Meckern über Frankreich:La vie de Helmut

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"Ca m'énerve": Eine vermeintlich deutsche Kunstfigur stürmt die französischen Charts mit Nörgeleien über Magermädchen, Rosé Champagner und Ponyfrisuren.

Ann-Kathrin Eckardt

Wer seinen Sommerurlaub in Frankreich verbracht hat, dürfte neben schönen Erinnerungen und der ein oder anderen Flasche Rotwein auch einen Ohrwurm mit nach Hause gebracht haben. "Ca m'énerve" ("Das nervt mich") dröhnt es seit Wochen aus allen Radios der Republik. Oder besser: "Sa me nerf". Denn der Sommerhit der Franzosen kommt in diesem Jahr von der anderen Rheinseite.

Helmut Fritz heißt der Mann, der mit deutschem Akzent, Derrick-Sonnenbrille und goldenen Turnschuhen beweist, dass neben Tokio Hotel und Rammstein auch andere Vertreter Deutschlands in Frankreich Erfolg haben können. Und das, obwohl seine Texte alles andere als frankophil sind. Im Nummer-Eins-Hit "Ca m'énerve" regt sich der Dandy auf französisch über die Pariser Schickeria auf.

Er ist genervt von Mädchen, die sich in Größe 34 pressen, Ponys wie Kate Moss tragen und im Club Milliardaire ihr Geld verprassen. Er regt sich auf über Rosé Champagner, blonde Verkäuferinnen, und selbst die von den Parisern verehrte Patisserie Ladurée, berühmt für ihre Macarons, bleibt nicht verschont. Auch das neue Lied von Helmuts Album "En observation" ist wieder in den Top Ten . In "Miss France" rechnet der Sänger mit Geneviève de Fontenay ab, der langjährigen Veranstalterin der beliebten Miss-France-Wahl.

An dieser Stelle dürften sich erste Zweifel am Wahrheitsgehalt der Geschichte hegen. Denn dass der meckernde Deutsche noch keinen Politiker auf den Plan gerufen hat, der sich um die deutsch-französische Freundschaft sorgt, ist ebenso verwunderlich wie der Helmut-Hype der französischen Jugend. "Ich kann schon gar nicht mehr ohne Akzent reden", schreiben Fans im Netz.

Den ersten Argwohn wischt der 34-Jährige auf seiner Internetseite mit einer lupenreinen deutschen Vita beiseite: In Reinbek bei Hamburg wächst Helmut als Einzelkind auf, steht da. Als sein Großonkel bei der Jagd von einem Wildschwein getötet wird, erbt Helmut 300 Millionen Mark. Er fährt nach Paris, wo er sein Geld auf Haute-Couture-Schauen und in Edelrestaurants verprasst. Als er die Extravaganzen satt hat, singt er seinen Frust von der Seele.

Aus dem genervten Deutschen wird ein Star. "In Reinbek hat eine Bäckerei sogar eine Brezel nach mir benannt", erzählt er gerne in Interviews - und entlarvt sich selbst. Mit Brezeln hat man in Reinbek nichts am Hut. Ebenso wenig wie mit dem angeblich berühmten Sohn der Stadt. Im Rathaus kennt man ihn nicht einmal.

Die Lösung des Rätsels ist so simpel wie en vogue: Helmut Fritz reiht sich ein in die Liste der Brünos und Schlämmers. Hinter der Kunstfigur steckt der Franzose Eric Greff, der sich, anders als sein offenherziges Alter Ego, bedeckt hält und Interviews nur als Fritz gibt. Von Greff weiß man nur, dass er 1975 geboren wurde, aus Béning-lès-Saint-Avold in Lothringen kommt, kaum Deutsch spricht und sich schon früher als Musiker versucht hat. Den "vornehmen, distanzierten Tonfall der Deutschen" will er sich von Karl Lagerfeld abgeschaut haben.

Ob es ausgerechnet einen Deutschen braucht, um sich über die Pariser Schickeria aufzuregen? "Manches lässt sich leichter mit einer Kunstfigur sagen, und ich sehe eben nicht aus wie ein Spanier", sagt Greff am Telefon. Zudem wolle er mit dem alten Bild deutscher Strenge brechen. "Auch Deutsche können exzentrisch und chaotisch sein." Wie lange er noch den Deutschen geben will, weiß er nicht. Erstmal stehen noch Auftritte in der Schweiz, Belgien, Italien und Russland an. Vielleicht besucht er auch sein Heimatland, sagt er: "Wenn die Deutschen bereit sind, mich zu sehen, dann komme ich."

© SZ vom 14.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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