Mode und Rock'n'Roll:Der Glamour einer zerrissenen Jeans

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Mit Vivienne Westwood und den Sex Pistols gingen Rock und Mode eine lange währende fruchtbare Bindung ein. Der Stil ihrer Helden erzählt vom Versprechen ewiger Pubertät.

Eva Karcher

Das ist er, der Sound des Rock: peitschende Drums, schrille Gitarren und die schmetternde Stimme des Leadsängers: " ... du explodierst, lässt alles raus, die ganze Welt gibt dir Applaus, du explodierst, brichst endlich aus, schreist einfach alles aus dir raus ..." In das hämmernd rhythmische Stakkato mischen sich die frenetischen Pfiffe und Jubelrufe der Fans der Hamburger Band Revolverheld. Mit erhobenen Armen klatschen sie den Takt, und dann hüpft und wogt und winkt die Menge und wird zu einem einzigen, sich hingegeben wiegenden Körpermeer.

Mit den Sex Pistols und Vivienne Westwood fingen Mode und Musik an, sich gegenseitig zu befruchten. (Foto: Foto: AFP)

Und das ist er, der Look des Rock: fünf Jungs in Jeans und Sneakers, T-Shirts, Hemd, Pullunder, dazu wahlweise schwarze, schmale Krawatte oder Palästinenserschal, Weste oder Jackett, die Farben erdig matt, beige, blau, grau. Revolverheld zelebrieren die smart-gepflegte Version des Rock'n'Roll-Styles ihrer Rolling Stones-Überväter, die Anfang der sechziger Jahre den bis heute universellen Street-Wear-Chic erfanden, damals eine harsche Absage an die geltende Mode-Etikette.

Hüftjeans, bedruckte T-Shirts, schwarze Sonnenbrillen und lange Wuschelhaare der Rollenden Steine (mit Ausnahme von Charlie Watts, der stets very british Maßanzüge und Button-Down-Hemden trug) verkündeten: Rock ist Revolte gegen Autorität in jeder Form. Rock liebt Drogen und Sex und ein Leben auf der Überholspur.

Jung bleiben muss man nur wollen

Sicher, doch vor allem jagte Rock der Illusion ewiger Jugend hinterher und blieb so - tatsächlich ewig jung. Als Utopie von Freiheit und Fortschritt eroberte der Teen Spirit des Rockpop damals die Welt und gebar eine Fülle neuer Fashioncodes, von denen selbst die Mode unserer gegenwärtigen Postpop-Ära noch zehrt. Erster Gott der Pop-Revolution wurde 1955 Elvis Presley, die weiße Hillbilly Cat mit der schwarzen Stimme und dem bis dahin nie gehörten Beat aus Rhythm&Blues, Countryballaden und Gospelklängen.

Nicht nur sein samtiges Timbre trieb die Halbstarken zur Raserei, sondern auch der Hüftschwung, der erst in hautengen Schlaghosen so richtig lasziv zur Geltung kam. Elvis trug sie bevorzugt in Weiß und Gold, verziert mit breiten Brokatbordüren und ebenso glimmenden, aufgeknöpft taillenkurzen Jacken mit hohen Krägen, dazu viel Goldschmuck und das pechschwarze Haar zur Banane pomadisiert.

Von Anfang an wurde sein Stil des extravaganten overdressing, dem er auch privat mit schwarzen, perlenbestickten Samtanzügen, pelzverbrämten, bodenlangen Ledermänteln und seinem königsblauen Kaftan treu blieb, massenweise kopiert - und karikiert. In Los Angeles, im Laden von Nudie Cohn, dem Schneider von Elvis legendärem Goldlamé-Smoking, der schon damals 10000 Dollar kostete, fanden Anhänger alle Utensilien, mit denen sie sich ihrem King anverwandeln konnten.

