Männer-Kolumne:Männer aktuell, diesmal: Jürgen

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Er ist in jedem deutschen Zug: der Mann, der sehr laut ein Geschäftstelefonat führt. (Foto: Illustration Jessy Asmus)

Sie telefonieren gerne laut im Zug, am liebsten mit dem "Office": Angestellten-Karikaturen wie Jürgen machen jede Bahnfahrt zum Horrortrip, findet unsere Autorin.

Von Johanna Adorján

Sie kennen ihn alle. Den Typen, der im Flughafenbus beruflich telefoniert und sogar noch lieber in der Bahn, und zwar nicht, wie wir anderen alle, mit gedämpfter Stimme oder sogar ins Zwischenabteil eilend, wo man dann zwar immer noch leise spricht, aber aus irgendeinem Grund annimmt, dass einen dort niemand hören kann, auch die Personen nicht, die genau neben einem vor dem einzigen funktionstüchtigen WC in Fußnähe Schlange stehen.

Ein vermutlich historisch begründeter Irrglaube, denn früher stürmte und toste es im Bereich zwischen den Abteilen ja wie in einem mittelschweren Orkan. Heute stehen wir höflicheren Mitreisenden dort im Stillen und berichten gut sichtbar mit gesenktem Kopf von einem seltsamen neuen Hautausschlag oder den unlösbaren Mathe-Hausaufgaben des Drittklässlers. Immerhin, wir brüllen nicht.

Er ist in jedem deutschen Zug: der Mann, der sehr laut ein Geschäftstelefonat führt

Das unterscheidet uns von dem Mann mit der festen, selbstzufriedenen Stimme, der in jedem deutschen Zug mitfährt, es immer noch nicht zum Chef gebracht hat, obwohl sein ganzes Leben die Arbeitswelt zu sein scheint, so wie er die ganzen lächerlichen Floskeln draufhat, die man im normalen Leben nicht braucht. "Frau Müller, ich hab mal 'nen Anschlag auf Sie vor", sagt er zum Beispiel zur Gesprächseröffnung und schickt ein Lachen hinterher, das signalisieren soll, ja, von Spaß verstehe ich was. Es soll auch eine gewisse Lockerheit andeuten, hinter der sich, wer weiß, wer weiß, nach Feierabend vielleicht noch ganz andere Verrücktheiten offenbaren.

Zu guter Letzt soll es natürlich auch etwas verschleiern, dass er leider vergessen hat, ein Dokument mitzunehmen, und nun sei er ja schon im Zug - das Lieblingsthema aller im Zug Telefonierenden - und wisse nicht, ob die Verbindung halte - Lieblingsthema Nummer zwei, Stichwort Tunnel -, ob sie es ihm scannen und mailen würde. Klar doch, vermutlich hat sie es längst getan, mit Anschlägen wie diesem geht Frau Müller ja täglich um.

Mit Männern wählt er einen anderen Ton, weniger scherzend, statt dessen beflissen, eilfertig, kompetent. "Ich hab gesehen, dass Sie gemailt haben", lautet hier eine typische Eröffnungsformel, denn in seiner Welt ist jede Geschäftsmail ein Ereignis, die zu neuen Taten ruft. Das Wort Meeting wird mehrmals fallen. Überraschend oft werden auch konkrete Zahlen genannt. "Wenn die Engländer morgen noch 450 000 zuschießen, haben wir die Sache im Sack." Ganze Telefonate bestehen aus nichts anderem als Beteuerungen, er habe alles im Griff. "Ich hab das gestern noch mal angesprochen, und jetzt sind alle im Boot." "Und ich hab dann gesagt, so wird das nichts, Freunde, wir müssen uns noch mal zusammensetzen." Niemals hört man von ihm eine Frage, er inszeniert sich als Mann der Antwort.

Natürlich sagt er auch "Flieger" statt Flugzeug und "Office" statt Büro, es stimmt wirklich jedes Klischee, und dass ihm selbst nicht auffällt, was für eine lächerliche Angestellten-Karikatur er abgibt, ist wahrscheinlich das größte Glück seines Lebens. Aus dem Anschluss-Telefonat, in dem er seiner Mutter mitteilt, dass er im Zug sitzt, nicht weiß, ob die Verbindung hält, ständig diese Tunnel, und sich darüber beklagt, dass man schon jetzt vier Minuten Verspätung habe, erfährt das Abteil dann, wie er heißt. Guter Name. Reimt sich auf Erwürgen.

© SZ vom 13.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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