Neuer Wohntrend:Die Küche wird salonfähig

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Ein Lebensraum, der sich einst versteckte, dient heute als soziales Zentrum und zu repräsentativen Zwecken

Antje Rößler

Wie zu Großmutters Zeiten am heimischen Herd zu sitzen, Bratenduft zu riechen und sich entspannt zu unterhalten - das ist für viele Menschen der Inbegriff des gemütlichen Heims. Heute ist das offene Herdfeuer zwar verschwunden, doch die Küche wird wieder zum sozialen Mittelpunkt der Wohnung.

Wie eine Bühne für ihren Besitzer und sein Geschirr präsentiert sich die Ikea-Küche (Foto rechts). Doch nicht nur elegantes Design ist heute gefragt, sondern flexible Einrichtung. Die historische Aufnahme (Foto links) stammt aus dem bei Birkhäuser erschienenen Band "Die Küche" und zeigt den Prototyp der "Frankfurter Küche". (Foto: Foto: Inter Ikea Systems B. V., Birkhäuser Verlag)

"In den vergangenen 20 Jahren ist die Küche neben dem Wohnzimmer zum sozialen Zentrum der Wohnung aufgestiegen", erklärt Hartmut Roehrig, Produktleiter des Küchenausstatters Bulthaup. Der Trend gehe zur individuell gestalteten Wohnküche, in der man sich gemeinsam wohlfühlt. "Häufig ist der Übergang in den Wohnbereich fließend; zunehmend wird die Küche in den Wohn- und Essbereich integriert", fährt Roehrig fort.

Nicht nur Familien, denen die Gemeinsamkeit wichtig ist, sondern auch Singles, die ihre kleine Wohnfläche optimal nutzen wollen, verbinden den Koch- und Wohnbereich miteinander. Beim Küchenmöbelhersteller SieMatic rückt deshalb eine ganzheitliche Gestaltung in den Mittelpunkt. "Die für Böden, Decken und Wände eingesetzten Farben und Materialien sowie die Beleuchtung sollten mit den Küchenmöbeln harmonieren", sagt der geschäftsführende Gesellschafter Ulrich Wilhelm Siekmann.

Insel zum Kochen

Dem Bedürfnis nach Kommunikation kommt insbesondere die aus der Profiküche übernommene Halbinsel- oder Inselküche entgegen. "Die Kücheninsel lädt zum gemeinsamen Kochen ein und ist deshalb sehr beliebt", erklärt Lucas Heumann, Geschäftsführer des Verbandes der Deutschen Küchenmöbelindustrie. Sie kann mit Herd und Spüle ausgestattet werden; preiswerter und weniger aufwendig ist die reine Vorbereitungsinsel. Für viele Hobbyköche kommt sie jedoch aus Platzmangel nicht in Frage. "Die Grundfläche der Küche muss dafür mindestens 15 Quadratmeter betragen", gibt Heumann zu bedenken.

Als Prototyp der heutigen Einbauküche gilt die 1926 von Margarete Schütte-Lihotzky entworfene, so genannte "Frankfurter Küche". Sie war für einen Raum von nur sechseinhalb Quadratmetern konzipiert, denn die Wiener Architektin suchte nach einer möglichst kleinen und doch praktikablen Küche für den sozialen Wohnungsbau. Nach 1945 setzte sich die normierte Einbauküche in der Bundesrepublik flächendeckend durch. Erst zu Beginn der achtziger Jahre formulierte der Designer Otl Aicher Widerstand gegen das "Diktat der Einbauküche". Aicher propagierte eine Verbindung der Küche mit dem Wohnraum, die Integration von Elementen aus dem Gastrobereich und einen klassischen Küchentisch oder Inselarbeitsplatz - Merkmale, die bis heute aktuell sind.

Die moderne Einbauküche ist weitaus flexibler als ihr normierter Vorgänger aus den sechziger Jahren und mit Aichers Küchenphilosophie durchaus vereinbar. Lucas Heumann beschreibt die heutige Vielfalt von Gestaltungsmöglichkeiten: "Die strenge Horizontale wird durch unterschiedliche Höhen aufgebrochen. Abwechslung bringt auch der kontrastreiche Einsatz verschiedener Materialien: Metall, Glas, Holz, Naturstein und Mineralwerkstoff.

Eine schier unüberschaubare Auswahl gibt es auch bei den Farben. Derzeit laufen laut Heumann Pastelltöne gut. Er warne jedoch davor, beim Küchendesign allzu ausgefallenen Trends zu folgen: "Schließlich ist eine Küche ein langlebiges Produkt. Daher sollte man auf eine zeitlose Gestaltung achten." Der erste Schritt der Planung betrifft den Küchentyp. In sehr kleinen Räumen ist eine Küchenzeile die einzig mögliche Variante. Ab einer Grundrissfläche von acht Quadratmetern kommen auch zweizeilige Küchen in Frage. Ecken müssen keine toten Winkel bedeuten; durch spezielle Schrankeinrichtungen oder Ecklösungen für Spülen und Herde können sie sinnvoll genutzt werden.

Bücken überflüssig

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Ergonomie. Täglich fallen in der Küche eines Vierpersonenhaushalts etwa 360 unterschiedliche Handgriffe und Wege an. Bei der Planung sollten daher alle Arbeitsabläufe - Vorbereiten, Spülen, Entsorgen, Kochen, Lagern - von vornherein gut durchdacht werden. Passende Geräte optimieren die Arbeitsbedingungen: So macht ein Wandbackofen mit absenkbarem Boden das gebückte Hantieren im Herd überflüssig.

Für körperlich eingeschränkte oder kleinwüchsige Menschen gibt es Küchen, die speziellen Anforderungen gerecht werden. Einer der Anbieter barrierefreier Küchen ist die niedersächsische Tischlerei Grittner Team. "Oberschränke, Arbeitsflächen und Spüle lassen sich auf Knopfdruck absenken oder anheben", erläutert Geschäftsführer Volker Grittner das Konzept. "Auch Haushalte, in denen mehrere Personen kochen, profitieren von variablen Arbeitshöhen", fährt er fort.

Und was erwartet uns in der Küche von morgen? Die Küche sei auf dem Weg zur "Arbeits- und Kommunikationszentrale, in der Einkaufen, Bestellen, Vorratshaltung, Kochen, Gefrieren und Reinigen intelligent miteinander vernetzt sind", diesen Trend stellt das Berliner Institut für Sozialforschung in seinem Smart Home-Survey fest. Hartmut Roehrig ist skeptischer: "Die moderne Technik wird ungemütlich, wenn umständlich zu bedienende Elektronik die Küche zur technologischen Hölle macht."

Seine Firma macht die Küche mobil. Heute zieht man schneller um, als die Küche veraltet - also solle auch die Einbauküche beweglich werden, schlussfolgerte man bei Bulthaup. "Unsere neue Küche bildet sich aus einer Stahl-Funktionswand heraus, an der Möbel und horizontal laufende Paneele frei aufgehängt werden", heißt es auf der Internetseite. Die Küche wird also vom Grundriss unabhängig und kann bei jedem Umzug neu montiert werden. Das hätte sich Großmutter am Herdfeuer wohl kaum träumen lassen.

© SZ vom 9.2.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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