Prothesen:Gefährliche Reibung

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Ingenieure und Ärzte suchen nach Materialien, die Implantate haltbarer und verträglicher machen.

Katrin Blawat

In das künstliche Kniegelenk hatte der Patient seine ganze Hoffnung gesetzt. Doch auch nach Einbau des Implantats ließen die Schmerzen nicht nach. Er musste ein zweites Mal auf den Operationstisch, und als der Chirurg das Knie geöffnet hatte, erschrak der an unappetitliche Bilder gewöhnte Operateur: Das Gewebe rund um das Gelenk war schwarz gefärbt durch Metallabrieb, der sich vom Implantat gelöst hatte.

Weil der künstliche Schaft abgerieben ist, hat sich der Hüftkopf (weiß) dieses Implantats gelöst. (Foto: Foto: oh)

"Das ist ein schrecklicher Anblick, wenn man es zum ersten Mal sieht", sagt Wolfgang Plitz, der das Labor für Biomechanik und experimentelle Orthopädie der Ludwig-Maximilians-Universitätsklinik in München leitet. Etwa 70000 künstliche Kniegelenke und 200000 Hüftimplantate werden jährlich in Deutschland verpflanzt.

Widerspruch auflösen

Und immer stellt sich das gleiche Problem: Die Ersatzteile müssen einerseits so stabil sein, dass sie den jahrelangen mechanischen Belastungen standhalten. Andererseits müssen sie biokompatibel sein, dürfen also dem Körper nicht schaden. Lange Zeit schien es nahezu unmöglich zu sein, dass ein Implantat beide Anforderungen gleichzeitig erfüllt. Jetzt arbeiten Mediziner und Werkstoffwissenschaftler gemeinsam daran, den Widerspruch aufzulösen.

Besonders fest muss der Teil des Kunstgelenks sein, der im Knochen verankert wird. "Ein Hüft-Implantat hält heute 15 bis 20 Jahre", sagt Plitz. In dieser Zeit muss es eine Menge aushalten: Jeder Schritt belastet das Hüftgelenk mit dem Zweieinhalb- bis Dreifachen des Körpergewichts. Durchschnittlich 20000 Schritte macht ein Mensch pro Tag, das sind 7,3 Millionen Schritte im Jahr. Legierungen aus Titan eignen sich am besten,

um das künstliche Gelenk im Knochen fest zu verankern. "Titan-Implantate wachsen schnell und fest im Knochen ein", sagt Plitz. Auch die mechanischen Eigenschaften dieses Materials sind bisher unübertroffen: Über einen langen Zeitraum ist es sehr belastbar. Sorgen macht Ärzten und Ingenieuren eher das Gleitmaterial, aus dem die beweglichen Module wie Gelenkpfanne und Hüftkopf hergestellt werden.

Weil diese Teile bei jedem Schritt aneinander reiben, lösen sich in den ersten zwei Jahren nach dem Einbau mikroskopisch kleine Partikel von der Endoprothese und sickern ins Gewebe. Zunächst kommt der Körper damit gut zurecht, denn die körpereigenen Fresszellen vernichten die vagabundierenden Fremdkörper.

zu klein für die Fresszelle

Nur wenn der Materialabrieb länger anhält, versagt dieser Mechanismus: Partikel, die sich erst nach einigen Jahren vom Implantat lösen, sind zu klein, als dass die Fresszellen sie noch erkennen könnten. Dann entzündet sich das umliegende Gewebe - und das Implantat muss wieder herausgenommen werden.

Vermeiden lässt sich der starke Abrieb bisher kaum. Ob Metall oder Kunststoffe wie Polyethylen: Oft ist das alte Implantat bereits bis zur Hälfte durchgewetzt, wenn Chirurgen es nach ein paar Jahren wieder entfernen müssen. Seit kurzem verwenden Ärzte sogenanntes Crosslink-Polyethylen, ein neuer Typ des Kunststoffs. Begeistern konnte sich Plitz bislang allerdings nicht dafür, denn Materialabrieb gebe es auch mit diesem Stoff noch reichlich. "Ich habe schon viele Flops erlebt. Wir sind immer noch auf der Suche nach dem perfekten Implantat."

