Gedächtnis-Forschung:Verloren, aber nicht weg

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Nicht alle Erinnerungen, die aufgrund von Hirnschäden oder Demenz vergessen wurden, sind für immer weg. Eine Untersuchung an "Alzheimer-Mäusen" macht Hoffnung, dass in Zukunft auch Demenz-Patienten wieder Zugriff auf verlorene Gedächtnisinhalte erlangen.

Dinge, an die wir uns nicht mehr erinnern können - weil wir sie vergessen haben oder aufgrund einer Altersdemenz - müssen deshalb noch lange nicht aus unserem Gedächtnis gelöscht sein.

Lässt sich mit Hilfe der Studienergebnisse in Zukunft vielleicht auch Demenzpatienten helfen? (Foto: Foto: dpa)

Vergessen bedeutet vielmehr häufig lediglich, dass unser Gehirn den Zugriff auf die noch immer gespeicherten Informationen verloren hat.

Diese Idee stützen die Ergebnisse einer Untersuchung an Mäusen, die Wissenschaftler des MIT in Cambridge, Massachussetts, Forscher der Universität Göttingen und Experten weiterer Institutionen jetzt veröffentlicht haben. Und sie machen Hoffnung, dass selbst Alzheimer-Patienten in Zukunft ihr Gedächtnis zurückerhalten könnten.

Wie Li-Huei Tsai und Kollegen im Fachmagazin Nature (online 29 April 2007, doi:10.1038/nature05772) berichten, konnten sie Erinnerungslücken im Langzeitgedächtnis der Nager trotz schwerer Hirnschäden wieder füllen.

Die Wissenschaftler setzten genveränderte Tiere ein, die ein bestimmtes Protein besitzen, das gezielt an- und ausgeschaltet werden kann. Die Wirkung des Moleküls: Schäden im Gehirn der Tiere, die zu Lernschwächen und Gedächtnisverlusten führten, bis die Nager sich kaum noch an Dinge erinnern konnten, die sie vor längerer Zeit gelernt hatten.

Auch Alzheimer-Patienten und Menschen mit ähnlichen Demenz-Erkrankungen verlieren die Fähigkeit, Neues zu lernen und sich an Vergangenes zu erinnern.

In den Gehirnen der so behandelten Mäuse kam es zum Abbau von Nervenzellen und Eiweißablagerungen wie bei der Alzheimerschen Krankheit auf.

Hirnjogging mit Mäuse-Spielzeug

Ein Teil der kranken Tiere wurde dann in eine anregende Umgebung mit viel Mäuse-Spielzeug und verstecktem Futter gesetzt, der andere Teil blieb in "langweiliger" Standardumgebung.

Anders als bei den Tieren in der "normalen" Umgebung verbesserten sich bei den Mäusen in der abwechslungsreichen Umgebung das räumliche Orientierungsvermögen und die Fähigkeit, geistige Verknüpfungen herzustellen.

Diese Mäuse begannen sogar, sich an vergessene Dinge zu erinnern, berichtete Fischer. Biochemische Untersuchungen zeigten, dass im Gehirn mehr Nervenfortsätze und Kontaktstellen zwischen Nerven vorhanden waren als bei den "Langeweile-Tieren". Dieser Effekt beruhe offenbar auf der Aktivierung spezieller Gene.

Diese Aktivierung lässt sich der Untersuchung zufolge auch mit bestimmten chemischen Substanzen erreichen, nämlich mit Hemmstoffen (Inhibitoren) der so genannten Histon-Deacetylasen (HDAC). Mit dieser Substanz behandelte Alzheimer-Mäuse steigerten ihr Lernverhalten und reaktivierten vergessenes Wissen.

Erinnerungen gingen demnach nicht unbedingt sofort für immer verloren, sagte Andre Fischer vom European Neuroscience Institute (ENI) der Uni Göttingen. Sie werden aufgrund von Hirnschäden jedoch für das Bewusstsein unerreichbar, weil Nervenverbindungen zu den Speicherorten untergehen. "Andere Nerven können die Kontakte aber übernehmen, wenn man ihnen dabei hilft".

Genau das haben die Untersuchungen offenbar gezeigt: Die verbliebenen Nervenzellen im Gehirn der Alzheimer-Mäuse können die Aufgaben der bereits abgestorbenen Hirnzellen zumindest teilweise übernehmen, wenn sie gefordert oder mit Medikamenten behandelt werden.

Optimistische Forscher

Dies lasse hoffen, dass Hilfe auch für Alzheimer-Patienten möglich ist. Noch sei zwar unklar, ob Alzheimer mit den HDAC-Inhibitoren ganz zu stoppen ist. "Unsere aktuellen Forschungen deuten jedoch darauf hin", so Fischer. Die aktuellen Ergebnisse sollen nun als Basis für klinische Studien an Menschen dienen.

Bereits letztes Jahr hatten Forscher vom Columbia University Medical Center das Gedächtnis von Alzheimer-Mäusen wieder hergestellt, indem sie die Arbeit eines bestimmten Enzyms, Uch-L1, verstärkten (Cell online, 24.8.2006).

Allerdings, so warnten die Forscher, dürfe man nicht einfach vom Tiermodell auf den Menschen schließen. "Es wird noch einige Zeit vergehen, bis dies zu einer Behandlung bei Menschen führen könnte", erklärte Michael Shelanski damals.

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