Modemacher Marc Ecko:"Ich bin kein Genie"

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Früher waren es T-Shirts mit bunten Graffiti-Drucken. Mittlerweile verkauft Marc Ecko fünf Klamottenlabels. Als Designer sieht er sich trotzdem nicht. Im Gespräch erklärt er, warum.

Interview: Katharina Höller

Angefangen hat alles mit billigen T-Shirts, die Marc Ecko in der Garage seines Vaters mit Airbrush-Motiven besprühte. Nun vereint der Modemacher fünf verschiedene Marken unter einem Dach. Ecko Unltd. legte den Grundstein und ist heute gut erkennbar am Logo: ein rotes Rhinozeros auf weißem Untergrund. Die Klamotten - weite Hosen, Kapuzensweatshirts und T- Shirts - prägen Amerikas Straßenbild entscheidend mit. Seine Kunden werden völlig eingebettet in die Markenwelt. Sie tragen Eckos Klamotten, sie spielen am Computer sein Leben als Sprayer in den Straßen von New York nach. Und zu guter Letzt lesen sie die dazugehörige Lektüre. Auch wenn der 36-Jährige sich immer wieder den Vorwurf gefallen lassen muss, den Underground zu verkaufen - von Wirtschaftsmagazinen wird er dafür als Visionär des modernen Marketings gefeiert. Und als lebendes Beispiel für die Verwirklichung des amerikanischen Traums exportiert man ihn ins Ausland. Ob er das selbst genauso sieht, erklärt er im Interview.

sueddeutsche.de: Mr. Ecko, Sie haben eigentlich Pharmazie studiert. Wieso haben Sie damit aufgehört?

Marc Ecko: Ich habe 1989 die Highschool beendet. Die darauf folgende Entscheidung für ein Studium lief ungefähr so ab: Alle meine Freunde bewarben sich an fünf oder sechs Universitäten und waren deshalb tierisch gestresst. Weil ich mich nicht demselben Druck aussetzen wollte, habe ich mich einfach dort beworben, wo schon mein Vater Pharmazie studiert hatte.

Ich war gut in Naturwissenschaften und Mathematik und dachte, mein Dad wäre dann besonders stolz auf mich. Allerdings machte mich der Gedanke, einmal Apotheker zu sein, nicht besonders glücklich. Deshalb habe ich schon während des Studiums T-Shirts entworfen und vertrieben. Das gab mir die Möglichkeit, Geschäftliches mit Kunst und Design zu verbinden - und dabei auch noch mein finanzielles Auskommen zu sichern. Es war also ein fließender Übergang vom Möchtegern-Apotheker zu dem, was ich jetzt bin.

sueddeutsche.de: Wie nennen Sie den Job, den Sie jetzt ausüben? Sie mögen es ja nicht besonders, als Modedesigner bezeichnet zu werden.

Marc Ecko: Ich glaube, dass mich diese Bezeichnung einschränkt, wenn man bedenkt, wie sich die Allgemeinheit diesen Beruf vorstellt. Außerdem beschreibt der Begriff Modedesigner meine Fähigkeiten nicht besonders gut.

Ich sehe mich selbst vielmehr als Kurator, als Künstler und als Illustrator. 30 Prozent meiner Zeit verbringe ich im Atelier und zeichne oder male. Das ist immer noch mein größtes Talent. Aber ich bin auch ein guter creative director. Ich inspiriere mein Team, meine Visionen umzusetzen. Dabei mische ich mich aber nicht zu sehr in einzelne Prozesse einmischen. I don't micro-manage.

sueddeutsche.de: Wie erklären Sie sich Ihren gegenwärtigen Erfolg?

Marc Ecko: Mein Erfolg beruht auf einer Mischung aus richtigem Timing, harter Arbeit, Urteilsfähigkeit, Offenheit und auch Leidensfähigkeit. Es ist kompliziert, eine Balance zu finden zwischen kreativer Selbstverwirklichung und der Verpflichtung, eine Firma am Laufen zu halten.