An dieser Fahndung beteiligt sich auch das Friedrich-Baur-Institut für Biomaterialien (FBI) in Bayreuth. Dort steht die Frage im Mittelpunkt: Wie verkraftet es der Organismus, wenn sich jahrelang ein Fremdkörper in ihm befindet? Um das Leben mit dem Fremdkörper zu erleichtern, hängen die Bayreuther Wissenschaftler dem Implantat chemische Gruppen an, die zwischen Prothese und Gewebe vermitteln sollen. "Das können zum Beispiel Wachstumsfaktoren sein, die körpereigene Zellen anlocken und so das Einheilen des Implantats fördern", sagt Ingenieurin Martina Feldmann.

Doch reicht dieser Trick alleine nicht aus, um das Implantat bioverträglich zu machen. Bei jeder Operation gelangen Bakterien in den Körper, die sich im ungünstigsten Fall schneller auf der Prothese ansiedeln als körpereigene Zellen. Daher haben die Mitarbeiter des Friedrich-Baur-Instituts eine Beschichtung für die Endoprothesen entwickelt, die gleichmäßig Kupferionen in den Körper abgibt.

Patent beim FBI

Diese Ionen verhindern, dass sich Bakterien vermehren können, schädigen aber Körperzellen nicht. "Über die Dicke der Beschichtung und die Konzentration der Ionen können wir die Stärke des Effekts einstellen", sagt Institutsleiter Günter Ziegler. Das System, für das das FBI ein Patent besitzt, habe sich in der Praxis bereits bewährt.

Nicht alles, was das Implantat in den Körper absondert, hat so positive Auswirkungen wie die sorgsam dosierten Kupferionen. Titanlegierungen etwa bestehen nur zur Hälfte aus dem Körperfreundlichen Metall, der Rest ist ein Gemisch aus Nickel, Kobalt, Chrom und Molybdän. Zwar bildet sich auf dem Implantat schnell eine schützende Oxidschicht, die verhindert, dass Ionen aus der Legierung in den Körper gelangen.

Doch dem Angriff der Zellen und Körperflüssigkeiten ist diese Schutzschicht auf Dauer nicht gewachsen. Die Metalle, die aus dem Implantat austreten, schaden langfristig und in hohen Dosen dem Körper. Daher besteht ein weiterer Ansatz am FBI darin, die Implantatoberfläche so zu versiegeln, dass die giftigen Ionen nur noch sehr langsam und in geringen Konzentrationen in das Gewebe gelangen.

Gegen die Metallallergie

Vor allem für Menschen mit Metallallergien kann eine solche Entwicklung die einzige Lösung sein, um mit Endoprothesen leben zu können. Denn Nickel, Kobalt, Chrom und Molybdän können nicht nur allergische Reaktionen hervorrufen, wenn sie als Bestandteil von Schmuck auf der Haut getragen werden.

Allmählich setzt sich die Einsicht durch, dass Allergien auch eine Ursache für die Unverträglichkeit von Implantaten sein können. Drei bis vier Mal pro Woche kommen Patienten zu Peter Thomas, bei denen der Hautarzt von der Münchner Universitätsklinik eine Implantat-Allergie diagnostiziert. "Die Patienten klagen über Ekzeme, Ausschläge und Schwellungen über der Endoprothese", berichtet der Dermatologe.

Nicht jeder Körper, der ein nickelhaltiges Armband verträgt, ist gegenüber einem Implantat tolerant. "Umgekehrt gibt es auch Patienten, die Nickel auf der Haut nicht ertragen, mit einem entsprechenden Implantat aber keine Probleme haben", sagt Thomas. Der Hauttest, mit dem Ärzte Allergien normalerweise feststellen, hilft dem Arzt bei seinen Diagnosen also nicht viel.

Noch wissen Mediziner und Betroffene nicht gut Bescheid über Implantat-Allergien. Peter Thomas hat jüngst eine Arbeitsgruppe gegründet, in der Ärzte und Ingenieure daran arbeiten, Implantate besser verträglich zu machen.

Für den Patienten scheint allerdings ein ganz anderer Faktor ausschlaggebend zu sein, ob er mit der neuen Hüfte oder dem künstlichen Kniegelenk zurechtkommt: Wichtiger als das Material, so hat eine schwedische Studie ergeben, ist die Geschicklichkeit und Erfahrung des Chirurgen, der das Implantat einsetzt.

© SZ vom 12.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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