Polo:Helden in Hemdsärmeln

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Die Welt trägt Polo. Wie viel Spaß der Sport aber macht, wissen nur wenige. Ein Besuch am Spielfeldrand des High-Society-Sports.

Kerstin Weng

Jodie Kidd tut es, Heino Ferch tut es, und die Prinzen William und Harry tun es sowieso. Wobei Harry mehr Talent haben soll als sein großer Bruder. Das ist aber auf den Bildern, die man von den Polospielen der Prominenten in den Zeitschriften sieht, nicht zu erkennen. Man sieht nur Reiter in weißen Hosen, in der linken Hand die Zügel, in der rechten einen langen Schläger. Am Spielfeldrand stehen wohlhabende Menschen mit schönen Kleidern und großen Hüten und prosten mit einem Gläschen Champagner den Spielern zu. Unter den Bildern ist dann zu lesen: Prominenter XY mit Gräfin Von und Zu beim Polocup. Alles ganz mondän und glamourös.

Während die Spieler Höchstleistung auf dem Feld darbieten, schielen viele Zuschauer auf das Hummer-Büffet. (Foto: Foto: AP)

In der Realität, bei einem Turnier ohne Berühmtheiten, sieht das anders aus, zumindest an diesem kalten Sommertag auf einem Privatgrundstück nahe Antwerpen. Es regnet, die Damen tragen keine Kleider, sondern Polohemden und weiße Jeans, die in hellbraunen Glattlederstiefeln stecken, keinen Hut, dafür einen kessen Pferdeschwanz, aber dann doch, wie die Bilder der Prominenten-Poloturniere vormachen, ein Champagnerglas in der Hand.

Die vorbeigaloppierenden Pferde mit ihren schlägerschwingenden Reitern werden allerdings wenig beachtet. Und als danach der extra aus Großbritannien angereiste Spielkommentator in der Pause auf den Rasen zum Feststampfen bittet, so wie man es aus "Pretty Woman" in Erinnerung hat, als Julia Roberts und Richard Gere ihr passend unpassendes Schuhwerk zur Graspflege einsetzen müssen, wird der Aufforderung nur sehr widerwillig gefolgt.

"Come on!", brüllt der Mann schließlich in sein Mikrophon. Etwas leiser brummelt er dann , dass es "daheim" mit mehr Begeisterung zugeht.

Daheim ist für den kleinen und etwas untersetzten Kommentator Cirencester, ein Städtchen, irgendwo im britischen Südwesten. Aber egal, wie klein ein Ort in England auch sein mag, Polo ist dort ganz groß. Es ist ein sportlicher Event, den jeder besucht, egal ob Tankwart oder Bankdirektor.

Legenden und Gruselmärchen

Kein Wunder, schließlich waren es auch die Briten, die den Sport Mitte des 19. Jahrhunderts in der westlichen Welt populär gemacht haben. Erfunden haben ihn aber andere. Wer genau, darüber existieren verschiedene Versionen. Eine ist, dass die Tibeter einst zu Pferde Ratten jagten und sie mit Stöcken erschlugen, woraus sich dann der Sport entwickelt habe. Dieser Erklärung kann man zugutehalten, dass der Begriff Polo vom tibetischen Wort Pulu kommt, was so viel heißt wie Weideknorren, aus denen früher die Polobälle gepresst wurden.

Eine andere Überlieferung besagt, dass der Sport in Persien entstand, ungefähr 300 Jahre vor Christi Geburt. Der deutsche Poloverband erzählt auf seiner Homepage die Story so: Der persische König Dareios habe keine Abgaben an den jungen makedonischen Eroberer Persiens, Alexander den Großen, zahlen wollen. Als ihm daraufhin Gewalt angedroht worden sei, habe er dem habgierigen Regenten einen Stock und einen Ball geschickt und ihm ausrichten lassen, dass dies der fehlenden Reife und Erfahrung Alexanders eher angemessen sei als Waffen und Krieg.

