Mode:Stoff für Zoff

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Das Kopftuch hat lange genug polarisiert - jetzt beruft sich die Mode auf seine aristokratische Attitüde.

Eva Munz

Noch wehren wir uns dagegen. Aber das Kopftuch scheint tatsächlich wiederzukommen. Die seidenen Carrés mit Ornamenten der großen Modehäuser - lange nur Accessoire betagter Damen mit starr fixierten Frisuren - bewegen sich langsam wieder von faltigen Hälsen aufwärts über das Haar.

Stoff für Zoff: das Kopftuch. (Foto: Foto: dpa)

Schon Stilikonen wie Grace Kelly oder Audrey Hepburn wussten: Ein Foulard schützt vor kühlen Herbstwinden, schont im Gegensatz zu Mützen die Frisur und wirkt dazu noch elegant. Die italienische Modemarke Dolce&Gabbana inszenierte die Werbeaufnahmen der aktuellen D&G-Kollektion vor einem englischen Landhaus, die weiblichen Models tragen klassische Seiden-Kopftücher unter dem Kinn gebunden, kombiniert mit sittsamen Jacken in Kilt-Karos und schweren Stiefeln, die Matschwetter trotzen. Eine Hommage an den spröden aristokratischen Look der Queen - die Bilder atmen Old Europe, Adel und bleibende Werte. In Anbetracht der Finanzkrise geht von diesen Szenen die sehnsüchtige Stimmung einer vielleicht endgültig vergangenen Welt aus.

Auch der englische Modedesigner Paul Smith und sein französischer Kollege Jean Paul Gaultier schickten ihre Models mit der züchtigen Kopfbedeckung auf die Laufstege. Die Ehefrau von Tom Cruise, Katie Holmes, zitiert beim Spaziergang in New York die Hollywood-Aristokratie, standesgemäß mit großer Sonnenbrille: Das blau-weiß gemusterte Stoffquadrat ist locker im Nacken geschlungen, ein paar Haarsträhnen blitzen hervor. Auf den Köpfen von Paris Hilton und Angelina Jolie wirkt das Kopftuch eher wie ein ironisches Spiel mit prüden Kleidungskonventionen.

In Europa hat das Kopftuch ein denkbar schlechtes Image - gerade wenn es auf den Köpfen muslimischer Frauen sitzt. Muslimische Kopftuchträgerinnen gelten als rückschrittlich, provinziell oder werden gleich als Opfer des religiösen Fanatismus eingestuft. Traditionell sollte die muslimische Frau ihr Haar und ihre Figur in der Öffentlichkeit verhüllen, um Männer nicht in Versuchung zu führen. Langes, offenes Haar gilt als verführerisch, grelles Make-up auch. Muslimische Frauen laden deshalb ihre sichtbaren Waffen: Augen werden mit dunklem Kajal betont und Brauen zu einem markanten Bogen in Szene gesetzt. Kopftuchträgerinnen wissen, dass Augen verschlingen, Tränen nicht lügen und Blicke töten können.

Für Muslimas in der westlichen Welt ist das Kopftuch nicht allein stolzer Ausdruck der Zugehörigkeit zum Islam und eines kulturellen Selbstbewusstseins, es bietet auch die Möglichkeit, innerhalb religiöser Reglements Individualität, Prestige und Modebewusstsein auszuleben. Und dabei schwingt auch eine anti-amerikanische Haltung mit, die ihren Ursprung in der Außenpolitik George W. Bushs hat. Frauen mit üppigem Budget aus den Wirtschaftsmetropolen der Vereinigten Arabischen Emirate spielen mit dem Reiz eines ungelüfteten Geheimnisses, der von Verhüllung ausgeht. So wird das quadratische Stück Stoff zur Projektionsfläche. Ihre züchtigen Interpretationen der großen Modehäuser Chanel, Burberry und Hermès werden von Westlern, die diese Kunst selten beherrschen, abfällig als Petro-Chic abgetan.

Weil sich die muslimische Welt über den Grad der Verhüllung uneinig ist, haben sich lokale Spielarten des Accessoires herausgebildet, von der Ganzkörperverhüllung bis zum durchsichtigen Schal am Hinterkopf. Die Taliban in Afghanistan würden ihre Frauen am liebsten unsichtbar werden lassen unter dem blauen "Müllsack" - wie die Burka, das große Stofftuch mit Sichtfenster, von Bundeswehrsoldaten spöttisch genannt wird. Frauen aus Saudi-Arabien tragen zu ihrer bodenlangen Kopf und Körper verhüllenden Abbaya oft schwarze Masken und werden deshalb im Westen auch "Darth Vaders" genannt. US-amerikanische Soldaten in Bagdad sprechen nur von BMOs (black moving objects), wenn sie irakische Frauen meinen. Im tropischen Indonesien wickeln die Mädchen ihren Kopf teilweise so pedantisch in bunte Tücher, die mit Strass und Pailletten veredelt sind, bis wirklich jede Haarsträhne verschwunden ist. Dazu sind sie geschminkt wie nachts die osteuropäischen Frauen auf Berlins Oranienburgerstraße und tragen Stretch-Jeans und knallenge Spitzenhemden, die keinen Zweifel über die Körperform zulassen.

