Levi's 501:Ein Mythos hat den Blues

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Die Marke Levi Strauss eroberte mit der 501 die Welt. Seit überteuerte Designerjeans boomen, sieht der Pionier jedoch ziemlich alt aus.

Anne Goebel

Als sich Norma Jean Baker 1945 auf einer kalifornischen Farm in Bluejeans fotografieren lässt, beruht die Wirkung auf Gegensätzen. Das sommersprossige Mädchengesicht, ihre entblößte weiße Haut, dazu der grobe Denimstoff - das ist neu, und die Aufnahme wird ziemlich berühmt. Es hat später noch viele Bilder von Marilyn Monroe in Jeans gegeben, und der Effekt war immer der gleiche. Die Ikone der Weiblichkeit in Männerhosen: sehr sexy.

Die blasse Marylin Monroe in einer Levi´s verkörperte die Sehnsucht nach Abenteuer. (Foto: Foto: Levi´s)

Auf dieselbe Weise hat jahrzehntelang das Prinzip Denim in der Mode funktioniert. Großstadtmenschen, Familienväter, schöne Mädchen legen ein Stück raue Goldgräberkluft an und signalisieren Sehnsucht nach Abenteuer. Und weil das Modell 501 der Pionierfirma Levi Strauss die männlichste aller Jeans ist, sammeln sich in ihr seit jeher alle Attribute des blauen Fetischs. 501 bedeutet: außer Konkurrenz. Ein Kultobjekt. Bis vor einigen Jahren das leise Verschwinden begann. Heute ist es soweit, dass sie bei Levi's andeuten, man sei stolz, noch dazuzugehören.

"The slow decline of a superbrand", titelte im Frühsommer der Guardian, der langsame Niedergang einer Topmarke. Beim größten Jeanshersteller der Welt in San Francisco wird man das nicht gern gelesen haben. Genauso wenig wie die amerikanischen Medienberichte über den Blues der denimblauen Branche, und insbesondere das so harsch in Ungnade gefallene Heiligtum Levi's. Produktionswerke der Strauss-Company wie das im texanischen San Antonio wurden schon vor Jahren geschlossen, die Verkausfzahlen sackten in den Keller, in Europa soll das Distributionszentrum im hessischen Heusenstamm, erst kürzlich architektonisch aufgemöbelt zum imposanten Deutschlandsitz, zum Jahresende aufgelöst werden.

Five-O-One? No go!

Wobei es nicht so ist, dass nicht überall auf der Welt Menschen weiter Jeans tragen würden. Nur hat der Durchschnittsträger längst nicht so oft eine 501 an wie früher. Stattdessen steigen immer neue Firmen aus dem Nichts zur Kultmarke auf, bedienen die Massen. Und was die zahlungskräftigen Trendsetter in Paris, London und am kalifornischen Rodeo Drive betrifft, geht die Hose des fränkischen Auswanderers Löb Strauss aus Buttenheim sowieso fast gar nicht mehr. No go, auf Neudeutsch.

Die unverzichtbaren Denimtrophäen heißen heute "7 for all Mankind" oder "Rock&Republic". Das Traurige daran: Vor einem Jahrzehnt tat die globale Modegemeinde exakt das Gegenteil. Etwas anderes als "Five-O-One", das Statussymbol mit der magischen Dreizahl, kam ihr nicht an die Beine.

Traurig vor allem für jemanden wie Eric Drosin. Der Brüsseler Konzernsprecher von Levi Strauss Europe will aber von einem Niedergang nichts wissen. Levi's, sagt Drosin, verkaufe immer noch die meisten Jeans weltweit. Allerdings liest sich seine schriftlich abgegebene Erklärung wie eine angespannte Präsidentenrede zur Lage der Nation. "Denim ist ein sehr wettbewerbsorientiertes Business", heißt es. Der Markt habe sich komplett gewandelt. Um Erfolg zu haben, brauche es Hingabe, Disziplin. Und: "Wir hatten sehr raue Zeiten." Also stolz, überhaupt noch im Rennen zu sein? Drosin weicht aus, sagt verhalten: "134 Jahre später sind wir immer noch im Geschäft."

Mit Knopfleiste an die Generation Golf

1873 hatte Löb Strauss seine vernieteten Arbeiteroveralls aus reißfestem Tuch patentieren lassen. Was folgte, war eine beispiellose Erfolgsgeschichte, die meist von glänzenden Verkaufszahlen, oft von Konkurrenzlosigkeit geprägt war. Zu einem Höhepunkt setzte Levi's an, als sich die Neuauflage des lässigen Klassikers 501 Ende der Achtziger die Stimmung der hippiemüden Popper und Sportswear-Freunde zunutze machte. Neben der treuen, eher markenindifferenten Stammgefolgschaft gewann man mit einprägsamen Insignien - Knopfleiste, "Red tab", das rote Etikett - die Logojäger der Generation Golf dazu. Die Zentrale in San Francisco brauchte mit nichts anderem zu werben als: "the Original".

