Ode an den Whisky:Schotte dicht!

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Wo ist hier, bitte schön, die nächste Whisky-Bar? Eine kurze Geschichte über den Gottvater der harten Getränke.

Stefan Gabányi

Allen Nörglern und RetroRomantikern zum Trotz: Früher war nicht alles besser. Was Whisky angeht zum Beispiel, werden wir heute besser versorgt denn je. Allein aus Gründen der Rentabilität achten die Hersteller jetzt mehr auf Wertarbeit als früher: Produktion und Marketing kosten zuviel, als dass man hier irgendetwas dem Zufall zu überlassen gewillt ist.

Ein Genuss: Whisky on the rocks. (Foto: Foto: Istockphoto)

Ganz anders zu jenen Zeiten, die uns Hollywood und Werbeagenturen so gerne als wildromantische Highland-Idylle andienern: Damals wurde am Vormittag gebrannt, nachmittags getrunken und dann abgewartet, wer die Nacht überlebt: Bodycount als Qualitätskontrolle. Bis Anfang des 19. Jahrhunderts war auch Malt Whisky - heute zu Recht als Krone der Schnaps-Schöpfung verehrt - ein eher kruder Stoff; hochprozentig, scharf und geschmacklich vom Torf dominiert, dem in den Highlands gebräuchlichen Arme-Leute-Brennstoff mit seinem penetranten Jod-Aroma. Echtes Feuerwasser also, durchaus zweckmäßig, um Körper und Geist zu erhitzen, aber nicht gerade etwas, das heute als Genussmittel durchginge.

Die Highlander behalfen sich mit der Zugabe von Honig und Heidekraut, auch Milch und Hafermehl wurden eingerührt, um den Whisky etwas zu zähmen. Eine längere Lagerung in Eichenfässern, das probateste Mittel zur Verfeinerung eines frischen Destillats, galt bis weit ins 19. Jahrhundert als Zeit- und Geldverschwendung. Die britischen Gentlemen, die sich derartiges hätten leisten können, tranken damals vorzugsweise Cognac, allenfalls Mitglieder der schottischen Oberschicht ließen sich ihren Whisky fassweise nach Hause liefern. Am besten direkt von einer Brennerei, denn wer auf Zwischenhändler oder Kneipiers angewiesen war, musste sich auf einiges gefasst machen. Mit Wasser oder Tee verdünnter und mit Cayennepfeffer, Weinessig oder Pflaumensaft aromatisierter Rohbrand gehörte noch zum Harmlosesten, was betrügerische Händler im Angebot hatten.

Der Schotte reagierte mit pragmatischer Phantasie, einem Toddy beispielsweise: gesüßtem, mit heißem Wasser verdünntem Malt Whisky. Dieses Rezept erfreute sich einiger Beliebtheit bei der Upper Class von Glasgow und Edinburgh, die seine Zubereitung mit zunehmender Finesse zelebrierte. Der Toddy wurde im Silberbecher mit Silberlöffel serviert, und die Frage, ob Honig oder Zucker vorzuziehen sei, konnte beinahe so heftige Diskussionen auslösen, wie die nach der Zulässigkeit weiterer Zutaten wie Zimt, Nelken oder Muskat. Der größte Affront für Toddy-Puristen alter Schule war und ist aber die Zitrone: Anfangs nur in Form einer Scheibe, dann sogar als Saft, wurde dieses Additiv bald bei jenen beliebt, die sich ihren Toddy regelmäßig gegen Erkältung verordneten. Bis in die 1880er Jahre galt der Toddy als die kultivierteste Form, Whisky zu trinken, dann wurde er vom Whisky Soda verdrängt.