Aber ich habe das Glück, in den achtziger Jahren aufgewachsen zu sein. Damals braute sich in kreativer Hinsicht einiges zusammen: Der Boom in der Medienlandschaft sorgte dafür, dass es überall plötzlich Kabelfernsehen und MTV gab. Hiphop kam als neue Musikrichtung und Lebenskultur auf, Trends wie Skateboarding oder Videogame-Konsolen standen dem Niedergang des Rock'n' Roll gegenüber. Kurzum: Die Achtziger waren eine aufregende Zeit und schufen eine besondere Basis für meine Arbeit. Nicht nur definieren sie heute in hohem Maße unser Konsumverhalten. Auch habe ich dank meiner damaligen Erfahrungen mein Label früh genug gegründet - nämlich als die Konkurrenz noch nicht sehr ausgeprägt war.

sueddeutsche.de: Sie haben keinen der Berufe erlernt, die Sie heute unter Ihrem Firmendach vereinen. Woher haben Sie die nötigen Fähigkeiten?

Marc Ecko: Learning by doing. Ich habe immer nur aus meinen Niederlagen gelernt. Es ist die beste Art zu lernen. Jedoch sollten Sie wissen, dass das alleine nicht reicht. Diese berühmte Faustregel müsste eigentlich lauten: Learning by doing what you love! Wenn man mit Leidenschaft bei der Sache ist, fühlt sich der Lernprozess nämlich nicht an wie ein Weg, sondern wie eine Reise.

sueddeutsche.de: Aber haben Sie jemals ein Sweatshirt selbst genäht?

Marc Ecko: Ich verstehe, worauf Sie hinauswollen: Handwerkliche Fähigkeiten sind natürlich wichtig. Allerdings habe ich sie nicht erlernt, indem ich selbst hinter der Nähmaschine saß. Ich habe meinen Schneidern über die Schulter gesehen und mir die wichtigsten Grundlagen erklären lassen. Dasselbe mit Schnittmustern: Falsche Zeichnungen bekam ich von meinen Mitarbeitern einfach zurück. Ich musste mich hinsetzen und sie noch einmal zeichnen, solang bis ich es konnte.

sueddeutsche.de: Entwerfen Sie immer noch einen Teil Ihrer Kollektionen selbst?

Marc Ecko: Ich bin immer noch in jeden Teilbereich meines Unternehmens involviert. Bei der Menge an Leuten, die da draußen für mich arbeiten, muss ich mich aber auch zurückhalten. Wenn ich meine Finger überall im Spiel hätte, würde das die Arbeitsprozesse extrem verlangsamen. Aber nicht nur deshalb erlaube ich jüngeren Designmanagern, eigene Entscheidungen zu treffen. Wenn ich nämlich persönlich Kritik oder Lob äußere, reagieren die betroffenen Mitarbeiter oft sehr emotional.

Es kam schon vor, dass junge Kollegen wegen meiner kritischen Meinung in Tränen ausbrachen oder wegen eines Lobs von mir dachten, sie könnten alles. Ich versuche, als creative director im Hintergrund konstruktiv zu agieren und dabei die Balance zu halten zwischen klarer Führungslinie und genügend Spielraum für die Mitarbeiter. Dabei helfen mir Kollegen, die mich ständig über Abläufe und Fortschritte informieren und meine Anregungen weitergeben.

sueddeutsche.de: Was bedeuten Mode und Lifestyle für Sie?

Marc Ecko: Der Begriff "Lifestyle" wird von vielen Menschen in der Markenwelt missbraucht. Er geht diesen Leuten im selben Zusammenhang über die Lippen wie "Liebe" oder "Bester Freund". Dabei wurde das Wort Lifestyle nie ausreichend definiert. Trotz meines kritischen Untertons weiß ich natürlich, dass die Branche, in der ich mich bewege, sehr viel mit Gefühlen zu tun hat. Inwieweit geben die Dinge, die ich herstelle, ein bestimmtes Lebensgefühl wieder? Genau das muss ich können: In den Menschen ein bestimmtes Gefühl erwecken. Die Mode ist hingegen schlicht das Endprodukt dieses Prozesses.

sueddeutsche.de: Was haben Ihre verschiedenen Marken gemeinsam?

