Mode und Krankheiten:Todschick durch die letzten Jahre

Lesezeit: 4 min

Die Verzierung von Schutzmasken während der Schweinegrippe zeigt: Die Mode kokettiert immer häufiger mit grässlichen Krankheiten.

Verena Stehle

Vor dem Virus sind alle gleich. Im nächsten Moment ist es schon da.

Reif für die Intensivstation: Wie Mode und Kunst mit schweren Krankheiten und dem Tod kokettieren. (Foto: Foto: AP)

Deshalb war wohl auch der tapaboca-Trend so ansteckend: Zuerst waren es nur ein paar Mexikaner, die ihre Schweinegrippe-OP-Masken bemalten; bald darauf schienen sie schon miteinander zu wetteifern, wer besser zeichnen kann. Totenköpfe. Kussmünder. Trauminseln. Schlechte Zeichner hielten dagegen, indem sie sich halbwegs amüsante Stofffetzen umbanden, etwa eine US-Flagge.

Nach ein paar Tage ploppten dann auch in Internetblogs - geographisch gesehen weit, weit weg von H1N1 - immer neue Varianten der Maske auf; hier mit Leopardenmuster, dort, haha, mit Schweineschnauze, der Blog der New York Times zeigt eine mit den Gesichtszügen eines Schimpansen. Und Google spuckt den Begriff "Gesichtsmaske" neuerdings mit den Wörtern "Mode" und "Trend" aus.

Das alles ruft ein Foto ins Gedächtnis, das 2003 während der Sars-Epidemie um die Welt ging: eine Asiatin mit Louis-Vuitton-Gesichtsmaske. Das Virus-Utensil als Mittel zur Selbstdarstellung.

Schert sich noch irgendwer darum, ob die Masken überhaupt taugen? Findet es niemand mehr alarmierend, dass laut Robert-Koch-Institut und WHO die Wirksamkeit nicht empirisch unterfüttert ist? Pah, egal! Wie schrieb kürzlich ein mexikanischer Kolumnist: Die Maske sei famos; sie lasse sogar nicht so schöne Menschen "wenigstens mysteriös" aussehen.

Der Zauber des Virus

Dass der Zauber des Virus mehr interessiert als die Frage, wie man es am schnellsten im Keim erstickt, ist kein neues Phänomen. Jede Epoche hat ihre Krankheit, die in kreativen Zirkeln en vogue war, und das waren meist ganz fiese, siechende Leiden. Ungesund auszusehen galt immer schon als verschärft.

Zum Beispiel das sogenannte blaue Blut. Eigentlich eine Mangelerscheinung an roten Blutkörperchen, war die Anämie im 18. Jahrhundert das Beautyideal schlechthin; und wer nicht von Natur aus blutarm war, schminkte sich halt so hin. Die Adelsdamen malten die Adern auf ihrem kalkweißen Dekolletee mit einem blauen Stift nach.

Später dann, im 19. Jahrhundert, galt im Bürgertum die Tuberkulose als besonders chic: Thomas Mann romantisierte sie im "Zauberberg", und auch die Syphilis schaffte es immerhin bis zu Grimmelshausen und Voltaire. Explizit in der Mode oder im Kosmetikbereich manifestieren konnten sich die beiden aber nicht; ihr Look war wohl doch zu unappetitlich. Und was trug man in Künstlersalons um die Jahrhundertwende? Nervenleiden.

Ganz heftig flirteten die Designer erst im 21. Jahrhundert mit Viren, Bakterien und Psychosen. 1992, als die Angst vor HIV die Welt lähmte, fotografierte die Firma Benetton für eine Anzeige den Aidskranken David Kirby auf dem Sterbebett. Um diese Zeit herum war es auch, dass der Heroin-Chic dem Fitness- und Gesundheitswahn der achtziger Jahre ein Ende setzte. Calvin Klein mochte sie sehr, diese ausgemergelten Models mit den strähnigen Haaren, spitzen Knochen, grauen Augenringen, die aussahen, als stünden sie kurz vor dem goldenen Schuss.