Die sogenannte türkische Bindung ist weltweit besonders beliebt: das Tuch eng um den Kopf geschlungen, die langen Haare darunter am Oberkopf zu einer Skulptur aufgetürmt und unter dem Kinn gekreuzt, das Gesicht bleibt frei. Dabei hat Kemal Atatürk schon 1925, kurz nach der Gründung der türkischen Republik, eine radikale Kleiderreform in seinem laizistischen Staat veranlasst, die es Frauen verbietet, sich zu verschleiern. Den Männern wurde im Gegenzug der Fez abgenommen.

Nun erlebt das Kopftuch eine Renaissance, nicht nur in den muslimischen Städten von Algier bis Jakarta, auch in deren Diasporas von Los Angeles bis Berlin. In Paris ist das Tuch längst wieder dort gelandet, wo es herkommt, nämlich auf dem Kopf modebewusster Frauen diverser Konfessionen - zu sehen neulich bei Besucherinnen der Prêt-à-Porter-Schauen. Dass manche von ihnen aussehen wie Trümmerfrauen, daran muss man sich noch gewöhnen.

In Berlin fühlt sich die Unternehmerin Feride Uslu wieder zu ihren türkischen Wurzeln hingezogen. Ihre Baumwoll-Tücher mit Blumenmuster lässt sie in der Türkei von Mutter und Tanten in Heimarbeit mit feinen bunten Garnen umhäkeln. Ein folkloristisches Accessoire, unter dem die ländliche Türkin ihr Haar verbirgt. Jedes Tuch der Marke "uslu airlines" ist ein Unikat und wird in Tokio, New York und Paris für etwa 150 Euro verkauft. Feride Uslu sieht darin eine neue Entwicklung: "Ich bin Emigrantenkind. Meine Mutter hat nie Kopftuch hier in Deutschland getragen. Heute ist das anders. Die Frauen wollen sagen: Wir sind nicht arm, sondern edel. Viele sind stylischer als manche Deutsche." Heute wird in der Türkei wieder heftig diskutiert, ob Kopftücher in Universitäten oder öffentlichen Ämtern getragen werden dürfen. Feride Uslus Ehemann und Geschäftspartner Jan Mihm sagt: "Das Kopftuchthema wird unter Türken ebenso leidenschaftlich diskutiert wie das Tempolimit unter Deutschen."

Symbol des Widerstands

Besonders verwirrend ist der modische Werdegang der Kufija. Das Palästinensertuch ist so häufig ideologisch gekidnappt worden, dass sich die verarmten Hersteller in der West Bank heute grün ärgern, dass sie kein Copyright auf das Muster haben. Die Kufija trägt Frau traditionell überhaupt nicht. Außer sie heißt Leila Khaled, und hat 1969 mit anderen Anhängern der Terrorgruppe "Schwarzer September" eine TWA-Maschine auf dem Weg von Rom nach Athen entführt. Von Leila Khaled gibt es ein Foto, auf dem sie das Tuch locker über das dunkle Haar drapiert hat, die Kalaschnikow mit einer Selbstverständlichkeit geschultert, als sei es eine Kelly-Bag. Dieses Bild wurde zigmal in internationalen Hochglanzmagazinen abgedruckt, und Khaled avancierte zum Pin-up des bewaffneten Widerstands.

Ursprünglich war der Schal das Kleidungsstück syrischer Bauern. Erst 1930 wurde das schwarz-weiße Tuch zum Symbol des Widerstandes der Araber gegen den Zionismus im britisch kontrollierten Palästina. Später trugen RAF-Mitglieder die Kufija in Trainingslagern in Jordanien, heute schlingen sie sich selbst Neonazis um.

2001 macht sich die Stoff gewordene Utopie des Pan-Arabismus zu den Laufstegen auf: Raf Simons trägt das "Pali-Tuch" bei seiner Schau als Zeichen seiner "fashion revolution". Tausende Frauen von Berlin bis Miami revoltieren mit. Balenciaga bringt die Kaschmir-Version für 2000 Euro auf den Markt und die Presse schreit: "Hate Couture".

Die arabische Clientèle hingegen kauft weiterhin europäische Ornamentik - und baut sich ihre züchtige Hybridmode aus Versatzstücken von Louis Vuitton bis H&M zusammen. Da es in manchen Ländern auf den Straßen zu heiß ist, oder es sich nicht für Frauen schickt, dort herumzulungern, ist nicht die Straße Ort der modischen Inspiration, sondern die Datenautobahn. In Internetblogs und Foren wie muslima.com oder ilovehijab.com werden Modetipps ausgetauscht. Eine Bloggerin schwärmt von der anmutigen Audrey Hepburn mit Seidentuch, eine andere würde hässlichen Westlerinnen gerne einen Kartoffelsack überstülpen, anstatt sich von ihnen vorzuschreiben zu lassen, wann sie ein Kopftuch tragen solle.

Unterdes verstricken sich Soziologen, Migrations-Theoretiker, Krisenreporter aus Neukölln und EU-Ethnographen immer weiter in unübersichtliche Argumentationen. Die Kopftuchdiskussion wirkt allmählich bemüht: Der findige Türke, der sich als seine tote Mutter verkleidete und sich damit jahrelang ihre Rente von deutschen Steuergeldern erschlich? Ohne Kopftuch undenkbar!

Inshallah - "so Gott will" - wird Schauspieler Sacha Baron Cohen (Borat) in seinem neuen Filmprojekt als österreichischer Modereporter Brüno das Stoffquadrat beleuchten - und unseren Willen, alles auszudiskutieren, nutzen, um endlich gegen diesen Wust aus Stereotypen und Klischees anzugehen.

© SZ vom 15.11.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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