Natürlich gibt es aber auch ein Gruselmärchen zur Entstehung von Polo: Irgendwo in Zentralasien wurde irgendwann früher einmal mit den Köpfen der Hingerichteten gespielt, aber da das wohl doch eine recht große Sauerei war, stieg man auf Bälle als Spielgerät um. Historisch belegt ist jedenfalls, dass das Polospiel von woher auch immer nach Indien gelangte, etwa zur selben Zeit wie die Kolonialmacht Großbritannien. Britische Rückkehrer brachten es auf ihre Insel, und so wurde 1859 der erste britische Poloclub gegründet.

An diesem Sommertag in Antwerpen spielen aber keine Clubs gegeneinander, sondern Teams mit Namen wie Pommery, Nespresso oder Carlsberg, was typisch ist für eine Kundenveranstaltung, die hier das Label Scapa Sports ausrichtet. Deswegen heißt die ganze Veranstaltung auch ,"Scapa Sports Polo Trophy 2007". Vielleicht erklärt sich so das vom Kommentator monierte Zuschauerdesinteresse am Spiel. Es sind keine Polofans, die sich dicht unter dem weißen Zelt am Spielfeldrand drängeln, sondern meist Händler aus der Textilbranche, die lüstern auf die schon aufgebahrten Hummerhälften auf dem Buffet schielen.

Bier reitet gegen Mode

Scapa Sports gehört in Belgien zu den großen nationalen Modemarken. Die Mutterfirma Scapa machte sich mit Stricktextilien in den achtziger Jahren einen Namen. Die Sportlinie wurde 1999 gegründet, zu einer Zeit, als jedes Label glaubte, eine Sportlinie haben zu müssen.

Scapa Sports hat sich seitdem vor allem im Polo etabliert, was nicht verwunderlich ist angesichts der Gründerfamilie hinter der Marke: Sohn Michael Redding, Geschäftsführer der Unterlinie, spielt im belgischen Nationalteam und hat auch eine eigene Mannschaft, die selbstverständlich so heißt wie das Label. Seine Schwester spielte ebenfalls, die Mutter wohnt gar in einem alten umgebauten Clubhaus, umgeben von Pferdeweiden. Die Shirts der Sportkollektion wurden von Anfang an bei den Spielen von Michael verkauft, so dass sie schnell in Polospielerkreisen bekannt wurden. Und so galoppieren nun alle Spieler in Hemden von Scapa über den Platz.

Die Halbzeitpause zum Rasentreten war kurz, gerade mal fünf Minuten. Währenddessen sind die Spieler von einem Pferd herunter- und auf das nächste hinaufgeklettert, um es warmzureiten. Nun geht es zurück aufs Spielfeld. Es ist wohl das einzige Mal, dass getrabt wird, sonst jagen die Pferde im gestreckten Galopp dem Ball hinterher.Die Spieler positionieren sich, das Grün der Polohemden des Carlsbergteams mischt sich mit dem Blau der Scapagruppe. Es ist verblüffend, wie eng die Pferde aneinander vorbeireiten, keines schlägt aus, das Gedrängel scheint sie nicht zu stören.

Ein Schiedsrichter pfeift, los geht es, ein Carlsbergspieler treibt den Ball vor sich her, Richtung gegnerisches Tor. Wie anstrengend es sein muss, diesen langen Schläger schwingend immer wieder genau in die richtige Position zu bringen, um den Ball zu treffen. Doch es klappt. Nein, doch nicht. Er verfehlt den Ball. Ein Scapaspieler, der dicht dahinter war, ist schon zu Stelle, fischt mit seinem Schläger nach dem Ball, einige Leute im Publikum klatschen, es war keine einfacher Aktion. Der Scapareiter drückt die Sporen in die Seite seines Pferdes und schießt mit Ball und Ross in die andere Richtung, zu seinen Teamkollegen. Der Carlsbergspieler reißt die Zügel herum, wendet und galoppiert hinterher.

