Personal Hair Coach:Eine haarige Angelegenheit

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Friseurbesuche sind eine heikle Sache. Selten sitzen die Haare danach ideal. Das Problem liege in der Kommunikation, sagt Saruyi Tani: Sie ist "Personal Hair Coach" .

Mirja Kuckuk

Seit 23 Jahren schneidet Saruyi Tani Haare. Die 55-Jährige stammt aus einer angesehenen japanischen Friseurfamilie, in Frankfurt war sie jahrelang eine Trendsetterin der Branche. Heute hat Tani sich von kurzlebiger Mode losgesagt und arbeitet als erster "Personal Hair Coach" Deutschlands.

Schnitte, die viel bewirken können: Mit der richtigen Frisur tritt man viel selbstsicherer auf, sagt Saruyi Tani. (Foto: Foto: iStockphotos)

sueddeutsche.de: Wo liegt der Unterschied zwischen "Waschen, schneiden, fönen" und "Haare coachen"?

Saruyi Tani: Zuerst einmal braucht man Zeit. Die erste Sitzung dauert rund drei Stunden, in denen es darum geht, mein Gegenüber kennenzulernen. Wenn ich herausgefunden habe, welcher Typ vor mir sitzt, kann ich ihn seiner Persönlichkeit entsprechend frisieren.

sueddeutsche.de: Das klingt sehr persönlich. Wie finden Sie heraus, wer da vor Ihnen sitzt? Führen Sie ein psychologisches Gespräch?

Tani: Nein, ich versuche zwar, auch das Befinden meiner Kunden zu verstehen. Aber vor allem mache ich eine Farb- und Stilberatung, bei der nicht die Kleidung, sondern die Haarfarbe und Frisur im Vordergrund stehen. Anhand von verschiedenen Tüchern kann ich feststellen, welche Farben die Persönlichkeit am besten zur Geltung bringen. Daraus lässt sich der Haarschnitt ableiten: Der Wintertyp braucht klare, gerade Schnitte, der Frühlingstyp eher weich fallende Haare. Fast alle Menschen lassen sich in die vier Jahreszeiten einteilen.

sueddeutsche.de: Was passiert, wenn ein Frühlingstyp einen Winterhaarschnitt trägt?

Tani: Es wird ihm nicht stehen. Die Natur ist so ehrlich, dass man nur bis zu einem gewissen Alter seinen jeweiligen Typ überspielen kann. Mit 19 Jahren kann man sich spielerisch von hellblond zu schwarz und wieder zurück verändern und sich auch entsprechend schminken. Es sieht meistens gut aus. Aber ab dem 35. oder 40. Lebensjahr setzt die Faltenbildung ein - dann betonen Farbe und Make-Up das Alter. Es ist ein Trugschluss zu denken, sich besonders kräftig anzumalen zu müssen, wenn man sich alt und faltig fühlt. Das Gleiche gilt für die Frisur: Ein heller Frühlingstyp sieht automatisch weniger frisch aus, wenn er schwarze, zackig geschnittene Haare trägt.

sueddeutsche.de: Das heißt, viele Menschen stylen sich gegen ihre Natur?

Tani: Man sollte sich ab einem gewissen Alter weniger verkleiden. Ich gehe davon aus, dass der Mensch unbewusst versucht, zu seiner Natürlichkeit zurückzufinden. Wenn er aber äußerlich weiterhin Modetrends folgt, die nicht seinem Typen entsprechen, wird er sich in seiner Haut nicht wohlfühlen. Als Trendfriseurin habe ich jahrelang Menschen durch Frisur und Haarfarbe äußerlich vollkommen verändert. Ich bezweifle aber, dass das im Einklang mit ihrer Persönlichkeit passiert ist.

sueddeutsche.de: Sie meinen, wenn die Frisur nicht sitzt, leidet der Mensch?

