Reportage:Lesefüchse

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Die Kinder vom Riegsee freuen sich über ihr Werk. In der Mini-Bücherei wollen sie Qualität sehen und keinen Schund, sagen sie. (Foto: Johannes Simon)

Eine Gruppe von Kindern aus einem bayerischen Dorf hat in diesem Jahr eine ganz besondere Ferienaktion realisiert: Aus einer alten Telefonzelle wurde eine Bücherei für alle Dorfbewohner. Sie sind sehr stolz auf ihr Projekt.

Von Tahir Chaudry

Still wie in einem Bilderbuch liegt der Riegsee da. Zwischen Wäldern und Bergen glitzert er im Sonnenlicht. Hier bleiben die Kinder nicht zu Hause vor dem Computer sitzen. Fast immer sind sie draußen, sagen die Eltern aus dem Dorf. Vielleicht liegt es auch an Johannes Volkmann. Der Künstler hatte dieses Jahr in den Sommerferien eine dreitägige Schnitzwerkstatt für Kinder angeboten.

Was dabei entstanden ist, macht nicht nur die Kinder stolz. Es ist auch ein bisschen berühmt. Gemeinsam mit dem Buchautor Jörg Steinleitner, 35, hatte Johannes Volkmann schon öfter darüber nachgedacht, einen Bücherschrank im Dorf aufzustellen, wo man Bücher rausnehmen und andere Bücher hineinlegen kann. Steinleitner, der Kriminalromane und Kinderbücher schreibt, hatte nämlich irgendwann gemerkt: "Einer im Dorf kauft sich eines meiner Bücher, und dann verleiht er es weiter." Das könnte man doch immer so machen, dachte er - eine Art Riegseer Bücherschrank. Johannes Volkmann sprach beim Bürgermeister vor. Dessen Sekretärin fiel ein, dass eine alte Telefonzelle ungenutzt herumsteht.

Ein Bücherregal, ein paar selbst geschnitzte Hinweisschilder und ein Dach aus Blech - und nebenbei erfährt die Generation Smartphone, wozu eine Telefonzelle einst gut war.

Etwa 15 Kinder von acht bis vierzehn Jahren beteiligen sich an dem Projekt. Zwei feste Regeln gibt es: "Erstens: Wenn der Holzhammer bei der Arbeit immer oberhalb des Schnitzmessers bleibt, kommt nichts unters Messer. Zweitens: Messer erst hinlegen, dann loslaufen". Kein Kind hat sich verletzt.

Viele Menschen aus dem Dorf haben die Kinder unterstützt: Ein Bauer stellte ihnen seine Scheune zum Arbeiten zur Verfügung. Ein Nachbar spendierte eine Linde (und damit das Holz zum Schnitzen), ein paar Mütter kochten. Die Kinder schnitzten Ornamente in die Außenverkleidung aus Holz, gravierten "Für Kinder", "Für Erwachsene" und "Leselampe" in kleine Holzschilder für den Schrank und "Dorfbücherei" sowie "Täglich geöffnet" für draußen.

"Das Geniale ist, dass die Kinder jetzt stolz sind und von selbst Verantwortung für ihre Bücherei übernehmen", sagt Steinleitner. Neben dem Häuschen ist die Bushaltestelle, von der aus die Kinder aus dem Dorf zur Schule fahren. Jeden Tag wollen sie nach dem Rechten sehen.

Antonia Höck, zehn Jahre, hatte großen Spaß: "Ich mag schnitzen, weil dabei immer was Schönes rauskommt. " Momo Steinleitner, Jörgs zehnjährige Tochter, hat schon erste Bücher hineingestellt. Es sind "lustige und spannende" Geschichten.

"Ich frage mich manchmal, wie wir es geschafft haben, dass die Bücherei so schön wurde" , sagt sie. Und Barbara Mayr, 13, sagt: "Ich lese eigentlich selten Bücher, aber jetzt vielleicht mehr." Steinleitner und Volkmann freuen sich über die große Begeisterung für die Mini-Bücherei. Sie wollen das Projekt nun in die Orte der Umgebung bringen.

© SZ vom 17.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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