Frauen auf der Jagd:"Und Sie schießen wirklich selbst?"

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Menschen töten Tiere, schon immer, für Nahrung oder Kleidung. Heute ist das keine reine Männersache mehr. (Foto: dpa)

Früher war die Jagd reine Männersache, inzwischen zieht es immer mehr Frauen in ihrer Freizeit in den Wald. Einige machen sich extra schick, andere sind schlechter frisiert als ihre Hunde - und alle freuen sich, wenn es endlich knackt im Gehölz.

Eine Reportage von Anne-Nikolin Hagemann

Madeleine Mahr hat kalte Füße, trotz dicker Socken und schwerer Stiefel. Anderthalb Stunden wird sie hier sitzen, möglichst bewegungslos, möglichst leise. Auf dem Hochsitz pfeift der Wind durch die Ritzen, die Leitersprossen sind so vereist, dass sie kaum hochgekommen ist, mit Gewehr und Rucksack. Für diese anderthalb Stunden ist die 26-Jährige extra aus Göttingen angereist, 250 Kilometer in die fränkische Provinz, mit drei Hunden, zwei Waffen und ihrer Mutter im Kleinwagen. Denn hier lädt der Forstbetrieb Coburg zur Diana-Jagd, einer Jagd nur für Jägerinnen.

Vielleicht sieht die Zukunft der Jagd ähnlich aus wie die nächsten anderthalb Stunden. Noch vor 20 Jahren betrug der Frauenanteil unter den Jägern knapp ein Prozent. Heute ist jeder zehnte Jagdscheininhaber eine Frau. In den Vorbereitungskursen zur Jägerprüfung liegt die Frauenquote schon bei 20 Prozent. Die Jagd wird weiblicher.

Madeleine Mahr prüft den Wind mit ihren Atemwolken und sichert die Umgebung. In drei Richtungen könnte sie schießen, den Waldweg hinauf und hinunter und in die Schneise direkt vor ihr. Im Wald um sie herum sitzen jetzt etwa 30 Frauen. Alle warten und frieren. Und lauschen: auf jedes Knacken im Gebüsch, auf jedes Hundebellen. Und auf das eigene Herzklopfen.

Jagen, sagt Madeleine Mahr, ist Spannung und Entspannung zugleich. Mit 13 war sie schon einmal bei einer Jagd wie dieser dabei, einer mit männlichen Schützen, ein Bekannter hatte sie mitgenommen. Eigentlich hat sie da schon gespürt: Das ist ihr Ding. Die Natur, die Bräuche, die Gemeinschaft. Mit 20 hat sie dann den Jagdschein gemacht, neben dem Abitur. Obwohl ihre Eltern und auch ein paar Freunde darüber den Kopf geschüttelt haben.

Madeleine Mahr heißt eigentlich anders. In den nächsten eineinhalb Stunden wird sie über sehr private Dinge sprechen. Und über eine Leidenschaft, die viele nicht verstehen. Deshalb bittet sie darum, ihren richtigen Name nicht in die Zeitung zu schreiben.

"Für mich ist Jagen etwas ganz Natürliches"

Jetzt aber sitzt sie erst mal da und schweigt. Und wartet auf Tiere, die sie töten kann. Süße Rehe mit großen Augen vielleicht, deren Herz aufhört zu schlagen, weil sie auf sie gezielt und dann den Abzug gedrückt hat. Daran denken die meisten zuerst bei dem Wort Jagd: ans Töten. Wie passt das zusammen mit einer jungen, schmalen Frau, die mit leiser Stimme spricht und ihren Hochsitz zuerst auf Spinnen überprüft, vor denen sie Angst hat? Madeleine Mahr sagt: "Für mich ist Jagen etwas ganz Natürliches."

Menschen töten Tiere, schon immer, für Nahrung oder Kleidung. Früher war das Männersache. Heute machen die Frauen mit, wie fast überall. Madeleine Mahr geht zur Jagd, weil sie die Natur liebt, weil sie bewusst leben möchte. Aus dem gleichen Grund mieten sich andere Leute heute ein Stück Acker und bauen eigenes Gemüse an oder kaufen Eier beim Bauern um die Ecke. "Das hier", sagt Madeleine Mahr und blickt in den Wald hinein, "ist für mich Leben."

Ein Leben, zu dem das Töten eher dazu gehört als das eingeschweißte Schnitzel für 99 Cent aus dem Supermarkt, bei dem sich niemand um die Augen kümmert, die mal dazugehört haben. Madeleine Mahr sagt, dass sie sich daran am besten erinnern kann, wenn sie an den ersten Bock denkt, den sie erlegt hat: an die Augen, im Tod groß und offen und ohne Angst. Blattschuss ins Herz, er hat nicht einmal den Knall gehört.

Fragt man Jägerinnen, worin sich Männer und Frauen bei der Jagd unterscheiden, kommt oft die Antwort: Frauen jagen emotionaler. "Das heißt aber nicht, dass sie um jedes tote Tier weinen", sagt Martina König: "Wer sich nicht absolut sicher ist, das Richtige zu tun, sollte keine Tiere erlegen." Zusammen mit ihrem Mann führt sie eine Jagdschule in München, das Motto: "Wir machen Jäger."