Marc Ecko: Was die verschiedenen Teilbereiche von Marc Ecko Enterprises verbindet, ist mein eigener Background und mein daraus folgendes Wissen um das Konsum- und Kommunikationsverhalten der Kids heute. Ihnen sollen meine Produkte entsprechen. Dafür müssen sie nützlich sein und dürfen sich nicht an der Vergangenheit orientieren.

sueddeutsche.de: Wieso steht ausgerechnet das Rhinozeros für Ecko?

Marc Ecko: Selbst im Geschäftsleben gibt es Dinge, die man nicht erklären oder trainieren kann - dazu gehört das Suchen und Finden eines geeigneten Logos. Als ich damals auf der Suche war, entdeckte ich im Haus meines Vaters in New Jersey eine Sammlung dieser kleinen Rhinozeros-Holzskulpturen. Irgendwie beschlich mich das Gefühl, dass daraus ein gutes Konzept entstehen könnte.

So bedruckte ich 20 T-Shirts eines aktuellen Auftrages mit der Rhino-Grafik. Zunächst waren die Händler sauer und verlangten nach Shirts mit dem gewohnten Graffiti-Aufdruck. Aber drei Monate später riefen sie mich an und sagten: "Hey, wir brauchen unbedingt noch mehr von diesen Dinosaurier-Shirts." Ich antwortete: "Ja, das Rhinozeros, ich erinnere mich." Die Entscheidung für dieses Logo ergab sich sozusagen von selbst.

sueddeutsche.de: Sie und das Rhinozeros tragen mittlerweile denselben Namen, "Ecko". Warum?

Marc Ecko: Als meine Mutter mit mir schwanger war, wusste sie nicht, dass sie in Wahrheit Zwillinge erwartete. Bei der Geburt kam dann zuerst meine Schwester Marci zur Welt. Ich glaube sie ist damit die Stimme - und ich das Echo. In den Achtzigern habe ich den Spitznamen "Ecko" dann zum Sprühen benutzt. Die Geschichte klingt irgendwie kitschig, aber es ist die Wahrheit.

sueddeutsche.de: Sie sind ein Genie in Sachen Marketing - zumindest sagt man Ihnen das nach. Was machen Sie anders?

Marc Ecko: Ich bin kein Genie. Ich hatte einfach Glück und war clever genug, es beim Schopf zu packen. Ich habe die Gunst der Stunde erkannt und sie zu meinem Vorteil genutzt. Mir war schnell klar, dass das Internet das Kommunikationsmittel der Jugendlichen sein würde, und habe es als Medium für meinen Dialog mit ihnen benutzt.

Eine herkömmliche Modemarke wie zum Beispiel Calvin Klein hätte so nie reagiert. Diese zogen lange Zeit nur die großen Männermodemagazine als Möglichkeit in Betracht, den eigenen Konsumenten anzusprechen. Ich habe gleich daran geglaubt, dass es noch andere Wege geben muss als nur ein Foto von einem Stück Stoff. Aus diesem Glauben entstanden verschiedene Videospiele, Ecko TV und von mir organisierte Events, denen mediale Aufmerksamkeit zuteilwurde.

sueddeutsche.de: Ecko TV ist also eine weitere Plattform, die Ihre Kunden ansprechen soll? Die Website erinnert auf den ersten Blick ein bisschen an Youtube.

Marc Ecko: Ecko TV ist Teil einer Medienstrategie. Die Konsumenten werden heutzutage mehr und mehr zu Produzenten - Demokratisierung der Medieninhalte und Infotainment sind angesagt. Darauf reagieren wir mit Ecko TV. Mit Youtube können wir allerdings nicht konkurrieren. Wir produzieren außerdem die Inhalte größtenteils selbst - es geht also nicht um das Do-it-yourself-Prinzip.

sueddeutsche.de: Sie sind Herausgeber eines Männermagazins. Wie haben sich die Interessen der Männer in den vergangenen Jahren gewandelt?