Warum Polo elitär bleibt

Alles geht wahnsinnig schnell, aber das ist im Polo allgemein so. Schon eine Spielrunde, in der Fachsprache Chukka, Chucka oder Chukker genannt, dauert nur siebeneinhalb Minuten. Die Pferde werden meist nach jedem dieser Chukkas gewechselt. (Oder heißt auch die Mehrzahl Chukka? Hier sind wieder mehrere Formen gebräuchlich.) Insgesamt gibt es vier, fünf, sechs, manchmal auch mehr solcher siebeneinhalbminütigen Runden, je nachdem, welches Turnier gespielt wird und in welchem Land.

Ein Pferd darf in höchstens zwei, nicht aufeinander folgenden Chukkas geritten werden. Das ist auch durchaus verständlich, wenn man sieht, wie die Pferde nach kurzer Zeit schäumen und schwitzen wegen der ständigen Galoppsprints und Richtungswechsel. Und da jede Mannschaft aus vier Spielern besteht und die Pferde eben oft nur für eine Runde geritten werden, braucht man für diesen Sport viele Pferde. Das ist ein wesentlicher Grund, warum Polo nach wie vor eher eine Freizeitbeschäftigung der Wohlhabenden ist, und nicht wie Segeln oder Golfen zum Massensport avancierte.

Kein Polo ohne Shirt

Polo ist eine der wenigen Sportarten, die sich das Flair des Elitären erhalten haben. Zu den Sponsoren der weltweiten Turniere zählen nur exklusive Marken, etwa Cartier, Baldessarini, Rolex. Medien berichten gerne von Spielen in High-Society-Hotspots, im Winter Kitzbühel, im Sommer Sylt. Dabei sind nur wenige Turniere so exklusiv, wie man es allgemein dem Sport unterstellt. Die meisten Polospiele sind öffentlich und laufen auch nicht anders ab als ein lokales Fußballderby an einem Samstagnachmittag: hingehen, Karte kaufen, zugucken, mitfiebern. Aber wegen des elitären Images erscheint ein Besuch dort offenbar vielen wie der in einer Nobelboutique: Schwellenangst gibt es also auch im Sport, zumindest bei diesem.

Und das, obwohl fast jeder die Grundausrüstung im Schrank hat: ein Polohemd. Das typische Shirt wurde in den dreißiger Jahren vom Tennisprofi und Modeunternehmer René Lacoste erfunden, der es trotzdem Polohemd nannte, weil der von ihm gebrauchte Stoff, das feste Baumwollgewebe Piqué, zu der Zeit schon im Polosport verwendet wurde.

Diese kleine Anekdote erzählt der britische Moderator, der sich während des Spiels abwechselnd mit den Umstehenden unterhält und dann wieder Kommentare in sein Mikrophon brüllt. Mittlerweile ist das letzte von vier Chukkas angebrochen, das Scapateam scheint auf dem Weg zu sein, ein Tor zu schießen. Doch ausgerechnet Michael Redding schießt knapp an der Latte vorbei. Durch die Zuschauerreihen geht ein allgemeines "Ooouuuuu". Wie gesagt, eigentlich ist es nicht so viel anders als beim Fußball. Der Kommentator spekuliert, warum es mit dem Tor nicht geklappt hat, und widmet sich dann wieder der Plauderei. Aber es gibt auch immer wieder eine Menge zu erklären.

Da ist zum Beispiel die Sache mit der Nummer drei. Die ist nämlich auf den Mode-Poloshirts die häufigste Zahl, da es die Nummer des besten Spielers im Team ist, was wiederum der ist, der das beste Handicap hat. Und warum sind eigentlich weder die Spieler auf dem Feld noch die Pferde besonders groß? "Weil die meisten Argentinier sind", sagt der Brite und meint damit Mensch und Tier. Argentinien ist für Polo das, was Kanada für Eishockey oder Brasilien für den Fußball ist: eine nicht versiegende Quelle für herausragende Talente.

Warum das so ist, lässt sich nicht genau erklären, es ist einfach so. So kommt der gerade weltbeste Spieler namens Alfredo Cambiasso selbstverständlich aus Argentinien, genauso wie die Pferde, meist eine Kreuzung aus dem dort heimischen Criollo und Vollblütern. "Sie sind klein, schnell und wendig", sagt der Kommentator und flüstert hinterher: "und auch ein wenig dumm". Was anscheinend aber praktisch ist, denn bei den schnellen Wendungen, die die Pferde beim Richtungswechsel des Balls mitmachen müssen, würde wohl jedes intelligentere Tier auf Dauer bocken.

Wildes Gerangel

Und so blicken die Zuschauer den schnellen, wenn auch angeblichen dummen Pferden hinterher. Die Spielregeln erklären sich leider nicht durch bloßes Zugucken. Im Gegenteil. Immer dann, wenn man gerade glaubt, alles verstanden zu haben, pfeifen die beiden mitreitenden Schiedsrichter dazwischen.

Zum Glück hat Scapa auf die ausliegenden Flyer mit den Teamaufstellungen auch einen groben Abriss des Reglements gedruckt. Dort steht, dass der Spieler mit der Nummer eins für Tore sorgen soll und deswegen ganz vorne reitet; der mit der Nummer vier reitet ganz hinten, er wird deshalb auch ,,back'' genannt. Außerdem hat er eine Torhüterfunktion. Nummer zwei ist für die Weitergabe des Balls zuständig oder auch fürs Toreschießen; und Nummer drei ist der Dreh-und Angelpunkt des Spiels, der Regisseur.

Davon ist in der Praxis nicht viel zu erkennen, es scheint, als ob jeder jedem den Ball abjagen will, die rudernden Armbewegungen mit den Schlägern aus Bambusholz, den Sticks, sehen nicht gerade harmlos aus. Im Polo ist viel erlaubt, was auf den ersten Blick nach wildem Gerangel aussieht: Ein Spieler darf mit seinem Schläger den Stick des anderen wegschieben, um ihn am Schlag zu hindern. Sticken heißt das. Und der schöne Begriff "Abreiten" steht für eine Art Bodycheck zu Ross, bei dem man versucht, mit vollem Körper- und Pferdeeinsatz den Gegner wegzudrängen. Oft sieht man alle Spieler an einem Fleck herumstochern, wenn keiner so richtig an den Ball herankommt. Dann fliegen Grasfetzen und Pferdeschaum, und plötzlich schießt der Ball aus der Menge heraus. Weiter geht es, schlägerschwingend, galoppierend.

Scapa scheint nun doch ein Tor hinzukriegen, Nummer zwei steht mit flatterndem Shirt im Sattel, visiert die Pfosten an und schießt den Ball durch die Mitte. Jubel bei den Reitern, die Schläger werden freudig und zufrieden in die Höhe gestreckt, man nickt sich lächelnd und anerkennend zu. Abklatschen oder auf die Schulter klopfen geht nicht, da man den Stick immer nur in der rechten Hand halten darf und links ja die Zügel hat. Die Zuschauer applaudieren eifrig, der Kommentator johlt den Namen des Torschützen in sein Mikrophon. Es ist ein argentinischer.

Irgendwie komisch. Die Deutschen gelten durchaus als Reiternation, holen regelmäßig olympisches Gold in Dressur und beim Springreiten, und doch beschreibt das Fachmagazin +10 Deutschland als Entwicklungsland in Sachen Polo. Das fängt beim Nachwuchs an und hört bei der Popularität und beim Zuschauerinteresse auf. Dabei kann das Zugucken beim Polo spannender sein als bei allen anderen Reitsportarten. Man sollte sich nur mal dazu entschließen. Es geht doch ohne eine eigene Pferdezucht. Ja sogar ohne Hut und Champagnerglas.

© SZ vom 15./16.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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