Kochen mit Kindern:"Wir machen Zauberteig!"

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Typisch Jungs. Sie spielen gerne mit Autos, zocken am Computer oder fahren Skateboard. Freiwillige Küchenarbeit passt nicht zum Rabauken-Image. Oder doch?

Bettina Hensel

Im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel findet heute ein ungewöhnlicher Kindergeburtstag statt: Statt fette Burger und Frittenschnitten bei McDonalds zu verdrücken, kochen sich die Kinder ihr Lieblingsessen selbst. Betreut werden sie dabei von Miriam Lucke.

Der Geburtstag im Fast-Food-Restaurant ist Schnee von gestern - die Kinder von heute kochen selber. (Foto: Foto: oh)

Die 29-jährige Ökotrophologin gibt seit zwei Jahren in ihrer "Kinderküche" Koch- und Backkurse für Jungen und Mädchen zwischen vier und vierzehn Jahren und fördert damit spielerisch ihr Bewusstsein für gesunde Ernährung. Damit trifft sie einen empfindlichen Nerv in der Konsumgesellschaft.

Problemfall: Moppelkinder

In den letzten Jahren sind Moppelkinder zum Krisenthema Nummer eins geworden, und das nicht nur in Deutschland. Zwei Millionen Kinder sind hierzulande übergewichtig, bewegen sich kaum und ernähren sich vorwiegend von Fast-Food und Süßigkeiten. Die jungen Dicken beschäftigen nicht nur Ernährungswissenschaftler, sondern auch die Bundesregierung. Mit dem nationalen Aktionsplan "Fit statt fett" will sie dem Problem der Fettleibigkeit zu Leibe rücken.

Auch Lucke befasst sich mit den Speckröllchen der Kleinen. Für 115 Euro im Monat gibt sie nicht nur übergewichtigen Kindern, sondern auch deren Eltern Crashkurse in Nahrungsmittelkunde. Kalorientabellen müssen sie dabei nicht pauken. "Wir basteln zum Beispiel Ernährungspyramiden mit Magneten," sagt Lucke, "die Kinder können sich damit ganz plastisch vor Augen führen, was ihr Körper am Tag noch braucht, zum Beispiel ein Stück Obst."

Auch die Erwachsenen werden miteinbezogen, damit sie im Supermarkt auch die richtigen Entscheidungen treffen. Lucke erklärt zum Beispiel , was sich wirklich hinter dem Marketingvokabular "Diät" oder "Light" verbirgt: "Das Wort 'Diät' ist nicht geschützt", erklärt die Kochlehrerin, "mal ist es zuckerfrei, mal ist es fettfrei:"

Trotz dieses ernsten Hintergrunds geht es in ihrer "Kinderküche" aber hauptsächlich darum, ganz normalen Kindern ohne Gewichtsproblemen den Spaß am Kochen zu vermitteln. Ein wichtiger Ansatz, denn viele Eltern sind heute beruflich so eingespannt, dass sie am Abend keine Zeit mehr haben, selbst zu kochen. Stattdessen kommt "Convenience Food" auf den Tisch - abgepackter Spinat oder Fertigsalat.

Bei dem heutigen Kurs ist das anders: "Wir kochen gerne mit unserem Nachwuchs", sagt die 36-jährige Nicole Dittmar. Mit ihrem Mann Torsten und sechs Kindern im Gepäck ist sie 30 Kilometer weit aus Winsen an der Luhe zur Hamburger "Kinderküche" gefahren. "Sie sollen hier einfach Spaß haben", sagt Torsten Dittmar, 38, selbständiger Metallbauer. 25 Euro pro Kind kostet der dreistündige Kindergeburtstags-Kochkurs.

Ein Zauberteig aus Eiern

"Heute machen wir einen Zauberteig aus Eiern", sagt Lucke, ihre Stimme ist wie ein Berg, mächtig und ruhig. Sechs Jungen in Marken-Turnschuhen, Kapuzenpullis und Schlabberjeans hören ihr zu, während sie einen braunen Muffin aus der Papierform schälen und sich die bröseligen Stücke in den Mund schieben. "Was ist denn in einem Pfannkucken alles drin?", fragt die Kochehrerin. "Milch", "Mehl", "Eier", sechs Stimmen überschlagen sich dabei, ihr Zutaten zuzurufen. Einer schreit: "Teig".

Vor der Zubereitung des Pfannkuchenteigs werden Äpfel für das Kompott geschält. Lucke verteilt Sparschäler mit festen bunten Plastikgriffen. Den einzigen Pendelschäler mit beweglicher Klinge schnappt sich Benni, der Ruhigste unter den sechs Jungköchen. Mit konzentriertem Gesichtsausdruck setzt er ihn am Apfel an, doch die klapprige Klinge rutscht an der glatten Oberfläche ab.

