Porträt:Der epische Parfumeur

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Er hat eine der feinsten Nasen der Welt. Eine seltene Audienz bei Serge Lutens in Paris

Alex Bohn

Der Mann ist nicht von dieser Welt. Wie ein vergessener Held der Stummfilmzeit steht Ausnahmeparfumeur Serge Lutens im Hotel Ritz und sticht in Sachen Eleganz seine formvollendete Umgebung noch aus: Im schwarzen Maßanzug, mit polierten Lederschuhen, schwarzer Krawatte, weißem Hemd und silbernen Manschettenknöpfen. Das lichte schwarze Haar hat er mit Brillantine zum strengen Seitenscheitel gekämmt, seine Hände sind perfekt manikürt, und man würde sich nicht wundern, wenn die feinen schwarzen Haare auf seinem Handrücken in Form gekämmt wären.

Serge Lutens ist zu leise, zu sanft und zu wohlerzogen für diese Welt. (Foto: Foto: AFP)

Serge Lutens ist zu leise, zu sanft und zu wohlerzogen für diese Welt. Sein Händedruck ist so zart, dass man sich nicht sicher sein kann, ob es wirkliche Hände waren, die man da berührt hat. Wenn Lutens einem gegenübersitzt, mit nach vorn gezogenen Schultern, leicht gesenktem Kopf und einen aus großen, tief umrandeten Augen unverwandt ansieht, gleicht er dem melancholischen Pierrot aus dem Bild von Watteau. Welcher Zeit gehört er nur an?

Überhaupt stellt man sich, wenn man mit Serge Lutens Zeit verbringt, eine Unmenge Fragen. Wie hat dieser Mann seinen Weg vom mittellosen 14-jährigen Friseurlehrling in Lille, zum Hair/Make-up Artist der französischen Vogue gemacht? Was hat er für die Kosmetik-Konzerne der Häuser Dior und Shiseido getan? Wie ist es möglich, dass er unter seinem Namen seit 1992 Jahr für Jahr unbeirrt zwei neue Düfte lanciert, obwohl die immer so sperrig sind, das kein einziger von ihnen jemals einen Fokusgruppentest überstehen würde? Und wie kommt es, dass gerade diese Düfte als Inbegriff von Luxus gelten?

In seinen Antworten ist Serge Lutens selten verbindlich oder konkret. Lieber schweift er ab, und erzählt mit leiser Stimme von Duftentwicklungen, oder schaut einen für Momente so unentwegt an, dass man sich zu fragen beginnt, ob man irgendwas im Gesicht hat oder etwas Falsches gesagt. Kurzum: Er ist charmant, irritierend und ein wenig irre.

Der 1942 in Lille geborene Lutens, so erzählt er selbst, interessierte sich nie sonderlich für die Schule. Mit 14 Jahren suchte er einen Berufsberater auf, der ihm zwei Eignungen bescheinigte: zum Landschaftsarchitekten und zum Friseur. Da Ersteres ein Studium erfordert hätte, begann Lutens seine Ausbildung zum Friseur. Trotz seiner Unerfahrenheit schnitt er Kundinnen von Anfang an extravagante Kurzhaarfrisuren mit ausrasiertem Nacken. Nicht gerade eine Frisur, die dem damaligen Zeitgeist entsprach. Doch die Kundinnen liebten Lutens' Unerschrockenheit, und er dokumentierte seine Schnitte mit einer Kodak-Einweg-Kamera.

Wenige Jahre später stellte er sich mit seinen Bildern bei der französischen Vogue vor. Sofort begann er als Hair/Make-up Artist. Sich den blässlichen, schüchternen Lutens in einer hysterischen Moderedaktion vorzustellen, fällt schwer. Doch im zarten Alter von 20 Jahren arbeitete Lutens nun mit Fotografen wie Richard Avedon, Irving Penn und Guy Bourdin. Kurz darauf warb ihn das Haus Dior ab und ernannte ihn zum Creator of Colors. Als Herr der Farben entwickelte Lutens fortan die Kosmetik des Modehauses. Am Küchentisch skizzierte er Farbpaletten für Lidschatten und Puder, Konsistenzen und Farben mischte er, indem er die Zutaten in der eigenen Kaffeemaschine kleinmahlte. Ein eigenes Labor erhielt Lutens, als er 1980 das Angebot des japanischen Kosmetik-Konzerns Shiseido akzeptierte. Fortan verantwortete er nicht nur die Farben, sondern die gesamte visuelle Identität des Hauses. Für Shiseido entwickelte Serge Lutens Anfang der neunziger Jahre auch seine ersten Düfte.

Ihn interessiert das Animalische, das Unzivilisierte

Damals waren Unisex-Düfte wie CK-one von Calvin Klein populär. Lutens arbeitete in entgegengesetzter Richtung. Sein zweites Parfum "Féminité du Bois" basierte auf dem Duft eines kleinen Stücks Zedernholz, das Lutens über Jahre in einer Schachtel verwahrt hatte. Der Duft war schwer, komplex und sperrig. Gleichzeitig bot er Tiefe und die Eleganz, die zeitgenössischen Parfums fehlte. Serge Lutens hatte seine neue Berufung gefunden. Er war Parfumeur. Oder, wie er sagt: "Nicht ich finde die Dinge, sondern die Dinge finden mich."