Marc Ecko: Zu meiner Jugendzeit konnte es leicht gefährlich werden, wenn ein Mann zu sehr auf sein Äußeres achtete - schnell galt er deshalb als mädchenhaft. Mittlerweile gibt es eine Generation junger Männer, die Schuhe, Jeans und T-Shirts sehr sorgfältig auswählen und kein Problem damit haben, das auch zu äußern. Sie wollen genau wissen, wie eine Jacke richtig sitzt und wie ihr Oberkörper in einem T-Shirt aussieht. Aber das ist nicht der einzige deutlich spürbare Trend. Jeder darf heute seinen charakteristischen Geschmack haben: Das heißt, dass es kein Problem ist, wenn man außer Indierock auch noch Norah Jones mag - im Gegenteil: Es ist cool, weil derart gemischte Vorlieben Zeugnis ablegen von deiner Persönlichkeit. Das ist wie mit gemischtem Wein: Früher haben Weinkenner sich nur darüber lustig gemacht - inzwischen sind sie der große Renner.

sueddeutsche.de: Reagiert Ecko Enterprises auch auf modische Trends wie zum Beispiel die Röhrenjeans?

Marc Ecko: Manche Bereiche meines Unternehmens tun das, andere wiederum nicht. Wenn die Röhrenjeans zu der Kultur passt, die wir mit der jeweiligen Kollektion abbilden wollen - warum nicht? In der Hinsicht sind wir nicht anders als andere Marken auch, von Levis bis zu Louis Vuitton.

sueddeutsche.de: Der Hiphop entbehrt gerade jeglicher Kreativität. Immer nur dasselbe: Schicke Autos, nackte Frauen, Bling-Bling-Attitude. Wie finden Sie das?

Marc Ecko: Ich kann verstehen, warum Sie das so wahrnehmen. Auch mir fallen die ewigen Wiederholungen auf, aber ich möchte argumentieren, dass dieselben Wiederholungen auch im Rock 'n' Roll vorkommen. Die Sounds, die heute Rock 'n' Roll definieren, haben sich in den letzten 40 Jahren auch nicht großartig entwickelt.

Den gegenteiligen Eindruck von Hiphop sollten Sie gewinnen, wenn Sie sich einen Künstler wie Kanye West ansehen. Er liefert eine One-Man-Show und agiert fast wie ein Theater-Schauspieler: Er ist melancholisch, selbstreflektierend und dennoch humorvoll und damit als Musiker für unsere Generation so bezeichnend wie beispielsweise Bob Dylan es war. Jemanden wie ihn gab es vor zwei Jahren im HipHop noch nicht. Pharrell Williams von N.E.R.D ist noch so ein Beispiel: Er gibt dem Hiphop seine Stimme und nimmt damit großen Einfluss auf andere Künstler, von Marc Jacobs bis hin zu Takashi Murakami.

sueddeutsche.de: Wird Hiphop in Zukunft die Welt verändern?

Marc Ecko: Die wirklich wichtigen gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahre wurden nicht durch Musik ins Rollen gebracht. Dafür kann man aber nicht den Hiphop verantwortlich machen. Die größte Veränderung entstand durch den Zugang zu Kommunikationsmitteln wie dem Internet. In der Folge wird der Medienkonsument häufig selbst zum Produzenten. Hierin liegt die größte gesellschaftliche Verschiebung und Herausforderung, der Punkrock unserer Zeit sozusagen. Junge Leute finden das spannend und blicken hoffnungsvoll in die Zukunft, während Eltern und Ältere Angst davor haben - wie früher vor den Punkern. Ich glaube trotzdem, dass uns kein Medium so sehr befreit hat wie das Internet.

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