Der erste Erfolg

Eine Armlänge vor ihm steht Luckes Praktikantin Daniela Gernetzki, 27 Jahre alt, Ökotrophologie-Studentin im siebten Semester; sie beobachtet ihn, sie lächelt ihn an, lässt ihn seine Erfahrungen machen. Nach zehn Versuchen - der erste Erfolg: Eine kleine Schale Haut fällt auf das Schneidebrett. Bald segeln weitere herunter, ein kleiner Haufen bildet sich vor ihm. Um Benni herum wird es lauter, seine Freunde sind fast fertig, zwei von ihnen duellieren sich mit Dessertlöffeln. Er schält weiter.

Die sechs Jungen maulen kein einziges Mal bei der Küchenarbeit, im Gegenteil: Sie sind so konzentriert bei der Arbeit, als würden sie gerade lernen, wie man richtig Skateboard fährt. "Man muss sie nur machen lassen," sagt Lucke. "Wenn man sie nur damit beauftragt, mal eben einen Saft aus dem Keller zu holen, sind die Kinder in der Küche unterfordert." Wichtig sei auch, die motorischen Fähigkeiten der Kinder zu schulen.

Besonders bei Kindern aus benachteiligten Familien seien diese leider zu wenig ausgeprägt, erzählt Lucke. "Man merkt den Kindern an, ob sie nur viel konsumieren, oder auch selber mit den Händen arbeiten." Zu ihrem Klientel gehören aber hauptsächlich Eltern über der Mittelschicht; Eltern mit knapperen Haushalts-Budgets, die diese Fähigkeiten bei ihren Kindern vielleicht am dringendsten schulen sollten, können sich die Kurse einfach nicht leisten.

Lucke demonstriert den Jungen, wie man Eier trennt: Sie schlägt ein Ei an der Schüssel auf und hält zwei Hälften in der Hand. "So, jetzt schubst ihr das Eigelb hin und her, und lasst das Eiweiß in die blaue Schüssel schlabbern." Der rothaarige Bent blickt hoch zu Lucke. "Ich kann das nicht", sagt er mit leiser Stimme.

"Ich mecker doch nicht, wenn es in die Hose geht", entgegnet sie und gibt ihm ein Ei, "außer, du machst es mit Absicht falsch". Bent klopft es in der Mitte auf den Schüsselrand, die Schale reißt, an den Bruchstellen quillt das Eiweiß heraus. Das Eigelb rutscht ungefragt mit. Bent hält ratlos inne. "Schubs das Eigelb einfach in deine Hand und lass das Eiweiß an den Fingern herunterschlabbern", sagt Lucke.

Alle sind beschäftigt, nur einer nicht. Lukas sitzt mit verschränkten Armen am Esstisch gegenüber der Arbeitsplatte, mit gesenktem Kopf schaut er seinen Freunden beim Kochen zu. Er muss eine Pause machen, weil das wiederholte Herumblödeln die Konzentration gestört hat - und das kann bei der Arbeit mit Küchengeräten gefährlich sein. In den Schulen ist diese "entwürdigende" Erziehungsmaßnahme seit 1997 untersagt. Nach drei Minuten darf Lukas wieder mitmachen.

Augen zu, Mund auf

Bevor sich der fertige Pfannkuchenteig mit einem Schmatzen in der Pfanne ergießt, spielt Lucke mit den Jungen noch ein Spiel, sie will die Geschmacksnerven der Kinder sensibilisieren und kitzeln. "Augen zu! Mund auf!", sagt sie und schiebt einem nach dem anderen ein kleines Stück Kiwi in den weit geöffneten Mund. "Was ist das", fragt sie dann. "Kiwi", "Kiwi", schreien alle fast gleichzeitig.

Im Anschluss folgen winzige Stückchen Ananas, Zitrone, selbstgebackenes Brot und Käse. Die Jungen erkennen alle Lebensmittel, bei einer Kostprobe jedoch gibt es Probleme. "Bäh", schreit Noah, als ihm erneut ein kleiner Löffel in den Mund geschoben wird, greift nach seinem Glas Wasser und trinkt hastig. Auf dem Löffel befand sich Senf.

Nach dem Essen diskutieren die sechs Kochschüler eifrig über Jungsthemen. "In meiner Schultüte hatte ich damals einen HSV-Ball", erzählt Jonah. Der Drittklässler sieht aus wie ein kleiner David Beckham, die kurzen hellblonden Haare stehen ab, im Nacken locken sich ein paar Härchen. Er bekennt: "Fußball ist schon besser als Kochen".

Die Kinderküche gibt es auch in München und Nürnberg. Ein Geburtstags-Kochkurs kostet 25 Euro pro Kind .

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