Inzwischen hatte die Industrialisierung das Brennwesen erreicht. Neben der traditionellen zeitaufwendigen Malt-Destillation in Kupferkesseln kamen nun auch neu entwickelte Säulenapparate zum Einsatz, die schneller, sauberer und sehr viel effizienter arbeiteten. Das Ergebnis war ein leichter und vor allem kostengünstiger Whisky, der, steuerlich subventioniert, in großen Mengen produziert und dann mit Malt Whisky verschnitten wurde. So ein Blended Scotch war auch für sensiblere Gaumen zugänglich, allerdings entwickelte er durch Erhitzen ein deutlich spritiges Aroma; Sprudelwasser bekam ihm da deutlich besser. Die damals in England entstandene Sodawasser-Industrie tat ein Übriges, und der Syphon gehörte bald zur Grundausstattung jedes Gentleman.

Es war nicht allein seine Verträglichkeit, die den Scotch südlich von Glasgow ins Gespräch gebracht hatte: Mit der industriellen Herstellung enstanden auch die ersten Scotch-Labels. Sie dienten als Qualitätsgarantie und boten darüber hinaus das, was eine Marke ausmacht: Wiedererkennungswert. Tatsächlich gelten einige schottische Geschäftsleute heute als Pioniere des Marketings. Namentlich Tommy Dewar erwarb sich große Verdienste darum, die Londoner Gesellschaft mit dem Whisky-Virus zu identifizieren.

Die spät-viktorianische Schwärmerei für die "Edlen Wilden", die in drolligen Gewändern die schottischen Hochmoore mit eigenartiger Musik beschallen, nutzte Dewar für eine großangelegte Werbekampagne. Zwar war die vermeintlich typisch schottische Folklore eigentlich ein artifizielles Konglomerat mehr oder weniger keltischer Gebräuche, das 1822 anlässlich des Schottland-Besuches von König George IV. zusammengerührt worden war; ihrer Werbewirksamkeit tat dies jedoch keinen Abbruch. Kilt und Dudelsack wurden zum festen Bestandteil aller Dewars-Anzeigen, und derartige Stereotypen prägen das Bild vom Scotch Whisky bis heute.

Noch immer vergeht kaum eine Whisky-Veranstaltung ohne lächerlich gewandete Herren, die uns mit schwer erträglichem Getröte malträtieren, und noch heute gehört Dewar's zu den weltweit erfolgreichsten Scotch-Labels (Tommy Dewar selbst wurde später in den Adelsstand erhoben, ging in die Politik und machte als dritter Autobesitzer Großbritanniens von sich reden - der Erste war der Teemagnat Thomas Lipton, der Zweite der Prince of Wales).

Die Entwicklung des Blended Scotch fiel in die Zeit der größten Expansion des britischen Imperiums, und so wurde Whisky bald zum Bestandteil dessen, was weltweit als ziviliserte Lebensart zu gelten hatte (diesem Votum schlossen sich ausnahmsweise auch die Franzosen an, die noch heute mehr Scotch konsumieren als jede andere Nation der Erde). Nicht nur in eleganten Trinkerkabinetten und an Hollywood-Pools, den Biotopen des gepflegten Whisky Soda, auch in Hafenkneipen und dunklen Spelunken fließt der Scotch, dort bevorzugt als "a half and a nip", einem kleinen Whisky, der mit einem großen Bier hinuntergespült wird. Das Schöne an dieser Kombination ist, dass sie auch mit Produkten minderer Qualität funktioniert: das Bier löscht die Schärfe des Whiskys, der wiederum dem schalen Bier Pep verleiht.

Blended Scotch war zum erschwinglichen Massenartikel geworden, und in den Industrienationen machte sich eine gewisse Sättigung bemerkbar. Seinen Wohlstand stellte man nun nicht mehr durch die Zügellosigkeit des Alkoholkonsums zur Schau, die man sich als betuchter Müßiggänger leisten konnte. Der exklusive Genuss war jetzt gefragt, der zielgerichtet die knapp bemessene Freizeit des Erfolgsmenschen bereichert. Auch dafür hatten die Schotten etwas parat.