Tani: Zu mir kommen Menschen, die über 35 sind, alle Modetrends ausprobiert haben und ihren Stil trotzdem nicht gefunden haben. Das wirkt sich zwangsläufig auf die Persönlichkeit aus. Stellen Sie sich vor, Sie sind ein sensibler, feinfühliger Mensch - wir nennen das den klassischen Frühlingstypen -, treten aber äußerlich auf wie der energische Wintertyp. Ihre Mitmenschen werden zwangsläufig anders mit Ihnen umgehen, als Ihnen vielleicht guttut.

sueddeutsche.de: Haben Sie das selbst einmal erlebt?

Tani: Ja. Fast alle Japaner gehören zum Wintertyp. Deshalb habe auch ich mich so gegeben: habe die Haare mal schwarz, mal weißblond gefärbt und Kontraste getragen. Und tatsächlich hatte ich häufig das Gefühl, dass mich mein Umfeld nicht richtig versteht. Lehrlinge trauten sich nicht, mich anzusprechen, weil ich so hart wirkte. Heute trage ich meinem tatsächlichen Typ entsprechend warme Herbstfarben - und habe weniger Probleme im Umgang mit Menschen.

sueddeutsche.de: Wirken Politiker, die sich das ergraute Haar brünett färben, deshalb weniger glaubwürdig?

Tani: Älter werden bedeutet, heller werden. Es wirkt einfach nicht stimmig, wenn man sich mit 60 Jahren die Haare so färbt, als wäre man noch 40. Das verhält sich wie mit der Schönheitschirurgie - nur dass man Frisuren zum Glück wieder ändern kann. Ich bin aber nicht grundsätzlich gegen Hilfsmittel, im Gegenteil. Allerdings sollte man behutsam mit den Farben umgehen. Wenn man schon ergraut, kann man mit solchen Grautönen spielen, die einen weniger alt aussehen lassen.

sueddeutsche.de: Welche Wahl haben Männer, ihrem Typ gerecht zu werden? Schliesst das gängige Bild vom modischen Mann nicht vieles aus?

Tani: Ein Modetrend hält sich leider hartnäckig: Der Wintertyp - sprich kurze Haare, weiße Hemden, dunkle Anzüge. Dazu kommt, dass bereits vor Jahren Trendfriseure festgelegt haben, dass Männer ab 50 die Haare im Nacken kurz tragen müssen. Männer, denen das nicht steht, fühlen sich aber nicht wohl in ihrer Haut. Warum sollen Männer nicht auch in älteren Jahren lange Haare tragen dürfen? Sie müssen ja nicht gleich zottelig herunterhängen. Es ist überraschend, wie vielen Männern längere Haare stehen würden.

sueddeutsche.de: Warum ist es so schwer, den Friseur des Vertrauens zu finden, der das erkennt?

Tani: Da muss ich die Kollegen in Schutz nehmen. Denn häufig ist das ein Problem der Kommunikation. Viele Kunden kommen derart überzeugend gestylt ins Geschäft, dass man sich leicht täuschen lässt. Man hält sie beispielsweise sofort für einen Wintertyp, obwohl ein Herbsttyp in ihnen steckt. Außerdem haben sie häufig eine Traumfrisur im Kopf, können sie aber nicht wirklich beschreiben. Da kommen viele Dinge zusammen, warum der Kunde dann unzufrieden den Laden verlässt. Es gibt aber auch den umgekehrten Fall. Zu mir kommen Menschen, die entrüstet wieder aufstehen und sagen: "Ich will gar nicht von Ihnen analysiert werden. Ich weiß sehr genau, was ich will!" Und gehen dann wieder...

sueddeutsche.de: ... zu einem 10-Euro-Friseur, Abteilung Cut-and-Go?

Tani: Mag sein. Aber auch die haben natürlich ihre Berechtigung. Wer einen schnellen Haarschnitt möchte oder modische Trends ausprobieren will, ist dort sicher gut aufgehoben. Klar sollen junge Leute alles ausprobieren. Ebenso die Nachwuchsfriseure - schließlich sollen sie das Handwerk lernen! Ich habe einen Kunden, der alle fünf Monate zu mir kommt, zum einfachen Nachschneiden aber zum Zehn-Euro-Friseur geht. Generell muss, wer zu mir kommt, eines mitbringen: die Bereitschaft, sich zu verändern.

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