Jugendkultur: TV-Spektakel "The Dome":Countdown der kleinen Knackärsche

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Von Jimi Blue bis Max Buskohl, von Christina Stürmer bis US5 - in der Fernsehshow "The Dome" auf RTL2 singen die Helden der Teenie-Musik, und ihr Publikum kreischt. Ein Blick hinter die Kulissen.

Hans-Jürgen Jakobs

"Das ist die pünktlichste Popshow der Welt", verspricht der Produzent kurz vor Beginn. Und tatsächlich: Um kurz vor 19 Uhr zählen 8000 Mädchen und Jungen in der Grazer Stadthalle laut und deutlich den Countdown runter, von zehn bis eins. Dann startet "The Dome", die größte regelmäßige TV-Musiksendung Europas.

Jimi Blue - zum ersten Mal ist der Schauspieler und Sohn von Uwe Ochsenknecht als Sänger zu hören. (Foto: Foto: Elcartelmedia)

So ist es immer, wenn die Macher des Senders RTL 2 und der Produktionsfirma MME alle drei Monate rund 20 Künstler ihre Hits für die Teenies präsentieren lassen - ein Ritual, das Auskunft gibt über die Trends in der krisengeschüttelten Musikbranche. Eine Leistungsschau, eine Art Quartalsbericht der Kreativität - wenn denn vorhanden.

Neue Hits müssen her, junge Talente den Duchbruch schaffen. Mit diesem Konzept wird "The Dome" am vorigen Freitag im elften Jahr zum 44. Mal aufgezeichnet. Die "Schnapsidee" von einst, die französische Show "Dance Machine" zu importieren, ist zur dreistündigen Standardeinrichtung des deutschen Fernsehens geworden - und zum Schwungrad der Musikindustrie.

Ein kleines Kerle-Lächeln genügt

In Graz wurde am Freitag zuvor "live on tape" aufgezeichnet. Am kommenden Samstag ist dann von 17 Uhr an auf RTL 2 zu sehen, wie Jimi Blue seine Premiere als Musiker hat, der Sohn des Schauspielers Uwe Ochsenknecht. Der Junior ist durch fünf Folgen von "Die Wilden Kerle" selbst ein Kinostar, und hier auf der Bühne in der Steiermark genügt ein kleines Kerle-Lächeln, und die Mädchen kreischen oder fallen gleich in Ohnmacht. Eine Discokugel baumelt über dem Helden ihrer Träume.

Jimi Blue, der Mädchenschwarm, weiß um seine Wirkung. Sein Lied heißt "I'm lovin", und in seinem Sprechgesang preist er den "sexy style", die Hot pants und das Leder der Angebeteten: "I'm not a gangster, I'm a nice guy." Tänzerinnen tanzen in roten Hot pants um ihn herum. Ziemlich viel Whisky in der Milch für einen 15-Jährigen in der Pubertät. Kritischere im Publikum halten ihn für einen Angeber.

Vor dem Konzert erklärt Ochsenknecht junior, die Schauspielerei mache ihm zwar auch Spaß, aber auf der Bühne zu stehen, das sei viel "geiler". Wenn er Erfolg habe - was Jimi Blue glaubt - dann wolle er sich auf das Singen konzentrieren. Für das Grazer Debüt hat er eine modische Geschmacksverwirrung in Form einer türkisblauen Kombination zu Holzfäller-Karohemd gewählt. Ergänzt wird das Outfit durch einen Gangsta-Hut, der schräg auf dem Kopf sitzt, und zeitweise verdeckt ein Cowboy-Tuch den Rest.

Kreischalarm für Max

Der andere Newcomer des Tages ist Max Buskohl - ein großgewachsener Jüngling, der das RTL-Singspiel "Deutschland sucht den Superstar" ziemlich bescheuert findet und dort ausgestiegen ist. Er wolle lieber mit seiner Band Empty Trash spielen und legt jetzt bei "The Dome" mit geradem, sehr schnörkellosem Rock los. Auch bei Max gibt es jenen Kreischalarm, der auf die Vemarkungsfähigkeit junger Popstars hinweist. "Ich bin nicht vergeben", erklärt er auf der Bühne den schmachtenden Mädchen.

Im "Catering", da wo sich alle Interpreten des Spektakels bei Wasser, Bier und Gemüseburger auf ihren Bühneneinsatz vorbereiten, sitzt Max Buskohl fast schüchtern da und raucht. Er ist sofort für ein Fotomotiv bereit.

Andere zieren sich ein wenig in der Backstage-Zone, wo in aller Eile Kabinen fürs Umkleiden und die Maske sowie Plätze für das Karaoke-Spiel "Singstar" hochgezogen worden sind. LaFee beispielsweise, die in diesem Jahr zur deutschen Gesangsdiva aufgestiegen ist und beim Comet-Fest bereits zwei Preise absahnte, hat in Graz keine große Lust auf Fragen. Ihr arbeitet inzwischen ein eigener Stylist zu. Ihr Song heißt "Wer bin ich" und passt in die balladeske Richtung von "The Dome 44". Es geht ja auf Advent und Weihnachten zu.

LaFee gehört genau wie Christina Stürmer ("Nie genug") und Adel Tawil von Ich+Ich ("Vom selben Stern") zur Gruppe der Etablierten, die sich schon ihre Sporen verdient haben und deswegen dem juvenilen Schluss-Aufgalopp in der Stadthalle fernbleiben. Co-Moderatorin Sandra Thier, nominell Nachrichtensprecherin ihres Senders RTL2, überrascht im Rummel mit einer Weihnachtsmütze.

