Prinz Harry:Der Rüpelprinz

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Weil die Verfassung Harry sowieso nur als Notnagel vorsieht, reduziert ihn die Boulevardpresse auf den nichtsnutzigen Rüpel.

Wolfgang Koydl

Im engen Zirkel der "Firma" - wie sich die britische königliche Familie in realistischer Selbsteinschätzung nennt - heißt er "The Spare": die zweite Wahl, das Reserverad, der Notnagel für den Fall, dass der Nummer eins etwas zustößt. So herablassend, ja brutal der Spitzname auch ist, er drückt doch die Wirklichkeit aus: Prinz Harry ist nun mal nur der Zweite in der Thronfolge hinter seinem älteren Bruder William.

Prinz Harry: Von ihm wird offiziell kein staatstragendes Benehmen erwartet - drum schlägt er unbesorgt über die Strenge. (Foto: Foto: dpa)

Es ist ein Zustand, um den der 23-Jährige nicht zu beneiden ist und der indirekt zu seinem überwiegend schlechten Ruf in den Massenmedien beigetragen hat. Denn die Verfassung sieht keine Rolle für jemanden wie ihn vor. Ähnlich die "spares" von Prinz Charles, Harrys Onkel Andrew und Edward sowie Tante Anne, weiß auch er nicht so genau, was er mit seinem Leben einmal anstellen soll.

Williams Lebensweg war von Geburt an vorgezeichnet, Harry muss sich eine Aufgabe suchen. Weil indes von Harry - anders als vom stets ernst dreinblickenden künftigen König William - kein staatstragendes Benehmen verlangt wird, hat ihm die Presse das Etikett des zechfreudigen Schmuddelprinzen aufgeklebt, seitdem er im Alter von 15 Jahren zum ersten Mal mit einem Bierglas in der Hand abgelichtet wurde.

"Ich bin kein Playboy und kein Partyprinz", hat sich Harry mehr als einmal gegen solche Klischees verteidigt. "Ich bin ein Teenager, der gerne abends ausgeht. Aber egal, um welche Zeit ich aus einem Club komme - in der Presse ist es immer vier Uhr morgens." Nun also haben sich die Boulevardzeitungen - zum wievielten Male schon? - über seine stürmische Beziehung zu Freundin Chelsy Davy erregt. Die junge Frau, so meldeten die Gazetten mit hechelnder Zunge, habe dem Prinzlein den Laufpass gegeben und die Flucht heim nach Südafrika angetreten, nachdem er das Endspiel der Rugby-WM einer Geburtstagsparty mit ihr vorgezogen hätte und anschließend mit einer langbeinigen Brünetten ertappt worden sei.

Zechen gegen den Frust Was die Redakteure freilich übersehen: Wenn Harry wirklich ein derart leichtlebiger Playboy wäre, hätte er dann mehr als drei Jahre lang eine Liebesbeziehung durch mehrere emotionale Täler und über 10000 Kilometer Entfernung zwischen Kapstadt und London aufrechterhalten? ,,Er liebt sie und er will die Sache mit ihr durchsprechen'', versichern Freunde. Erst im September war Chelsy ins nordenglische Leeds gezogen, um ihrem Freund näher zu sein. Doch inzwischen fällt ihr in der zugigen Studentenbude die Decke auf den Kopf. Wer die triste nordenglische Industriestadt im nasskalten Herbst kennt, wird Chelsys Fluchtgedanken nachvollziehen können.

In der als Endlosschleife laufenden Seifenoper, auf welche die britische Presse unter Führung des australischen Anti-Monarchisten Rupert Murdoch die Royals reduziert hat, wird jedem Familienmitglied eine Rolle zugewiesen: die Queen als gütige aber kühle Mutter der Nation, Prinz Philip als permanent übellauniger Krypto-Fascho und Rassist, Prinz Charles als Exzentriker mit wunderlichem Geschmack für Architektur, Agrarerzeugnisse und Amouren, und William als Prince Charming. Für Harry, den Rothaarigen, blieb das Fach des hässlichen Entleins, des schwarzen Schafes. Es ist kein Zufall, dass der letzte Royal in dieser Rolle Prinzessin Margaret war, Königin Elisabeths jüngere Schwester und somit ihr "spare".

Das bedeutet freilich nicht, dass Harry seinem Ruf nicht mitunter gerecht würde. Unvergessen ist die Kostümparty, die er in Nazi-Uniform besuchte; auf einem Geburtstagsfest verschluckte er einen lebenden Goldfisch, und beim Alkoholgenuss macht er sowieso jeden Blödsinn mit. Unlängst kam heraus, dass er auch die jüngste Kneipenidiotie ausprobierte und Wodka durch die Nase einatmete.

Freunde des Prinzen verteidigen solch Verhalten mit seiner Unreife, Unsicherheit und Einsamkeit. ,,Ausgehen und sich betrinken ist seine Art, Dampf abzulassen", teilte ein Bekannter Harrys der Daily Mail mit. "Aber allmählich muss er wirklich erwachsen werden." Und ein anderer Freund erinnerte an die Entscheidung des Verteidigungsministeriums, den jungen Leutnant nach Abschluss seiner Ausbildung nicht zu einem Kampfeinsatz nach Afghanistan oder in den Irak zu entsenden: "Das hat ihn zutiefst enttäuscht und frustriert, und dann fängt er eben an, seine Sorgen zu ertränken."

Dies freilich ist nur die eine Seite des Prinzen. In Interviews oder bei öffentlichen Auftritten im Sommer anlässlich des zehnten Todestages seiner Mutter, Diana von Wales, zeigte er, dass er warmherziger, emotionaler und nachdenklicher ist als sein Bruder. Es ist ein offenes Geheimnis, dass er der Mutter näher stand als William. Unbekannt ist, ob einer der Gründe dafür die traurige Tatsache war, dass er als Junge schon Spekulationen anhören musste, ob Rittmeister James Hewitt sein natürlicher Vater sei, und nicht Charles.

Am wohlsten fühlt sich Harry im südafrikanischen Kleinstaat Lesotho. Dort hat er die Stiftung Sentebale (Vergissmeinnicht) gegründet, die sich um Waisen und um Aids-Opfer kümmert. Die Prinzenwürde - oder Bürde - fällt von ihm ab, wenn er Bäume pflanzt, mit Kindern spielt oder Wände hochmauert. "Was mich betrifft, habe ich mich hier für den Rest des Lebens verpflichtet", meinte Harry. "Ich bin hier, um das zu tun, was meine Mutter sich von mir gewünscht hätte."

© SZ vom 14.11.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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