Freikörperkult:Wir sind nackt und sagen du

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Schon Platon fand Nacktturnen gut. Nacktsein ist aber nicht immer sexy, aber in jedem Fall gesund. Ein kleine Geschichte der Freikörperkultur

Klaus Podak

Wie so vieles in der Menschengeschichte (Mann - Weib; Verführung - Sünde; Vertreibung - Leiden) fing auch dieses mit Adam und Eva an. "Und sie waren beide nackt, der Mensch und das Weib, und schämten sich nicht." So steht es im Buch der Bücher, Kapitel 2, Vers 25. Adam und Eva waren also die ersten praktizierenden Freikörperkulturler.

Nacktbaden im Englischen Garten: für Nudisten paradiesische Zustände (Foto: Foto: dpa)

Das war damals im Garten Eden. Und ein Hauch von Paradiesschwärmerei umgibt seit diesem Anfang alle Nacktbadeanstalten, jedes Engagement für den unter keiner Hülle versteckten Leib. Im Garten Eden, erzählt das Buch der Bücher, ging die Sache nicht gut aus, weil Eva verführbar war und der willige Mann aß, was verboten war. Als die beiden unterscheiden konnten, was gut, was böse sei, schämten sie sich, da wurde Nacktheit auf einmal zum Problem. Und dieser Widerspruch, nackt gut gegen nackt böse, zieht sich seitdem durch die wechselhafte Geschichte des Leibes, seiner Be- und seiner Entkleidung. Die Modebranche lebt von diesem Hin und Her. Sie spielt mit ihm - ein bisschen angezogen, ein bisschen ausgezogen.

Die Griechen in antiken Zeiten turnten nackt, auch die Frauen. Der weise Platon findet das gut. Die Griechen hatten allerdings auch kein Buch der Bücher, das ihnen Scham vor der Nacktheit eingebläut hätte. Bei den Römern setzt sich das Bewusstsein durch, dass nackt auch wehrlos bedeuten kann. Der kluge Seneca fasst das pathetisch so zusammen: "Was ist der Mensch? Ein schwacher, zerbrechlicher Körper, nackt, seiner Natur nach wehrlos, fremder Hilfe bedürftig, jeder Misshandlung des Schicksals preisgegeben ...".

Auch dieser Gedanke zieht sich durch die Geschichte und die Geschichten: Nacktheit ist Hilflosigkeit. Scham wäre dann Trauer über eine grundsätzliche Hilfsbedürftigkeit, die Menschen empfinden, weil sie immer auf Ergänzungen angewiesen sind. Im Nachdenken über Nacktheit bündeln und überlagern sich alle die genannten Motive und entfachen einen unauflösbaren Streit bis in die Gegenwart hinein. Nacktheit ist ein Problem. Nacktheit kann Unschuld bedeuten, Sünde oder Angewiesensein auf Schutz und Verkleidung.

Bedenkliche Kur des Luftbads

Im 18. Jahrhundert wird eine Variante eingeschmuggelt, die sich zu einem starken Argument bis heute entwickelt hat. Es ist die Gesundheit. Nackt, wenn auch nicht ständig, heißt gesund zu werden, gesund zu sein. Am hübschesten hat das der kleine, witzige, hypochondrische und bucklichte Göttinger Physiker Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799) für ein großes Publikum formuliert. Im viel gelesenen "Göttinger Taschen Calender" für das Jahr 1795 veröffentlichte er einen Aufsatz mit dem unverfänglichen Titel "Das Luftbad". Es geht darin um die nützliche und kräftigende Aussetzung des unbekleideten Leibes an den sonnigen Tag. Er sichert sich ab durch Berufung auf Autoritäten. "Ich führe hier nur an, dass Franklin, dessen flüchtige Äußerungen immer mit Respekt gehört zu werden verdienen, ein großer Freund von dem Luftbad gewesen ist."

Dann zitiert er den Lord Monboddo herbei, "ein bekanntlich schwer gelehrter Mann". "Er machte sich ganz nackend, in freier Luft eine starke Bewegung, und glaubt, dass er es diesem Verfahren zu danken habe, dass er sich in seinem siebenzigsten Jahre noch so jung fühlt, als in seinem dreißigsten." Aber, zierlich angedeutet, spielt auch hier das alte Vermächtnis der Scham wieder mit. "Auch hat man mir erzählt, dass er seine Töchter zuweilen nötigen soll, dieses Bad zu gebrauchen, welches wegen der großen Durchsichtigkeit der Luft und (da man bei Tage baden muss) der großen Scharfsichtigkeit der im Stande der Schuld Lebenden wegen, immer eine bedenkliche Kur ist."

Es ist also bedenklich wenn das Luftbad der Frauen gesehen werden kann. Aber dann leistet sich Lichtenberg doch noch eine Männerphantasie, die erst in den laxeren Zeiten der Gegenwart eingelöst worden ist. Er versucht eine Synthese. Er meint, dass "der tiefe Ausschnitt am Busen, und der hohe Abschnitt am Unterrock sich endlich einander auf halbem Wege begegnen und zum bloßen Feigenblatt unserer ersten Eltern zusammenschmelzen werden. So führt auch diese Theorie, so wie die neueste Politik auf eine baldige Wiederkehr vom paradiesischen Stand der Unschuld und Gleichheit." Lichtenberg hat die Kurve gekratzt: vom 18. Jahrhundert zurück zum Alten Testament.

Aus dem Reformhäuschen

Was heutzutage nicht mehr "Luftbad", sondern "Freikörperkultur" (FKK) genannt wird, hat seinen Ursprung um das Jahr 1900 herum. Das Nacktsein in (begrenzter) Öffentlichkeit war zu Kaisers Zeiten, als die meisten schwer verhüllt Eindruck zu schinden versuchten, eine ziemliche Provokation. Nacktsein gehörte zur damals aufkommenden Lebensreformbewegung. Baden in Licht, Luft und Sonne sollte auf natürliche Weise die Gesundheit fördern (wie beim Aufklärer Lichtenberg).

Man richtete sich zugleich auf im Abstand zu einer als unnatürlich und bedrohlich erlebten Gesellschaft. "Nacktkultur" - erst nach dem Ersten Weltkrieg kam der weichgespülte Begriff "Freikörperkultur" auf - wurde Ausdruck einer Weltanschauung. Zum Motto wurde: "Wir sind nackt und sagen DU". Peinlich genau achteten die Anhänger darauf, dass sie nicht mit sexueller Anmache identifiziert werden konnten. Und noch heute gibt es kaum etwas, das sexuell langweiliger wäre als so ein von FKKlern besiedelter Nacktbadestrand.

Menschen außerhalb der Vereine scheren die alten Probleme wenig. Sie liegen in München nackt in den Isarauen und lassen es sich wohlsein. Paradies? Scham? Gesundheit? Hauptsache man wird trendy braun. Die alte Geschichte scheint an ein legeres Ende gekommen zu sein.

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