Thema der Woche:Nächster Halt: Leben

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Gerettet: Die Geflüchteten auf dem grauen Schlauchboot können an Bord der Lifeline. Das schwarze Gummiboot sichert den Einsatz ab. (Foto: Hermine Poschmann)

Wer Menschen in Seenot rettet, riskiert harte Strafen. Kapitän Claus-Peter Reisch fährt trotzdem in seiner Freizeit über das Mittelmeer, um Geflüchtete vor dem Ertrinken zu bewahren.

Interview von Georg Cadeggianini

SZ: Herr Reisch, Sie sind Automechaniker. Und Kapitän auf einem Schiff, das Menschen in Seenot hilft. Fahren Sie da einfach los und halten Ausschau?

Nein, so würden wir niemanden finden. Das Mittelmeer ist riesig. Und da die Erde eine Kugel ist, verschwinden die niedrigen Schlauchboote hinter der Erdkrümmung. Selbst bei kleinen Wellen kann man nur zwei Kilometer weit sehen, mit einem guten Radar etwa zehn. Wir überblicken also nur sehr kleine Zonen. Und wir fahren langsam, etwa vier, fünf Knoten. Das ist Spielstraßentempo.

Man muss also schon genau wissen, wohin?

Die Schlauchboote legen nur bei günstigen Winden ab, am besten mit Rückenwind. Dann muss ich rechnen, wo sie sein könnten. Fingerspitzengefühl gehört auch dazu.

Was passiert, wenn Sie ein Boot sichten?

Wir fahren mit unserem Rettungsschlauchboot raus, mit dabei: große Tüten mit Schwimmwesten. Dann zeigen wir den Geflüchteten, wie sie die anziehen müssen. Das ist wie im Flugzeug vor dem Start.

Manche Länder wollen Geflüchtete nicht aufnehmen. Was machen Sie dann?

Dann muss man als Kapitän eine Entscheidung treffen. Möglich, dass man da gegen Vorschriften verstößt. Vor einer Woche wurde meine Kollegin Carola Rackete verhaftet. Inzwischen ist sie wieder frei. Auch mir ist das schon passiert. Ich bin der Überzeugung: Not kennt kein Gebot.

Sind Sie je einem Flüchtlingsboot begegnet, bei dem Sie gedacht haben: Die schaffen das auch ohne mich?

Nein. Die Boote sind bereits bei der Abreise in Seenot. Sie sind gar nicht dafür gemacht, Europa zu erreichen. Sie bräuchten dafür mindestens 400 Liter Benzin. Dabei haben sie selten mehr als 70. Dazu sind sie komplett überfüllt. Manchmal drängen sich da 120 Menschen, das sind vier Schulklassen - auf einem zehn Meter langen Boot.

Was passiert mit den Booten der Geflüchteten?

Schlauchboote schlitzen wir auf, Holzboote stecken wir in Brand. Wir wollen nicht, dass sich damit jemand noch mal in Gefahr bringt.

© SZ vom 06.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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