Diese Ästhetik wurde zwanzig Jahre später von Hollywoods Starstylistin Rachel Zoe recycelt - bei ihr durfte allerdings nur der Körper junkiedürr sein, der Rest des Zoe-Looks war braungebrannt, mondän, griechisch. Der Magerwahn bekam den hippen Namen Size Zero, und erfasste in Tokio sogar die jungen Männer. Alle wollten die Mini-Jeans Größe 32 tragen, in die nicht mal mehr ein Drittklässler hineinpasste.

Vom Entzug ins Hochglanzmagazin: Der "Rehab-Look"

Übrigens war die Grippe-Maske schon einmal zu sehen. Auf einem großen Laufsteg, in einem anderen Jahr, als keiner um die Schweineseuche bangte, sondern darum, vielleicht doch ein ernstes Alkoholproblem zu haben. 2007 wurde der kranke Trend schlechthin geboren: der von der Los Angeles Times so getaufte "Rehab-Chic" - davon inspiriert, dass Celebrities wie Amy Winehouse oder Britney Spears plötzlich in Entzugskliniken pilgerten, während eine Brigitte Nielsen gleich im Fernsehen ausnüchterte, in MTVs Realityshow "Celebrity Rehab".

Ihrer aller Entzugs-Look - verschmiertes Augen-Make-up, zerzaustes Haar, fahriger Blick - entzückte die Modebranche: Starfotograf Steven Meisel realisierte genau solch eine Fotostrecke im Juli 2007 in der italienischen Vogue. Urban Outfitters bedruckte T-Shirts mit dem Slogan "rehab is the new black".

Chanel präsentierte im Frühjahr 2008 ein Knöcheltäschchen, das sehr an die Alkohol-Messgerät-Fußfessel erinnerte, das Lagerfelds Mäuschen Lindsay Lohan zu jener Zeit in die Kameras streckte. In derselben Saison stylte auch Marc Jacobs seine Models wie Angelina Jolie im Klapse-Film "Girl, Interrupted". Und auf dem Laufsteg bei Louis Vuitton marschierten Supermodels im trashigen Krankenschwester-Outfit, mit den besagten Gesichtsmasken aus Spitze - eine Hommage an die "Nurse Paintings" von Richard Prince.

Die New York Times schrieb damals: "Geisteskrankheit: Die Stilindustrie liebt sie!" Die pathologische Liaison von Mode und Wahnsinn reicht zurück bis in die 1950er Jahre, als die Dichterinnen Sylvia Plath, Anne Sexton and Jean Rhys heimliche Modevorbilder waren. Und um wen geht es nochmal im neuen US-Kinohit "Grey Gardens"? Ach ja - um die nicht weniger durchgeknallte Edith Bouvier Beale, Tante von Jackie O.

Andererseits: Mode zitiert nicht nur Krankheit. Sie fordert sie auch heraus. Die zarten Empire-Roben aus der Zeit Napoleons hießen auch "Influenza-Kleider" - die Damen, zu fein, ein Jäckchen drüberzuziehen, riskierten lieber einen Infekt. Nicht anders verhält es sich mit Quetschjeans und Impotenz. Und Killer-Heels heißen auch nicht umsonst so.

Schon klar, was die Mode an der Krankheit findet. Ekzeme und Verwirrtheit wirken so herrlich entrückt, sonderbar und unästhetisch; und die Anti-Ästhetik ist ja überhaupt die treibende Kraft der Mode. Wie schreibt Barbara Vinken in ihrem Buch "Mode nach der Mode": Die Anti-Ästhetik ist "die Wahrheit von der Gefallenheit und Vergänglichkeit aller zum Schein bloß schönen Welt". Das erklärt auch, warum der Totenschädel als Symbol nicht totzukriegen ist, ob auf Designer-Halstüchern, Trendjeans oder Shirts von Ed Hardy.

Wenn es also irgendwann mit uns zu Ende geht, sind wir immerhin richtig angezogen.

© SZ vom 09.05.2009/mes - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: