Hirn-Fitness:Geistige Altersvorsorge

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Haben Sie Angst davor, im Alter geistig abzubauen oder gar an einer Demenz zu erkranken? Sieben Tipps, um die Leistungsfähigkeit des Gehirns zu erhalten.

Martin Kotynek

Die Vorstellung, im Alter geistig abzubauen oder gar an einer Demenz zu erkranken, ist für viele ein Albtraum. Doch Howard Fillit vom New Yorker Institut für Altersforschung beruhigt: "Der Verlust geistiger Fähigkeiten ist keine zwingende Begleiterscheinung des Alterns."

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Der Gerontologe ist der Ansicht, dass jeder Mensch im Laufe seines Lebens kognitive Rücklagen auf seinem "Gehirn-Konto" bilden könne: "Wer versucht, seine Rücklagen zu erhöhen, kann auch im Alter geistig fit bleiben." Unternehme man hingegen nichts, würde dieses Kapital nach und nach abnehmen.

Der Grund: Im Alter sterben vermehrt Nervenzellen im Gehirn ab. Daher nahmen Wissenschafter früher an, dass das Gehirn mit der Zeit die Fähigkeit zum Lernen verliert. Heute gilt hingegen als gesichert, dass auch im Gehirn von Senioren neue Nervenzellen entstehen können - auch ältere Menschen sind dazu in der Lage, ihr "Hirn-Konto" laufend aufzufüllen und somit dem schleichenden geistigen Verfall Einhalt zu gebieten.

Mit welchen Mitteln das am besten zu bewerkstelligen ist, gibt jedoch Anlass zu heftigen Debatten unter Hirnforschern. Während einige Spezialisten Computerprogramme für Hirntraining bevorzugen, legen andere Forscher den Schwerpunkt auf Veränderungen im Lebensstil.

Sieben Maßnahmen gelten derzeit jedoch als gesichert und werden von den meisten Wissenschaftlern empfohlen. "Je früher diese Punkte berücksichtigt werden, desto höher liegen die Chancen für eine gehobene Lebensqualität im Alter", sagt der Gedächtnisforscher Siegfried Lehrl von der Universität Erlangen. Dabei sei es entscheidend, möglichst vielen der folgenden Empfehlungen nachzukommen.

1) Intellektuelle Herausforderungen suchen

Das Gehirn zu fordern ist die naheliegendste Methode, um geistig fit zu bleiben - doch ihre Wirkung ist höchst umstritten.

Dennoch boomen Trainingsbücher und Computerspiele mit Kreuzworträtseln und Sudoku-Puzzles. Der Unterhaltungsriese Nintendo etwa verkauft in Europa jede Woche 60 000 Stück seiner Software "Dr. Kwashimas Gehirn-Jogging".

Auch manche Wissenschaftler werben für Denksport: Der Hirnforscher Michael Merzenich von der Universität von Kalifornien in San Francisco hat das Programm "Brain Fitness" entwickelt und konnte nachweisen, dass intensives Training mit seiner Software zu leicht verbesserten Ergebnissen bei Gedächtsnisaufgaben führen kann ( Proceedings of the National Academy of Science, Bd. 103, S. 12523, 2006).

"Wissenschaftlich ist bis heute nicht erwiesen, dass Hirntraining den Rückgang geistiger Fähigkeiten bremst", sagt hingegen Timothy Salthouse, Psychologe an der Universität Virginia: Die Verbesserungen kognitiver Funktionen, von denen in den Hirntrainings-Studien berichtet wird, würden sich lediglich auf die trainierte Funktion beschränken und hielten nur für kurze Zeit an. Bisher sei auch nicht gezeigt worden, ob sich die trainierten Fähigkeiten im Alltag umsetzen ließen.

Statt Kreuzworträtsel zu lösen, schlagen Neurologen deshalb noch alltagsnähere Aktivitäten vor:

Joe Verghese vom Albert Einstein College für Medizin in New York konnte zeigen, dass das Risiko einer Demenzerkrankung gesenkt wird, wenn Senioren Zeitungen und Bücher lesen, sich mit Brett- und Kartenspielen beschäftigen oder ein Musikinstrument spielen ( New England Journal of Medicine, Bd. 348, S. 2508, 2003); je häufiger, desto geringer war das Risiko.

Auch Fremdsprachen zu erlernen und sich an anregenden Diskussionen zu beteiligen, scheint sich positiv auf die geistige Leistungsfähigkeit im Alter auszuwirken.

Einig sind sich die Wissenschaftler jedoch, dass Fernsehen nicht zu den empfohlenen Aktivitäten gehört: Eine im Fachjournal Brain and Cognition (Bd. 58, S. 157, 2005) veröffentlichte Studie zeigte sogar, dass das Risiko an Alzheimer zu erkranken mit jeder Stunde, die man im Durchschnitt pro Tag vor dem Fernseher verbringt, um den Faktor 1,3 ansteigt.

2) Sozial aktiv bleiben

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Altersmediziner aus Stockholm beobachteten, dass Vereinsamung die Wahrscheinlichkeit einer Demenzerkrankung um 60 Prozent erhöht ( Lancet, Bd. 355, S. 1315, 2000).

Die Forscher empfehlen daher, Zeit mit der Familie und Freunden zu verbringen. In anderen Studien profitierten Senioren, die an Gruppenreisen und gemeinsamen Theaterbesuchen teilnahmen.

Selbst wenn es bereits zu einer Alzheimer-Erkrankung gekommen ist, hat ein dichtes soziales Netzwerk offenbar Vorteile: Neurobiologen des Rush-Instituts für gesundes Altern in Chicago haben beobachtet, dass gesellige Patienten auch im fortgeschrittenen Stadium der Krankheit geistig leistungsfähiger bleiben als Kranke, die vereinsamt waren ( Lancet Neurology, Bd. 5, S. 406, 2006).

3) Mehr bewegen

Wer zumindest dreimal pro Woche 15 Minuten lang sportlich aktiv ist, hat ein geringeres Risiko an Alzheimer zu erkranken - auch, wenn ein genetisches Risiko dafür vorliegt.

Das zeigt eine Studie vom Center for Health Studies in Washington ( Annals of Internal Medicine, Bd. 144, S. 73, 2006). "Welche Sportart Sie auswählen, ist egal - Hauptsache, Sie üben sie regelmäßig aus", sagt der Studienautor Eric Larson.

Sogar spazieren gehen scheint sich positiv auszuwirken: Altersforscher der Universität Illinois berichten, dass spazieren gehen die Anzahl grauer Zellen im Gehirn von Senioren erhöht ( Journal of Gerontology, Bd. 61, S. 1166, 2006).

Zudem erzielten die trainierten Senioren bei Konzentrationsaufgaben bessere Ergebnisse und wiesen eine erhöhte neuronale Aktivität in Hirnregionen auf, die mit Aufmerksamkeit in Verbindung gebracht werden.

4) Fisch und Gemüse essen

Regelmäßiger Fischkonsum verlangsamt einer langfristigen Studie der Universität von Chicago zufolge den Rückgang kognitiver Fähigkeiten ( Archives of Neurology, Bd. 62, S. 1849, 2005).

Der geistige Verfall jener 3718 Studienteilnehmer, die einmal oder mehrmals pro Woche Fisch aßen, war demnach jährlich um 13 Prozent geringer als bei jenen Probanden, die seltener Fisch aßen. Dieselbe Forschungsgruppe hatte zuvor berichtet, dass die in Fisch enthaltenen Omega-3-Fettsäuren das Risiko einer Alzheimer-Erkrankung reduzieren.

Auch der Genuss von Obst und Gemüse wirkt sich positiv auf das Gedächtnis von Senioren aus: In einer Studie der Universität Bern erzielten jene Versuchsteilnehmer bessere Ergebnisse bei Gedächtsnisaufgaben, die höhere Konzentrationen von Vitamin C und Beta-Karotin im Blut aufwiesen ( Journal of the American Geriatrics Society, Bd. 45, S. 718, 1997).

Generell scheint eine Kost, die viel Gemüse enthält, den geistigen Verfall zu verlangsamen: Senioren, die zwei Portionen Gemüse pro Tag essen, sind dem Rush-Institut zufolge geistig so leistungsfähig wie um fünf Jahre Jüngere ( Neurology, Bd. 67, S. 1370, 2006). Zucchini und Broccoli sind dabei wohl besonders effektiv.

Auch Kaffee kann gut tun: Männer, die drei Tassen Kaffee pro Tag tranken, hatten in einer Studie des niederländischen Nationalinstituts für öffentliche Gesundheit die geringsten Anzeichen eines Rückgangs kognitiver Funktionen ( European Journal of Clinical Nutrition, Bd. 61, S. 226, 2007).

Tierstudien könnten die Erklärung liefern. Sie ergaben, dass das im Kaffee enthaltene Koffein auf den Adenosin-Rezeptor wirkt, der Einfluss auf das Gedächtnis hat.

5) Stress reduzieren

Schon seit den 1980er-Jahren ist bekannt, dass bei Stressbelastungen Nervenzellen im Hippocampus absterben können:

Das bei Stress ausgeschüttete Hormon Cortisol schädigt jenen Teil des Gehirns, der für Lern- und Gedächtnisvorgänge verantwortlich ist ( Journal of Neuroscience, Bd. 5, S. 1222, 1985).

Vor allem ältere, schwache Menschen sind betroffen. Wissenschaftler empfehlen daher, Entspannungstechniken zu erlernen.

6) Schlafqualität erhöhen

Uneinig ist sich die Wissenschaft hingegen, welchen Einfluss Schlafstörungen auf die geistige Vitalität haben. Einige Studien belegen, dass Schlafstörungen, wie sie bei älteren Menschen häufig vorkommen, die mentale Leistungsfähigkeit beeinträchtigen.

Andere Studien - darunter eine des amerikanischen National Institute on Aging ( Sleep, Bd. 26, S. 596, 2003) - konnten keinen Effekt nachweisen.

Da aber viele Schlafmittel, die zur Behandlung von Schlaflosigkeit verschrieben werden, negative Einflüsse auf die kognitive Leistungsfähigkeit haben, empfiehlt der Gerontologe Fillit: "Vermeiden Sie tagsüber Nickerchen und suchen Sie bei andauernden Beschwerden ein Schlaflabor auf."

7) Medizinische Probleme behandeln lassen

In zahlreichen Studien konnte belegt werden, dass Bluthochdruck, Diabetes und Depressionen das Risiko für Demenzerkrankungen erhöhen. Depressionen sind bereits der häufigste Grund für kognitive Beeinträchtigungen im Alter. Diese Krankheiten sollten daher unbedingt ärztlich behandelt werden.

© SZ vom 27.4.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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