Der Niedergang begann Ende der neunziger Jahre, und auf die Frage, ob er damals Angst bekommen habe angesichts von Verkaufszahlen im Sinkflug, antwortet Michael Strehler mit: "Nein." Der Geschäftsführer von Levi's Deutschland sagt: "Aber wir haben gemerkt, dass wir etwas tun müssen." Der Umsatz in Europa betrug 1997 zwei Milliarden Dollar. 2006 war es weniger als eine Milliarde. Die Pioniere haben genau das viel zu spät gemerkt: dass Klassiker nicht von selber ewig leben. Natürlich lancierte man jede Saison neue Waschungen, variierte Schnittformen, gab den Mädchenvarianten mehr Platz am Po. Aber im Großen und Ganzen machte Levi's einfach weiter Hosen aus Denim, während andere anfingen, aus Denim Mode zu machen.

Es kamen die Baggy Jeans der Rapper, und man liegt womöglich nicht ganz falsch mit der Einschätzung, dass das urbane Phänomen der goldbehangenen Protestsänger in Trainingsjacken marktmäßig bei den Erben des Cowboylieferanten Löb nicht ganz ernst genommen wurde. Was ein Fehler war. Es kamen die Zweitlinien der Designer, der Haute Couture: Hype um Calvin Klein, der mit seinen Jeans erschwingliche CK-Trophäen auf den Markt warf, kristallbestückter Edeldenim von Dior und YSL, löchrige Exemplare von Dolce&Gabbana. Auf den Modenschauen immer neue Varianten des indigoblauen uramerikanischen Stoffs.

Absurde Preispolitik

Beim Klassiker der Branche: zögernde Experimente. Der schwerste Schlag für Levi Strauss kam aus der Nachbarschaft, was schmerzhaft war - und vernichtend: Junge Labelgründer ausgerechnet aus Kalifornien erfanden reihenweise geheimnisvoll klingende Modemarken wie "7 for all Mankind", "True Religion" oder eben "Rock&Republic". Das hauptsächliche Geheimnis bestand darin, dass sie neu waren, trendsicher, teuer. Also begehrenswert. Im Stakkatorhythmus feuerten Hochglanzmagazine von Hollywoodstars geadelte "Musthaves" auf den Markt.

Die Preise für sogenannte Designerjeans stiegen ins Absurde. Während die 501 weiter bei 79 Euro lag, kostete etwa die "Silver Chain Jeans" (Rock&Republic) 339 Euro. Plötzlich verkaufte Denim nicht mehr ein kleines Stück Wildwest, sondern Lust auf Luxus. Levi's 501, für die das ausgebleichte Wort vom Mythos lang getaugt hat, wurde mittlerweile bei Walmart verramscht.

Gleichzeitig hat Levi Strauss' "fall from grace", der tiefe Fall in die Ungnade, wie es ein amerikanischer Marktforscherdienst formulierte, mit einem neuen Körperideal zu tun. Die verführerische Pose der jungen Marilyn lässt ihre Formen unter den harten Falten des derben Textils nur erahnen. So hat auch die 501, eigentlich ein Männerschnitt, bei Trägerinnen immer funktioniert: Der Sexappeal kam daher, dass ein Frauenkörper in simpel geschneiderter Arbeiterkluft steckte.

Die Jeans des 21. Jahrhunderts sind kalkulierte Effekthascher: am Computer designte Problemzonenmogler, die mit Stretchanteil und tiefsitzenden Gesäßtaschen schmale Silhouette suggerieren. Dazu gibt's Strassdekor - und für jedes Mädchen, egal wo auf der Welt, ein Steinchen vom hollywoodesken Glitzer.

Levi's hat auf die neue Generation spät reagiert, bei Lifestyleläden wie "Pool" an der Münchner Maximilianstraße ist das Fazit vernichtend: "Die haben es verschlafen." Inzwischen operiert auch die Levi Strauss mit körperformendem Elasthan. Die Verkaufszahlen erholen sich langsam. Der Weg aus dem Supermarkt zurück zur imagefördernden Boutiqueklientel soll mit sparsam vermarkteten Edellinien wie "Vintage" und "Red" in Gang kommen. Der Handel bleibt skeptisch.

Vielleicht ist es auch so, dass die Pioniere aus San Francisco einfach ausharren. Wie früher die beharrlich schürfenden Goldsucher. Und irgendwann setzt die Glückssträhne wieder ein. Rundum-Glamourisierung mit Showeffekt ist jedenfalls ausgeschlossen. Im Hauptquartier sagen sie das so: "Wir waren nie Hiphop, sondern immer eine Rock'n'Roll-Marke."

© SZ vom 2.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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