Männerballett:Schnauzbart und Schläppchen

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Schwul oder nicht ganz zurechnungsfähig - mit diesen Klischees kämpft das Männerballett. Dass dazu mehr gehört als dicke Bäuche in Tutus, soll die deutsche Meisterschaft in Köln beweisen.

Melanie Longerich

Der Bauch spannt über dem Tutu, darunter die Waden in Strumpfhosen. Männerballett - das sind doch ungelenke Schnauzbartträger, die im Karneval die Bühnen entern, um den sterbenden Schwan zu geben?

Beim Männerballett wollen die Tänzer aus sich heraustreten und Ausstrahlung und Kreativität zeigen. (Foto: Foto: ddp)

Arno Schatz schüttelt den Kopf. Der 47-jährige Bonner ist Vorsitzender eines Verbandes, von dem die wenigsten gehört haben dürften: Es ist der "Bundesverband Deutscher Männerballette". Und eben der lud am Wochenende bei der Kölner Messe InterKarneval zur sechsten deutschen Meisterschaft.

In Halle 3.1. der Kölner Messe reihen sich Käsebrötchen, Kekse und Schnapsfläschchen auf den Tischen vor der Bühne: Proviant für die mitreisenden Ehefrauen, die sich damit die Zeit vertreiben möchten. Es kann dauern, bis 52 Männerballetts aus der ganzen Republik mit dem Vortanz fertig sind.

"Wir wollen weg von den Klischees"

Ihre Gruppen tragen Namen wie "Heringe", "Flotte Hosen" oder "Voigasbuam". Sie sind, wenn man so will, die Avantgarde eines bisher eher furchtsamen Geschlechts, das sich gerne auf traditionelle Männerbilder und Männlichkeitsrituale zurückzieht, wenn es Emotionen ausdrücken will.

Hier in Köln sind sie zu besichtigen, die Tänzer, die den Mut haben, aus sich herauszutreten. Während sich auf der Bühne Pharaonen mit Mumie unter wummernden Bässen zur Pyramide stapeln, deutet Arno Schatz zur siebenköpfigen Jury, die jede Bewegung verfolgt. Sie bewertet Ausstrahlung, Choreographie, Kreativität und Tanztechnik. Einen blanken Po ahnden die Juroren mit Punktabzug. "Wir wollen weg von den Klischees", erklärt Schatz und schwärmt von seiner hochkarätigen Jury.

Vor sechs Jahren kam Schatz auf die Idee, Männerballette deutschlandweit zu vernetzen. Heute sind 650 in seinem Verband organisiert: "Dass das so viele werden, hätte ich nie gedacht", sagt er und schwärmt vom Ehrgeiz der Männer, sich tänzerisch ständig neu zu erfinden.

Noch heute müsse er sich oft rechtfertigen: "Entweder wir werden für schwul gehalten oder für nicht ganz zurechnungsfähig", sagt Schatz. Deshalb spricht der EDV-Berater lieber vom Männer-Showtanz: "Die meisten Gruppen trainieren mehrmals die Woche mehrere Stunden mit Trainerin." Auch Markus Schwarz betont die hohe Professionalität der Darsteller. "Männerballett ist mehr als dicke Bäuche im Tutu", sagt der Chef des "Thorrer Schnauzerballetts" aus Bergheim bei Köln.

Gewohnheitsbedürftiger Tootsie-Effekt

Dass Männer in Frauenrollen schlüpfen, hat im rheinischen Karneval, der ohnehin zur Grenzüberschreitung tendiert, eine gewisse Tradition. Etwa 120 Auftritte bestreitet das Schnauzerballett allein in der Karnevalszeit. Alles schon Routine, meint Tänzer Frank Perchtold. Doch der Tootsie-Effekt war auch für ihn gewöhnungsbedürftig. "Wenn ich die anderen im Kostüm sehe, muss ich immer noch lachen", sagt er und schaut zu Markus Schwarz.

Der lässt gerade dicke Wollsocken in den Körbchen seines BHs verschwinden und zwängt seine Körperfülle in ein flammendrotes Glitzerkleid: "Jetzt Schminken, dann Stretching", ruft er hinter den Kulissen aus. Während im Saal das Publikum auf den Stühlen steht und den letztjährigen Meister, die "Eichezeller Schreckschruwe" feiert, wippt Markus Schwarz hochkonzentriert in seinen silbernen Gymnastikschläppchen. "Bei unserer Akrobatik trinken wir nie Alkohol", sagt er. "Wir heben uns auf 3,50 Meter Höhe. Da muss der Kopf klar sein."

"Füße schön zumachen", fordert Trainerin Ivonne Stötzer und klopft den Takt. Kritisch verfolgt sie jede Armbewegung der Akteure vom Münchner Faschingsclub "Neuhausen", der im Märchenkostüm angetreten ist. Sie sind zum ersten Mal dabei: "Und dann gleich im Finale", freut sich die 37-Jährige.

Was sie reizt, ein Männerballett zu trainieren? "Männer zicken nicht so wie Frauen. Wenn sie gelobt werden, trauen sie sich viel zu." Ehefrau Karin Kreithmeier klatscht mit, als ihr Josef sich zur Herzdame verwandelt, ohne sich in der Schrittfolge zu verhaspeln. Ob sie ihn mit Prinzessinnenkleid, rotem Kussmund und Langhaarperücke erotisch findet? "Irgendwie ja - zumindest im Fasching."

Die Münchner müssen wohl noch etwas üben, um ganz vorne dabei zu sein. Wie im Vorjahr siegen die "Eichezeller Schreckschruwe" vor dem "Plassenburger Männerballett" aus Oberfranken. Markus Schwarz vom "Thorrer Schnauzerballett" nimmt die Niederlage gelassen: "Nach dem Spiel ist vor dem Spiel."

© SZ vom 17.06.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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