Teilen: Außen am Kopf sitzt ein Sprachprozessor mit einem Mikrofon, der Geräusche aus der Umgebung einfängt. Diese Geräusche werden dann an einen kleinen Empfänger gesendet, der unter der Haut hinter dem Ohr sitzt. Er wandelt die Geräusche so um, dass der Hörnerv etwas damit anfangen kann. Dann sendet er sie über eine extra verlegte Leitung an Leonies Innenohr. Das alles ist ziemlich kompliziert, und die Erfinder des Implantats mussten lange tüfteln, bis alles perfekt funktioniert hat.

Während Leonie zeigt, wie sie das Gerät mit der Batterie geschickt unter den Haaren versteckt, erzählt ihre Mutter, wie sie die Taubheit ihrer Tochter schon festgestellt hat, als diese noch ein Baby war: "Sie hat nicht auf unsere Stimmen reagiert. Aber zuerst haben wir gehofft, dass das nur an einer Erkältung liegt." Nach zwei Untersuchungen beim Arzt aber war klar, dass Leonie tatsächlich nichts hören kann. Deshalb entschieden ihre Eltern, ihr in einer vierstündigen Operation ein Cochlea-Implantat einsetzen zu lassen. Da war sie gerade mal elf Monate alt. "Aber die Kabel im Innenohr sind ziemlich lang. Deshalb wächst das Implantat quasi mit Leonie mit", sagt ihre Mutter. Den Sprachprozessor kann Leonie mit einem Magneten am Kopf anstecken und abnehmen, denn unter der Kopfhaut befindet sich ein zweiter Magnet. Er ist so flach, dass man ihn nicht sehen, sondern nur spüren kann. "Als Leonie im Kindergarten war, haben wir das Gerät trotzdem noch zusätzlich mit einem speziellen Kleber befestigt, damit sie es nicht verliert", erzählt ihre Mutter.

Abends, wenn Leonie im Bett liegt und eingeschlafen ist, nimmt ihre Mutter das Gerät ab. Damit Leonie morgens trotzdem rechtzeitig aufwacht, hat sie einen besonderen Wecker: Er piepst nicht, sondern blinkt und vibriert. Denn ohne den Sprachprozessor kann Leonie absolut nichts hören. "Das Vibrationskissen des Weckers liegt unter meinem Kopfkissen", sagt sie. "Guck mal, wie stark das brummt! Da werde ich auf jeden Fall wach." Nur wenn Leonie bei ihrer besten Freundin übernachtet, lässt sie das "Horchi" manchmal einfach am Ohr - denn sie will nichts von dem verpassen, was die beiden Mädchen sich nachts so erzählen.

Was die Lehrer sagen, wird über ein Mikrofon direkt in Leonies Ohren gesendet

Tagsüber ist das Cochlea-Implantat sowieso dabei. Sogar beim Fußballtraining lässt Leonie es am Kopf. Ein bisschen aufpassen muss sie trotzdem, denn beide Geräte sind exakt auf ihre Ohren abgestimmt und programmiert. Wenn etwas kaputtgeht, kann es deshalb schon mal ein paar Tage dauern, bis das Ersatzteil da ist. Eigentlich ist der Sprachprozessor aber ziemlich robust. Nur beim Baden im Pool oder unter der Dusche muss sie ihn abnehmen, denn er darf auf keinen Fall nass werden. "Dann müssen wir uns mit Händen und Füßen verständigen", sagt Leonies Mutter. Auch eine Plastikrutsche darf Leonie nicht runterrutschen, weil die statische Ladung feine Teile des Implantats durchschmoren könnte.

Für einen Augenblick wird Leonie nachdenklich: "Manchmal frage ich mich schon, warum ausgerechnet ich taub auf die Welt gekommen bin und nicht einfach rutschen oder in den Pool springen kann wie alle anderen Kinder."

Tatsächlich sorgt das Implantat aber dafür, dass Leonie fast alles genauso machen kann wie die anderen Kinder. Sie hat dadurch zum Beispiel sehr schnell Sprechen gelernt und eine schöne Stimmmelodie entwickelt. Außerdem ermöglicht ihr das Implantat, in eine normale Schule zu gehen. In ihrer Klasse sind vierundzwanzig Schüler. Damit Leonie in diesem ganzen Stimmenwirrwarr alles mitbekommt, tragen ihre Lehrer während des Unterrichts ein kleines Funkmikrofon am Pullover. Alles, was sie sagen, wird direkt an Leonies Sprachprozessor gesendet. Ganz ausblenden kann sie die anderen Geräusche aber nicht. Deshalb ist es für Leonie manchmal sehr anstrengend, alle Informationen zu verstehen.

Vielleicht ist das auch der Grund, warum Leonie ihrer Mutter manchmal kein Zeichen gibt, wenn die Batterie des Sprachprozessors leer ist. Sie sitzt dann am Tisch und lächelt und nickt freundlich, während ihre Mutter redet. Es dauert dann immer ein bisschen, bis ihre Mutter merkt, dass Leonie sie gerade gar nicht hören kann. Aber wenn Eltern quasseln, schaltet schließlich jeder mal auf Durchzug - ob mit den eigenen Ohren oder ihrem Ersatz.

© SZ vom 21.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: