Namensdoppelgänger:Ich und ich

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Hakan Tanriverdi links und Hakan Tanriverdi rechts. Ein Treffen in Hamburg, im Schneiderladen von Tanriverdi rechts. (Foto: Maria Feck)

Googlegänger sind Menschen, die genau gleich heißen. Erst das Internet hat es möglich gemacht, dass sie voneinander wissen. Unser Autor ist nach Hamburg gefahren, um herauszufinden, wer sein Alter Ego ist.

Von Hakan Tanriverdi

Hakan Tanriverdi ist sauer auf mich. Ich stehe in seiner Schneiderei und zeige ihm den Bildschirm meines Smartphones. Zu sehen ist die Suchmaschine Google und das, was sie anzeigt, wenn man unseren Namen eingibt. Selbst hier in seinem Laden in Hamburg-Eimsbüttel bin ich auf dem ersten Platz. Hakan Tanriverdi, der Schneider, taucht auf der ersten Seite hingegen überhaupt nicht auf. "Das ist doch scheiße", sagt er.

Hakan ist gerade damit beschäftigt, eine Nadel in einen Lederkoffer zu rammen. Das Modell ist ausverkauft, auf Ebay bieten Leute 400 Euro dafür. Ob seine Wut mir gilt oder der Nadel, behält er für sich. Die Nadel bricht, es ist Hakans dritter Versuch. Der Koffer muss fertig werden, ein paar Stiche fehlen noch. Während Hakan mit Nadel Nummer vier hantiert, erkläre ich ihm, warum er wohl auch in Zukunft auf den ersten Platz bei Google verzichten muss.

Die Suchmaschine entscheidet nach einem komplizierten Verfahren über die Ergebnisliste, zum Beispiel, wo sich die suchende Person gerade befindet und ob sie vom Laptop aus sucht oder vom Smartphone. Ich nenne Hakan Einzelheiten, aber im Prinzip reicht ein Satz: "Du hast ja nicht mal mehr eine Webseite!"

Ich weiß seit mehr als zehn Jahren, dass es einen zweiten Hakan Tanriverdi gibt und dass er in Hamburg wohnt. 2002 hatte er eine Webseite. Als das Internet noch ein Außenseiter-Medium war und hässlich aussah, voller verpixelter Grafiken, war dort ein Baukran zu sehen. Hier wird gearbeitet, sollte das heißen. Doch der Kran blieb stehen, jahrelang. Als die Webseite 2014 schließlich aus dem Netz verschwand, rief ich Hakan an - seine Nummer steht im Internet - und vereinbarte ein Treffen. "Meine Seite war online, als das Internet noch langsam und teuer war", sagte er am Telefon.

Es ist ein grundlegendes Prinzip: Menschen neigen dazu, sich selbst zu mögen, also mögen sie tendenziell auch alles, das sie an sich selbst erinnert. Wie eben ein Name.

Hakan ist in der Türkei ein Allerweltsname

Hin und wieder schickten mir Freunde in all den Jahren Fotos, wenn sie an Hakans Laden vorbeigingen. Neben seinem Namen ist auf einem Schild sein Slogan angebracht: "Es gibt nichts, was wir nicht ausführen können." Meine Freunde wussten nicht mal, dass wir den exakt gleichen Namen hatten, sie fanden denselben Vornamen alleine schon aufregend genug, um mir ein Beweisfoto zu schicken.

Dabei ist Hakan ein Allerweltsname in der Türkei, der deutsche Hans sozusagen, und auch Tanriverdis gibt es hin und wieder. Doch die Kombination ist, zumindest in Deutschland, einmalig, dachte ich. Bis ich auf meinen Googlegänger traf. Der Begriff leitet sich ab vom deutschen Doppelgänger; nur dass man seinen Namensvetter über die Suchmaschine findet.

Ich wollte unbedingt wissen, wie dieser Hakan so tickt. Zwar wurden wir noch nie verwechselt, aber ich habe mich gefragt, ob ich etwas damit zu tun habe, dass Hakan seine Seite aus dem Netz genommen hat.

Für Unternehmen ist eine gute Platzierung bei Google wichtig, so kommt man einfach an neue Kunden. Doch ich bin in sozialen Netzwerken aktiv, meine Artikel erscheinen auf der Webseite der Süddeutsc hen Zeitung. Das sind Seiten, die Google als vertrauenswürdig und relevant einstuft. Dadurch lande ich bei der Suchmaschine ganz vorne - und verdränge den anderen Hakan.

Vielleicht hat er ja nicht mehr dagegen ankämpfen wollen? Außerdem ist da diese Neugier: Wie benimmt sich ein Mensch, der denselben Namen trägt wie ich? Ist er mir auch sonst ähnlich?

Was Nachnamen so alles über einen verraten

Studien zufolge muss ich Hakan mögen. Forscher haben sich in zahlreichen Untersuchungen mit Menschen und ihren Namen beschäftigt. Sie haben etwa herausgefunden, dass Amerikaner, deren Nachname mit einem B beginnt, deutlich häufiger für den damaligen Präsidentschafts-Anwärter George W. Bush spendeten als ihre Mitbürger. Menschen mit G-Nachnamen hingegen gaben ihr Geld überdurchschnittlich oft Al Gore. Eine Frau mit dem Namen Virginia zieht eher in den gleichnamigen Bundesstaat, Menschen folgen auf sozialen Netzwerken Personen, deren Name mit dem gleichen Buchstaben anfängt, ein Theo kauft Twix - und so weiter.

Diese Erkenntnisse werden mitunter auch angezweifelt, das grundlegende Prinzip lässt sich aber bis heute nicht widerlegen: Menschen neigen dazu, sich selbst zu mögen, also mögen sie tendenziell auch alles, das sie an sich selbst erinnert. Wie eben ein Name. Ich nenne ihn ja auch in diesem Text Hakan, also bei seinem Vornamen. Ist persönlicher.

Der Laden von Hakan ist keine 50 Quadratmeter groß, im hinteren Teil stehen sechs Nähmaschinen für unterschiedliche Stoffe. Dort befindet sich auch die Kleidung, die er flicken und umnähen muss, mal an der Stange, mal in verschiedenen Körben aufbewahrt. "Es gibt ein System", beteuert Hakan. Sein Mitarbeiter lacht.

Die Klamotten, die an der Stange hängen, sind extravagant, so wie der Koffer: alte, abgewetzte Lederjacken mit zerfetztem Innenfutter zum Beispiel. Doch Hakan schneidert auch Autositze, Markisen und sogar Bootsverdecke. Eine Frau kommt in den Laden und will wissen, ob er Gardinen anfertigt. Hakan bejaht die Frage. "Der Slogan ist ein Fluch", sagt er, "die Leute messen mich daran."

Während ich Hakan besuche, vergleiche ich uns heimlich. Er sieht jünger aus als 46, ich sehe älter aus als 31. Er ist klein, das bin ich auch. Wir reden beide schnell. Sein Hinterkopf ist kahl, ich habe bereits Geheimratsecken. Hakan redet sich ein, die Klamotten von Kunden sinnvoll zu sortieren, um sie fristgerecht fertig zu haben, ich lade mir Apps auf mein Smartphone, die mich an wichtige Termine erinnern sollen. Wir sind uns also ähnlich. Aber: Er ist verheiratet, hat Kinder und würde gerne in der Türkei leben. Ich nicht, nicht und nicht.

Hakan ist in Istanbul geboren und mit sechs Jahren nach Hamburg gekommen. Er ist zufrieden hier: "Du findest niemanden, der nettere Worte über Deutschland sagen wird als ich." Seine Eltern leben das halbe Jahr über in der Türkei, die übrige Zeit bei ihm, seiner Frau und seinem Kind.

""Zu mir kommt fast die gesamte Fußballmannschaft von St. Pauli"

Ein junger Start-up-Gründer schaut vorbei. Seine Firma stellt Einstecktücher her, dazu farblich abgestimmte Fliegen und Socken. Hakan hilft dem Start-up. "Er ist die Schnittstelle, wenn wir aus unterschiedlichen Ländern Stoffe beziehen. Er blockiert seine Maschinen, damit wir am Prototyp arbeiten und die Nullserie produzieren können", sagt der junge Mann.

Außer diesem Laden hat Hakan noch eine größere Produktionsstätte nördlich von Hamburg. Dort werden Großaufträge abgearbeitet. Hakan habe sehr exklusive Kunden, sagt der Mann vom Start-up. Hakan hört das und ergänzt: "Zu mir kommt fast die gesamte Fußballmannschaft von St. Pauli. Oder Harry Bähre vom HSV." Bähre war der erste Spieler der Fußballbundesliga, sein Spielerpass hatte die Nummer 001.

Ein paar Stunden reichen aus, und man versteht, warum Hakan seine Webseite gelöscht hat. Für seinen Job ist das Internet eigentlich egal. "Ich bin nicht davon abhängig. Mein Kundenstamm ist riesig, die Leute empfehlen mich weiter", sagt der Schneider. Noch kein einziges Mal habe er eine Anzeige geschaltet.

Hakan sitzt auf der Parkbank vor seinem Laden. Er hat sie dort hinstellen lassen, um mit den Menschen im Viertel reden zu können. Kaum ein Kunde kommt, ohne mit ihm ein Gespräch zu führen. Aber warum dann überhaupt diese Internet-Seite? Hakan kann die Frage nicht beantworten, ohne sich in Phrasen zu flüchten.

"Computergesellschaft", sagt er, "Google ist die Butter fürs Brot", und dass er online "Präsenz zeigen" müsse. Eine ehrlichere Antwort wäre zum Beispiel: Ich fand es damals wichtig, habe es aber falsch eingeschätzt - Google ist doch nicht wichtig für mich.

In der einen Hand hält Hakan einen Energydrink, in der anderen eine Zigarette. Wenn er sich unbeobachtet fühlt, schielt er gerne mal in Richtung seiner Uhr. Er ist aber zu höflich, um zu sagen, dass meinetwegen gerade sein kompletter Tagesplan zerfällt.

Ein paar Kunden musste er bereits ohne ihre Klamotten wieder wegschicken. Die nahmen das aber gelassen, es ist anscheinend nicht das erste Mal. Im Internet stehen deshalb ein paar negative Bewertungen. Manche nehmen ihm die Unpünktlichkeit übel. Aber dort im Netz steht auch fast überall, wie nett dieser Mensch ist.

Das Internet lässt ihn eben einfach nicht los. Vergangenes Jahr, so erzählt es Hakan, habe er sich mit einem Webdesigner getroffen. Sein Onkel hat einen Laden für Jagdbekleidung in der Türkei, den will er mit Hakans Hilfe auch in Deutschland etablieren.

Auch wenn Hakan eigentlich gerne wieder in der Türkei leben würde, kommt es nicht wirklich infrage: Seine Tochter ist körperlich behindert, und das Leben in Deutschland ist barrierefreier als in der Türkei. Ein Webshop also soll her - klassischer Internet-Handel, für den es wichtig ist, bei Suchmaschinen in der Ergebnisliste weit oben zu landen. Nach unserem Gespräch weiß er immerhin, wie der Laden nicht heißen sollte: Hakan Tanriverdi & Co. oder ähnlich. Niemand würde diesen Shop bei Google finden.

Als ich mich von Hakan verabschiede, sehe ich, dass bereits ein kleiner Teil der Jagdbekleidung bei ihm im Laden steht. An einer Jacke hängt ein Preisschild, samt Internet-Adresse. Ich tippe die Adresse in mein Smartphone ein: Anscheinend hat sich Hakan einen Namen überlegt, der ihm gut genug gefällt, um ihn jetzt schon bekannt zu machen. Aber die Internet-Adresse ist immer noch zu haben, Hakan hat sich nicht die Mühe gemacht, sie zu kaufen. Er hat immer noch keine eigene Website.

© SZ vom 13.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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