Sein auffälliger Blitzlichtgewitter-Stil setzte Maßstäbe für alle Formen von Glamrock-Styling, die bald folgen sollten. Zum schillerndsten Protagonisten stieg David Bowie auf, der 1972 als sein androgynes Alter Ego Ziggy Stardust geschminkt und im asymmetrischen, grell streifenrautengemusterten Pailletten-Body mit hellblauer Federboa seinen Durchbruch hatte. Auch Marc Bolan von T. Rex und Brian Eno provozierten mit Cross Dressing und trugen Damenplateauschuhe, Cocktailkleider, Glitzersternchen im Gesicht und Lametta im Haar. Sie kauften vorzugsweise in Londons Glam-Boutique Ace in der King's Road ein.

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Lass' glitzern!

Amy Winehouse singt in knappen Shorts von Diesel. (Foto: Foto: Getty Images)

Bryan Ferry von Roxy Music liebte fluoreszierende Overalls und pinkfarbene Kampfanzüge, und Freddie Mercury, Frontmann von Queen und Paradiesvogel, machte seit der Mitte des Jahrzehnts Furore mit hautengen Trikothosen, aufwendigen farbigen Lederjacken oder einem zeltweiten Satintop mit Flügelärmeln, das die britische Designerin Zandra Rhodes für ihn entwarf. Exzentrischen Glitz-Look zelebriert gegenwärtig dank Stylistin Laura Dawson vor allem Jake Shears von der New Yorker Band Scissor Sisters, der gerne metallisch schimmernde Anzüge oder mit Strass übersäte Smokingjacken trägt.

Ausgerechnet mit Beginn der Punkära verbanden sich zum ersten Mal Couture und Pop. Zusammen mit ihrem damaligen Mann Malcolm McLaren hatte die britische Designerin Vivienne Westwood 1971 in London zunächst die Boutique "Paradise Garage" eröffnet. Dort verkaufte man Mode für Teds, jene schlagfesten und oft rassistischen Jungs, die sich mit langen Gehröcken, Elvis-Tollen und bordürenbesetzten Hemden gerne in die Zeit König Edwards VII. zurückversetzten. 1974 benannten Westwood und McLaren ihren Laden in "Sex" um und verkauften von nun an Erotikwäsche und SM-Accessoires.

Nachdem McLaren 1975 zum Manager der Sex Pistols avanciert war, staffierte die Queen of Punk Johnny Rotten und seine Band dann mit dem ganzen rotzigen Inventar der Bewegung aus: zerfetzten "Destroy"-T-Shirts, schwarzledernen Rockerjacken, Militärstiefeln, engen Hosen mit Reißverschlüssen, maßgeschneiderten Blazern, Body Piercings und Sicherheitsnadeln bis hin zum stacheligen Spike Hair.

Aus Punk wird Haute Couture

Wie kaum eine andere Untergrundbewegung mutierte die zornige Anti-Establishment-Ästhetik des Punk, in den USA von den Ramones, Patti Smith oder Iggy Pop und den Stooges verkörpert, im Lauf der achtziger Jahre zum Mainstream-Chic. Sogar die Haute Couture adelte Punk 1993, als der Designer Gianni Versace für Schauspielerin Liz Hurley eine spektakuläre schwarze Abendrobe, nur von goldenen Sicherheitsnadeln gehalten, entwarf. Versace war es auch, der als Erster Bühnenoutfits für Stars des Pop wie Elton John, Jon Bon Jovi und Prince entwarf, die Musik für seine Modeschauen von ihnen komponieren und sie in seinen Anzeigenkampagnen posieren ließ.

Seitdem sind Popstars wie Madonna oder Kylie Minogue zu Imageträgern für Designer wie Jean Paul Gaultier, Dolce&Gabbana oder Ed Hardy geworden. Phil Collins trägt Armani, die derzeit umjubelte New Yorker Neo-Disco-Band Hercules&Love Affair Balenciaga, und Hedi Slimane, der bis vor kurzem bei Dior Homme die Männermode dieses Jahrzehnts neu definiert hat, ist so Rockpop-affin wie keiner vor ihm.

