Stilkritik:Den Tod auf der Brust

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Ist die Gesellschaft verunsichert, greift sie gern zum starken Symbol. Warum der Totenkopf auf T-Shirts ein Dauerbrenner ist.

Eckhart Nickel

Es war sicher keiner der besseren Tage meiner Adoleszenz. Ich saß im extrem wild plakatierten Jugendzimmer und hörte die neue LP von Discharge. Sie hieß, passend zum Ikonenbild der Affen, "See nothing, say nothing, hear nothing". Der superschnelle Speedpunk kratzte aus den Boxen, der Sänger fragte gerade, ob ich den Sound einer enormen Tür hören könne, die in den Tiefen der Hölle zugeschlagen wird, und ich zog eine passende Weltuntergangsschnute, als im selben Moment meine Mutter hereinkam und fragte: "Was ist denn das, klingt interessant, wie heißt die Band?"

Wieder war ein verzweifelter Rebellionsversuch im Ansatz erstickt, an meiner Wand hing der Totenkopf auf einem T-Shirt dazu und schien mich sehr süffisant anzugrinsen, als meine Ernährerin mit dem Gruppennamen auf einem Notizzettel glücklich entschwand. Ich meinte es ernst.

Ist die Gesellschaft verunsichert, greift sie gern zum starken Symbol. Das war schon immer so und gilt in diesem Frühsommer vermehrt für das ernsthafteste Symbol der Menschheit: den Totenschädel.

Ob auf der Fahne von Johnny Depps "Piraten der Karibik", dem Marmorbildnis auf dem Schreibtisch der strengsten Stilistin unserer Magazinwelt, oder dem Kunstwerk der Saison von Englands Enfant terrible Damien Hirst: sein mit 8601 ethisch korrekten Diamanten besetzter Totenkopf aus Platin mit dem erlesenen Titel "For the Love of God" ist mit dem noch erleseneren Preis von 50 Millionen Britischen Pfund Jasper Johns' "Figure 4" um satte zwanzig Millionen US Dollar überlegen und stellt die allfällige Vanitasfrage der Kunst eher laut in den Raum.

Seit Shakespeares Hamlet mit Yoricks Schädel in der Hand die entscheidenden Existenzantworten einforderte, macht das knochenharte Symbol auf den Missstand aufmerksam, dass wir nicht auf diese Welt kommen, um zu bleiben, sondern uns zu beschweren, dass das nicht so ist. Hilft aber auch nichts.

Der Modeschöpfer Dirk Schönberger verteilte einst bei einer seiner Schauen in Paris schicke Badges mit einem Schädel und zwei gekreuzten Gitarren, dazu den Aufruf "Bildet Banden!" Tod als Gruppenarbeit? O.k.. Nur Salvador Dalí war wieder noch schlauer: Er arrangierte das Symbol gleich aus sieben nackten Frauen. Wenn schon tot, dann in Begleitung. Et in arcadia ego.

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