Tipps vom Lawinen-Profi:Der weiße Tod

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Wer abseits der Pisten ein paar Grundregeln befolgt, minimiert die Gefahr, in eine Lawine zu geraten. Ganz ohne Restrisiko bleibt das Tiefschneevergnügen aber nie.

Stephan Bernhard

"Wenn eine Skispur durch einen Hang geht, heißt das nicht, dass in dem Hang keine Lawine abgehen kann. Es kann auch erst der Zwanzigste sein, der die Lawine auslöst," erklärt Paul Mayr und räumt auch gleich noch mit einer weiteren Legende auf: "Vor einer Lawine davonfahren, das gelingt höchstens in einem von hundert Fällen."

Zehn Zentimeter Neuschnee bei Sturm reichen aus, um eine mitunter tödliche Lawine auszulösen. (Foto: Foto: AP)

Mayr weiß, wovon er redet. Seit Jahren arbeitet es als Bergführer und leitet sogenannte Lawinencamps, bei denen er Skifahrer und Snowboarder über die Gefahren abseits der gesicherten Pisten aufklärt. Der Innsbrucker ist überzeugt, dass jedes Jahr etliche der weit mehr als 100 Lawinenunfälle im Alpenraum vermeidbar wären, wenn alle Tourengeher und Variantenfahrer ein paar Regeln beachten würden.

"Vor jeder Tour muss man unbedingt den Lawinenlagebericht lesen", schärft der Bergführer ein. "Schon ein Blick auf die fünfteilige Gefahrenskala gibt Auskunft über die aktuelle Situation." Denn selbst 40 Zentimeter Neuschnee, die bei Windstille gefallen sind, müssen keine große Bedrohung für Abfahrten im Tiefschnee darstellen.

Dagegen reichen zehn Zentimeter Neuschnee bei Sturm aus, um die Lawinengefahr enorm zu erhöhen. "Der Wind ist der Baumeister von Lawinen", sagt Mayr und erklärt weiter: "Er verfrachtet den Schnee, lässt Wechten und mächtige Triebschneepakete an den Bergkämmen und in Rinnen entsehen. Meist ist dieser eingewehte Schnee nur schlecht mit dem Untergrund verbunden. Ein fragiles Gebilde, dass sehr leicht durch einen Skifahrer gestört werden kann und dann als Lawine losbricht."

Lebensrettende Faustformel

"Gefahrenstufe rauf - Steilheit runter", lautet ein anderer Tipp des Bergführers. Damit meint er, dass man sich bei Gefahrenstufe 2, also mäßiger Lawinengefahr, in bis zu 40 Grad steile Hänge wagen kann. Bei erheblicher Gefahr, also Stufe 3, sollte keine Abfahrt steiler als 35 Grad sein. "Natürlich ist es nicht immer leicht, das Gefälle richtig einzuschätzen", sagt Mayr. "Als Faustformel gilt, dass Rinnen im felsdurchsetzten Gelände 40 Grad und steiler sind."

Aber genauso wichtig, wie die Wahl der richtigen Abfahrtsroute ist das Verhalten bei der Abfahrt selbst. "Nicht alle zusammen losfahren, sondern einer nach dem anderen. Denn je mehr Skifahrer gleichzeitig ihre Spuren ziehen, desto größer ist die Belastung auf die Schneedecke und so die Gefahr ein Schneebrett loszutreten."

Tiefschneefans, die diese wenigen Verhaltensregeln beherzigen, können das Risiko, in eine Lawine zu geraten, stark reduzieren. Denn nach Untersuchungen des Instituts für Schnee- und Lawinenforschung in Davos ereignen sich 70 Prozent der Lawinenunfälle genau in den Hängen, vor denen der tägliche Lawinenbericht warnt.

"Ein Restrisiko bleibt aber immer", erinnert Mayr. "Daher lautet die wichtigste Regel: Niemals allein und ohne Notfallausrüstung die Pisten verlassen! Dazu gehören ein LVS-Gerät (Lawinenverschüttetensuchgerät), eine Schaufel und Sonde" Bei einem Lawinenunfall bleiben nur 15 Minuten, um das Opfer zu bergen, danach sinkt die Überlebenswahrscheinlichkeit rapide. Viel zu wenig Zeit, um die Bergrettung zu rufen.

Die einzige Chance für einen Verschütteten sind seine Freunde, die hoffentlich mit ihren Lawinenpiepsern umgehen können. In einem Feldversuch wurde gestoppt, wie lange Retter brauchen, um einen Verschütteten aus einem Meter Tiefe zu bergen: Mit der kompletten Notfallausrüstung elf Minuten. Etwa 90 Prozent aller Opfer würden dann noch leben.

Nur mit LVS-Gerät und Schaufel, aber ohne Sonde, benötigten die Retter schon 25 Minuten. Ohne Schaufel und somit gezwungen, mit den Händen zu graben, dauerte es mehr als eine Stunde zu dem Verschütteten vorzudringen. So lange überlebt ein Mensch unter den Schneemassen aber nur durch ein Wunder.

Zum Schluss verrät Paul Mayr noch einen Tipp: "Vertraut auf euer Gefühl. Wenn euch beim Gedanken an die Abfahrt mulmig wird, dann lasst es sein."

Täglich aktuelle Informationen über die Situation im Gebirge gibt es vom Lawinenwarndienst in Deutschland, in Österreich und der Schweiz .

Gebührenfreie Lawinencamps, um mehr über alpine Gefahren und deren Vermeidung zu lernen, werden von SAAC ( snow & avalanche awareness camps) bis Anfang April angeboten.

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