Das ist keine Panne - es ist ein Scherz!

Durch den Abend führt moderationstechnisch Detlef D! Soost, ein Veteran des Musikfernsehens, der schon vor Jahren als Choreograph bei der Castingshow "Popstars" wirkte, wo er heute in der Jury sitzt. Der Mann aus Berlin hat Einfluss und sagt, er habe für einen Nahrungsmittelkonzern schon mal vor 10.000 Leuten moderiert. Wie der Abend laufe, hänge von den ersten anderthalb Minuten ab. Als einmal bei "The Dome 44" das Klavier streikt und der arme Nevio verdächtig lange lautstark einen Techniker fordern muss, erklärt D! das Ganze kurzerhand zum Scherz.

Bei einem Groß-Unternehmen, für das pro Sendungswoche 400 Leute aktiv sind und 200 Tonnen Bühnenelemente verarbeiten, kann schon mal etwas schiefgehen. Sie haben in Graz von Montag bis Mittwoch aufgebaut, ehe am Donnerstag geprobt wird. Extra für ein Lied der stimm- und tanzkräftigen Jungs von Lexingon Bridge wird zum Beispiel ein mehr als 100 Kilogramm schwerer Kronleuchter hochgezogen.

"Hamma" - Die Rapper von Culcha Candela interpretieren die Zustände auf ihre eigene Art. (Foto: Foto: Elcartelmedia)

So viel Aufwand beim "Musikantenstadl für Teenies" ( Berliner Zeitung) steht eine respektable Einschaltquote gegenüber: Mit einem Marktanteil von 6,6 Prozent bei den 14- bis 49-Jährigen gehört "The Dome" zu den Preziosen von RTL 2. Unter den 14- bis 29-jährigen Deutschen schaut sogar mehr als jeder Zehnte zu, hauptsächlich Mädchen und Frauen. Sie sind großteils mit Yvonne Catterfeld und Scooter groß geworden.

Hoch mit den Knackärschen!

"Hoch mit Euren kleinen süßen Knackärschen", heizt der Warm-Upper ein. "Du hast den schönsten Arsch der Welt", hämmert in "The Dome 44" eine Produktion von Alex C. durch den Saal. Irgendwann fragt der große D!: "Sind wir auf dem Ponyhof?" Und seine Co-Moderatorin haucht: "Wahnsinn!"

Wahnsinn: Die Berliner Rapper von Culcha Candela geben an diesem österreichischen Abend ihre eigene Interpretation von den Zuständen: "Hamma!". So heißt ihr Hit.

Ja, es ist eine Spur hammerharter Wirklichkeitsbearbeitung im Musikbusiness dabei, wenn Cinema Bizarre mit Klängen a la Depeche Mode zur Nachfolgeband der beängstigend erfolgreichen Tokio Hotel aufgebaut werden sollen; vor Tokio Hotel zitterten sogar die Hoteliers von Graz, weil Gerüchte über ihr Erscheinen bei "The Dome 44" kursierten - die Band hätte garantiert Straßenaufläufe vor dem Hotel bewirkt.

Ja, es ist auch ein bisschen wahnsinnig, vier sympathische Jungkräfte, die sich BeFour nennen, zu einer Art Abba des 21. Jahrhunderts formen wollen. Und schließlich geht es auch nicht mit rechten Dingen zu, wie die fünf cleanen Jungs von US5 die guten alten Bee Gees verharmonieren und dabei ihren neuen Gefährten Vincent promoten, der gute Chancen hat, Muttis Liebling des Monats zu werden. Das Beispiel des Jörn Schlönvoigt aus "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" wiederum zeigt, dass nicht jeder Soapstar zum Hitparadenstürmer taugt.

Rhythmik mit dem Mund

Richtig ehrlich ist es, wie die Finalisten von "Popstars" ihr Selbstgestricktes - den Song "Never Give Up" - zur Darbietung bringen. "Popstars on the Stage" hat den Charme des Frischen und die Jungs beherrschen im Übrigen die Technik des Beatboxen. So heißt es, wenn per Mund rhythmische Laute erzeugt werden. Die Riege hat backstage den meisten Spass, dort wo die Szenerie einem riesigen Klassentreffen ähnelt oder, wenn man so will, einem Wanderzirkus, in dem jeder mal seine neusten Kunstfertigkeiten preisen kann.

Die Grazer schätzen diese Show. "The Dome" ist hier zum ersten Mal, und der schmalhüftig-dynamische Bürgermeister ist froh, dass er mit Kunst und Entertainment die Moderne in seine schöne alte Stadt gebracht hat. In Metropolen wie Berlin, wo es viele Attraktionen gibt, tut sich die RTL2-Sendung schwerer. In der Steiermark war "The Dome" rasch ausverkauft gewesen.

Zum Gesamtkonzept gehören beispielsweise auch regelmäßige CD-Compilationen (allerdings mit rückläufigen Verkaufszahlen), eine eigene Zeitschrift, Merchandising, eine Textil-Kollektion mit C&A und ein gerade erweitertes Internet-Angebot. Insgesamt neun "Bausteine" bietet die RTL2-Werbetochter El Cartel Media ihren Kunden an - so wurde aus der Sendermarke "The Dome" eine hochprofitable Musikmaschine. "Wir haben unsere Nische gefunden", erklärt die Vertreterin des Fernsehsenders RTL2.

Am Ende fasst Detlef D! Soost das Geschehene auf fast philosophische Art zusammen: "So schnell können drei Stunden vergehen."

Und das ist, ganz ehrlich, irgendwie der Hammer.

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