Mit moderner Qualitätskontrolle und sachgemäßer Fasslagerung hatten sie ihren Malt Whisky vom derben Hinterwäldlerschnaps zu einem sauberen, aber gehaltvollen Destillat von beeindruckender Komplexität entwickelt. Je nach Brennerei und Art der Fasslagerung kommen die unterschiedlichsten Aromen zur Geltung. Tatsächlich verfügt keine andere Spirituose über eine derartige Geschmacksvielfalt wie der schottische Malt.

Dies und die naturgemäße Knappheit der Vorräte - bedingt durch vorindustrielle Herstellungsweise, langjährige Fasslagerung und die Regelung, derzufolge ein Single Malt nur dann so genannt werden darf, wenn er aus einer einzigen Brennerei stammt - prädestinieren Malt Whisky zum Elitetropfen. Neben den nötigen finanziellen Mitteln erfordert und bezeugt sein Genuss vor allem Kennerschaft.

Wie in der Weinwelt sind hier neben dem Erzeuger-Namedropping geschulte Nasen gefragt. Und auch hier wimmelt es von Bescheidwissern, die jedes freundliche Gelage in ein dröges Seminar verwandeln können. Diese Nervensägen kennen immer eine noch rarere Abfüllung eines noch geheimeren Geheimtipps und haben diese selbstredend zu einem Schnäppchenpreis erstanden.

Gefördert wird derartiges Getue durch die Existenz von sogenannten Einzelfassabfüllungen: Da jedes Fass einen individuellen Whisky hervorbringt, wird der Inhalt der zur Abfüllung bestimmten Fässer normalerweise miteinander vermischt, um die Unterschiede auszugleichen. Bei Einzelfass-Abfüllungen dagegen wird jedes Fass für sich abgefüllt. Das Ergebnis sind jeweils ein paar hundert Flaschen, wobei selbst Whiskys einer Marke aus demselben Jahr sich in Farbe und Geschmack deutlich voneinander unterscheiden können. Manchmal sind das wahre Wunder-Whiskys, oft auch eher das Gegenteil, auf jeden Fall aber höchster Ausdruck von Individualität, und dafür wird auch gerne etwas mehr bezahlt.

Das führt uns zum Whisky-Sammler, einem engen Verwandten des Bescheidwissers, wenn auch nicht gar so anstrengend wie dieser. Sammler scheuen selbst vor überhöhten Preisen, umständlichen Reisen oder obskuren Internet-Abgeboten nicht zurück, um an ihre Fetisch-Flaschen zu kommen. Sie wollen Whisky besitzen und nicht trinken.

Ganz im Gegensatz zum nächsten Typen, dem Jäger. Auch der will rare Flaschen aufspüren, ist dabei aber auf der Suche nach neuen Geschmackserlebnissen. Die Aroma-Vielfalt der Single Malts bietet dem geübten Jäger ein weites Feld, sein Talent unter Beweis zu stellen. Den Anfang machen die sensorischen Fähigkeiten; florale, fruchtige und rauchige Töne müssen erkannt werden, gesucht werden aber auch Aromen, die bei anderen Getränken als Fehler gelten würden, Jod oder Gummi beispielsweise.

Dann geht es darum, seine Entdeckungen zu formulieren und zwar in möglichst launigen Worten - nicht umsonst stammt dieser Sport aus Großbritannien. Aromen wie Seetang, Möbelpolitur und Kaminfeuer gehören hier zu den konventionelleren Funden, Fortgeschrittene erkennen alte Barbour-Jacken, Nutella mit frischen Birnen, Lachgas oder auch libanesisches Haschisch; sehr gelungen auch die Kombination von Sandelholz, Marshmellows und nassen Leder-Fußballschuhen.

Wer sich allerdings, wie kürzlich einer der bekanntesten britischen WhiskyAutoren, nach dem Genuss eines Whiskys zu fühlen glaubte "wie eine vögelnde Schildkröte", der sollte mit dem Trinken vielleicht doch Schluss machen.

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