Er kleidete Mick Jagger und David Bowie ein, in der jüngeren Generation den Blues-Rock Sänger Jack White von den White Stripes, Sänger Beck und die schottische Band Franz Ferdinand. Aus seinem guten Freund, dem Babyshambles-Leadsänger und Bad Boy Pete Doherty, machte er zudem eine Mode-Ikone in hautengen Jeans, schmalen schwarzen Anzügen und lustigen Hüten.

Die berühmten engen Schnitte von Slimanes Anzügen wirken nicht zuletzt wie eine Hommage an die neben den Stones stilprägenden Götter des Rock, die Beatles. Immerhin trugen die "Fab Four" am Anfang dank Manager Brian Epstein schmale schwarze, von Pierre Cardin geschneiderte, kragenlose Anzüge, bevor sie sich 1967, im "Summer of Love", mehr dem psychedelischen Hippie-Pfauen-Look zuwandten.

Als wichtigste Rock-Inspiration für seine Kreationen nennt Slimane Grunge, den Stil, mit dem Kurt Cobain und seine Band Nirvana die neunziger Jahre aufmischten. Musikalisch von dem Jahrhundertsong ,,Smells like Teen Spirit'' gekrönt, ist die Antimode-Attitüde des Grunge, die übrigens auch Louis Vuitton-Designer Marc Jacobs prägte, mit ihren gedämpften Farben, karierten Flanellhemden, Doc-Martens-Stiefeln, bunten Chucks und verwaschenen Jeans nach wie vor hochaktuell.

Lesen Sie weiter, wie Rock und Mode heute gegenseitig ihr Bild prägen.

Von Kurt Cobain zu Avril Lavigne

Vor allem der Schichtenlook und der Mix von High-und Low-Materialien, Stoffen, Kleidern und Hosen, den auch Cobain kultivierte, der Street-Wear-Appeal also ist es, der heute Rockpopstars ebenso wie ihr Publikum verbindet. Neben der "Bling-Bling" -Mode des Hip-Hop, deren Stars P. Diddy, Jay-Z oder 50Cent Baggy Pants, XL-T-Shirts, Kappen, Ketten, Ringe und Ohrstecker mit eigenen Marken produzieren, ist es das italienische Kultlabel Diesel von Renzo Rosso, das Street-Fashion und Rock gegenwärtig am authentischsten verschmelzen lässt.

Nicht zuletzt das Motto der Marke, "For successful Living", verkündet ein Lebensgefühl, das dem des Rock entspricht: sexy, selbstironisch und mit dem gewissen Etwas anarchischer Lebenslust. Folgerichtig engagiert sich Diesel seit Jahren mit großem Erfolg in der Rock- und Popszene und stattet Bands aus wie Sportfreunde Stiller, Fettes Brot oder eben Revolverheld - ihr Song "Helden 2008", offizielle Fanhymne der Fußball-Europameisterschaft, erscheint Ende Mai bei Sony.

Das Label unterstützt Festivals wie Rock am Ring am Nürburgring (6. bis 8. Juni), fördert den Nachwuchs mit einem Wettbewerb und sponsert Filmproduktionen. Zudem tragen die coolsten Kids des Rockpop privat Diesel - Denims, Shirts, Jacken und Sonnenbrillen, von der R&B-Sängerin Rihanna über Filmstar und Rockröhre Juliette Lewis, die Sängerinnen Amy Winehouse und Avril Lavigne bis hin zu Pete Doherty, Jack White und der jungen Las Vegas-Band Panic!at the disco.

Rock-Fashion heute recycelt die Outfits der Gründerzeit und lädt sie mit dem Glamour des Fusions-Chic auf, der auch die Kunst beherrscht. "Here we are now, entertain us", heißt es in Cobains "Teen-Spirit"-Song. Ist es nicht das, was wir immer und immer wieder wollen?

© SZ vom 29.03.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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