Martina König ist eine Frau, die auf die Frage, warum sie süße Bambis tötet, so antwortet: "Bambi war ein amerikanischer Weißwedelhirsch. Ich erlege Rehe." Wenn sie Jägerinnen ausbildet, will sie sie in erster Linie zu Expertinnen machen - für den Wald und die Tiere darin. Das bringe ihnen auch automatisch den Respekt der männlichen Kollegen. Die Frauen in ihren Kursen würden die Dinge eher hinterfragen, seien kritischer als die Männer. Und eben gefühlvoller.

Das heißt laut Martina König: Eine Frau denkt länger nach vor dem Schuss, und sie drückt nur ab, wenn sie absolut sicher ist, zu treffen. Das heißt nicht, dass sie Angst hat vor Waffen oder Blut. Eine Frage, die viele Jägerinnen schon oft von höflich interessierten Smalltalkern gehört haben: "Und Sie schießen wirklich selbst?" Martina König sagt: Wenn in ihren Kursen das Aufbrechen, also das fachmännische Ausnehmen von erlegtem Wild geübt wird, sind die Frauen die ersten, die zum Messer greifen.

Auf ihrem Hochsitz in Franken hört Madeleine Mahr es nun rascheln. Sie ist schlagartig wach, greift nach dem Gewehr und legt an in Richtung des Geräuschs. Plötzlich brechen aus dem Dickicht Wildschweine, fünf oder sechs große schwarze Schatten, und traben über die Schneise. Der Gewehrlauf fährt mit, Madeleine Mahr atmet nicht. Dann ist der letzte Schatten im Gebüsch verschwunden, nur die Äste knacken noch. Madeleine Mahr sichert ihr Gewehr und atmet aus. "Die waren zu schnell", sagt sie. So schnell, dass sie nicht sicher sein konnte, zu treffen.

Jetzt war das Gefühl da, das manche Passion nennen, manche Jagdfieber. "Das ist wie nach einem Sprint", sagt Madeleine Mahr, "du spürst das Adrenalin im Blut." Auf ihrem Nachttisch liegt ein Buch, "Jagen, Sex und Tiere essen". Der Autor vergleicht das Ziehen des Abzugs mit einem Orgasmus, beschreibt die Jagd als Teil einer neuen Lust am Archaischen und den Beutetrieb als dem Menschen angeboren.

Jagd und Waffen als Aphrodisiakum, jagende Frauen als Männerfantasie - da ist es nicht weit zu dem von der US-Waffenlobby propagierten Bild der "Chicks with Guns": leicht bekleidete und schwer geschminkte Frauen mit blonden Mähnen und großen Brüsten posieren mit noch größeren Waffen und erlegtem Großwild. Bilder, die nicht fragen, ob die Jagd Spaß machen darf, sondern brüllen: Töten ist geil!

"Ich habe kein anderes Hobby"

Die Frauen, denen Madeleine Mahr bei der Begrüßung am Morgen die Hand geschüttelt hat, können über solche Bilder nur müde lächeln. Unter ihnen waren zwar auch welche mit roten Lippen und manikürten Nägeln. Aber auch solche im abgewetzten Lodenmantel, der Hund sorgfältiger gekämmt als seine Herrin. Kurz: ein Querschnitt durch die weibliche Bevölkerung, jung, alt, dick, dünn, mal elegant, mal bodenständig.

"Es wäre bestimmt besser für die Geschichte, wenn ich lange blonde Haare hätte", sagt Madeleine Mahr beinahe entschuldigend. Ihre sind kurz und braun. Seit Juli wachsen sie wieder, da war ihre Chemotherapie vorbei. Erfolgreich. Über den Krebs kann Madeleine Mahr heute so entspannt sprechen wie über ihre Liebe zur Natur. Die Jagd, sagt sie, hat ihr geholfen: "Ich habe kein anderes Hobby, ich will immer draußen sein."

Das war auch während der Therapie so, soweit es eben ging. Einen Hund hat sie sich in dieser Zeit auch gekauft und ausgebildet, Etzel, ein Deutsch-Kurzhaar, der dritte nach den Rauhaardackeln Kaspar und Olli. Ein lang gehegter Wunsch. "Und den habe ich mir dann erfüllt", sagt sie, im Tonfall einer Frau, die über ein teures Designerkleid spricht.

Die anderthalb Stunden sind fast um, als es knallt, nicht weit entfernt. Zweimal, dreimal. Einer der Schüsse kam aus der Richtung von Madeleine Mahrs Mutter. Die hat vor einem Jahr ebenfalls die Jägerprüfung bestanden und damit ihre Tochter schwer beeindruckt. Die beiden Frauen sind die einzigen Jäger in der Familie. Madeleine Mahr ist momentan Single, als Partner käme für sie aber nur ein Mann mit Jagdschein in Frage. Schon allein, damit er überhaupt Zeit mit ihr verbringen kann. "Sonst würde ich mir auch irgendwie vorkommen, als hätte ich den männlichen Part in der Beziehung", sagt sie.

Weder Madeleine Mahr noch ihre Mutter haben an diesem Tag geschossen, obwohl sie einige Tiere gesehen haben. Wie viele der anwesenden Frauen. Für den Titel der Jagdkönigin reicht bei den Damen ein junges Wildschwein, erlegt von einer Nachbarschützin von Madeleine Mahr. Ein Schuss, ein Treffer. Die Frauen gratulieren mit einer Umarmung.

© SZ vom 04.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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