Mit seinen Parfum-Entwicklungen zeigt Serge Lutens, dass er nur seinem eigenen kreativen Kosmos verpflichtet ist, der Geschmack der Zeit interessiert ihn nicht. Seine Düfte riechen wie sie heißen: Rose de Nuit, Encens et Lavande oder Fleurs d'Oranger. Die "Rose der Nacht" duftet so intensiv nach Rosen wie kein anderes Parfüm. Gefälligkeit kümmert Lutens nicht. Einen Duft wie ,,Muscs Koublai Khan" entwickelt er, weil er von Kublai Khan, dem mongolischen Herrscher aus der Zeit Marco Polos, eben fasziniert ist. Ihn interessiert dabei das Animalische, das Unzivilisierte, und er wählt Moschus als vordringlichste Note dieses Parfüms. Dass andere den Duft penetrant finden, kümmert ihn nicht, er will eben eine schlüssige Geschichte erzählen.

Jedem seiner Düfte, die in schlichten Glasflakons verkauft werden, legt Lutens eine Art Beipackzettel mit einer Beschreibung bei. Über die "Rose de Nuit" schreibt er etwa: "Ein in jeder Hinsicht extremes Parfüm. Seine Strahlkraft ist maximal, einem fliegenden Teppich gleich. Wenn mein Parfüm eine Farbe wäre, wäre es Gelbgold. Wäre mein Parfüm Musik, so wäre es Strawinskys ,Feuervogel'."

Lutens testet keinen seiner Düfte in Fokusgruppen, bevor er sie auf den Markt bringt. Er verwendet nur die besten Zutaten und verlässt sich unbeirrt darauf, dass es Menschen gibt, die seine Arbeit verstehen und schätzen. Und er hat recht, denn auch ohne Werbung und mit nur einem einzigen Laden in Paris und der Möglichkeit, die Düfte übers Internet zu bestellen, sind seine Arbeiten gefragt. Limitierte Editionen seiner Düfte sind vorbestellt und verkauft, bevor er sie überhaupt präsentiert hat.

Serge Lutens verwahrt sich gegen die Vorstellung, die Parfums seien seine Idee: "Sie kommen zu mir und entstehen durch mich. Ich lasse sie geschehen. Das ist alles." Sieht sich Serge Lutens als Medium, durch das die Düfte in die Welt finden? Diese Vorstellung ist romantisch und naiv. Denn die Person Serge Lutens verschwindet nicht hinter den Düften. Im Gegenteil. Seine Düfte sind vielmehr Autoren-Parfums, die nicht von ungefähr unter seinem Namen firmieren.

Auch wenn er Fragen nach seiner Rolle bei der Entstehung der Parfums nicht klar beantwortet, die Selbstdarstellung spricht Bände. In den "Revelations from A-Z" geht es um nichts anderes als die Person Serge Lutens. Hier spricht der Schöpfer. Unter A wie Astrologie schreibt er: ,,Ich bin Sternzeichen Fisch mit Aszendent Löwe. Ich bin also jemand, der schwer zu fassen ist." Unter G wie Garten steht: "Ich bin besessen von der Idee, meinen Garten zu pflegen. Mein Ziel ist es, einen Dschungel zu schaffen. Nicht ein einziges Stück Erde soll noch zu sehen sein. Immer wenn es mir gutgeht, schlendere ich durch meinen Garten. Wenn es mir nicht gutgeht, bleibe ich drinnen und lese in meinem Lexikon, Eintrag für Eintrag. Auf etwas anderes kann ich mich nicht konzentrieren."

Und unter N wie Nacht hat er notiert: "Ich bin eher Nacht- als Tagperson. Meine Träume erinnere ich nur selten. Ich schlafe, wenn ich schlafen kann, nicht wenn ich will." Das klingt erst unterhaltsam, dann etwas eitel und am Ende fast verzweifelt. Düfte sind das Bindeglied zwischen seiner Welt und der unseren, aus der er sich längst zurückgezogen hat.

Lutens lebt in Marrakesch, seit mehr als dreißig Jahren. Haus und Garten dienen ihm als Refugium vor der modernen Welt. Nach Paris kommt er nur, wenn es das Geschäft erfordert. Und selbst dann vermeidet er die Tuchfühlung mit zu viel Zeitgeschehen so gut als möglich. Dass er im Ritz wohnt, ist kein Zufall: "Früher hatte ich meine Büroräume gegenüber. Im Ritz war ich manchmal, um etwas zu trinken. Jetzt sind die Büroräume längst abgerissen, aber das Ritz steht noch. Ich wohne hier, weil ich die Gegend kenne und schätze."

Auch die zweite Pariser Station, sein Laden, der Salon du Palais Royal im Palais Royal, gleicht einem in sich geschlossenen Universum. Wer den Salon betritt, fühlt sich wie in einer lebensgroßen Schmuckschatulle. Trotz des alten Fliesenbodens schlucken die Räume jeden Laut. Es ist angenehm kühl. Die Wände sind fliederfarben und blassorange gestrichen und detailreich mit Fabelwesen und Ornamenten bemalt. Hier kann man Serge Lutens' Düfte kaufen. In die zweite Etage gelangt man nur auf Einladung, über eine mit Bronze- und Kupferelementen verzierte Treppe. In dem Raum, der für eine japanische Teezeremonie ausgestattet ist, trifft Lutens Geschäftspartner.

Wenn man Lutens nach Künstlern fragt, die seine Arbeit beeinflussen, erzählt er von Cocteau und Baudelaire. Zeitgenössischer als Thomas Mann wird es nicht. Tatsächlich ein großer Fan des frühen Stummfilms, plaudert er von den Leinwandhelden, als würde er sie wöchentlich zum Tee empfangen. Lutens ist der einzige würdige Nachfahre des artifiziellen Helden Des Esseintes aus Huysmans' großem Roman: Er lebt und arbeitet "à rebours", gegen den Strich.

© SZ vom 25./26.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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