Zu Besuch im Bayerischen Hof, der Nobeladresse Münchens. Es ist das Hotel, in dem einst Michael Jackson eines seiner Babys aus dem Fenster hielt. "Ich denke, niemand sollte sein Kind oder nur seinen Hund aus dem Fenster halten, auch nicht Michael Jackson", sagt Jamie King.
Der junge Mann aus Beverly Hills tanzte einst für Michael Jackson. Das machte ihn berühmt. Prince wurde auf den wendigen Jungen auf der Bühne aufmerksam und ließ fortan die Choreographien für seine Auftritte von ihm schreiben. Das wiederum ließ Madonna aufhorchen. Als sie King zum ersten Mal live auf der Bühne sah - tanzend zu seiner eigens entworfenen Show - griff sie anschließend zum Hörer und heuerte ihn an. Und so schrieb sich seine Erfolgsgeschichte fort.
Heute ist Jamie King einer der Größten im Geschäft mit den US-Popstars. Welcher Scheinwerfer auf welchen Tänzer schwingt, ob Madonna ein Rad schlägt oder Ricky Martin über die Bühne grätscht - Jamie King hat sich diese Inszenierung der teuren Körper ausgedacht. Christina Aguilera, Pink, Rihanna, Jennifer Lopez und Carmen Electra tanzen ebenfalls nach seiner Pfeife. Derzeit tourt King mit Madonna durch Europa. Ihre "Sticky and Sweet"-Tour stammt aus seiner Feder.
Die Welt gratulierte Madonna zum 50., doch Jamie King ziert sich wie eine Diva, über sein Alter zu sprechen. Und das, obwohl er fitter als ein Turnschuh ist und sich nicht über mangelnde Jungenhaftigkeit beschweren kann. Fühlt er sich etwa älter, weil er schon so lange im Geschäft ist? "Ich bin in meinen Dreißigern und fühle mich gut", versichert der Mann mit den vielen Muskeln und der bronzefarbenen Haut. "Madonna ist das beste Beispiel für mich - Fitness und Arbeit haben nichts mit dem Alter zu tun."
Tectonic statt Tango
Dass sie mit 50 scheinbar alterslos über die Bühne tobt, hat Madonna ihm zu verdanken: Seit zwölf Jahren lässt sie sich von King immer wieder neue schweißtreibende Tanzschritte beibringen. Wenn sie ein neues Album beendet hat, ruft sie ihn an, sie hören die Stücke rauf und runter und erarbeiten die Choreographie für die nächste Tournee.
Tanzen, das sind für King weder Tango noch Walzer, auch wenn er die Standardtänze in seiner Tanzausbildung gelernt hat. Seine Vorstellung von Tanz hat weniger mit sinnlichen Bewegungen zu tun, sondern ähnelt einem fordernden Aerobic-Workout. Tectonic, Hiphop und Freestyle-Tanzen kombiniert er zu sportlichen Übungen. "Wer mit mir trainiert, muss nicht mehr ins Fitness-Studio. Das ist das Tolle am Tanzen", findet King.
"Rock your body" heißt deshalb auch das Buch, das der dauerlächelnde Tanztrainer herausgegeben hat und parallel zu Madonnas Tour promoten will. Darin lässt er sich von seinen namhaften Arbeitgebern belobhudeln: "Jamie ist nicht nur selbst großartig, sondern hilft anderen dabei, großartigere Abbilder ihrer selbst zu werden", schwärmt etwa Mariah Carey. In diese Hymne stimmt Ricky Martin ein: "Jamie hat das Beste aus mir herausgeholt." Diesem Mann kann man also blind vertrauen.
Auf gut 200 Seiten macht das umschwärmte Tanztalent eben jene Übungen vor, mit denen Bauch-, Po- und Beinmuskeln Madonna'sche oder Martin'sche Ausmaße annehmen sollen: Wir sollen sliden, jumpen und kicken mit King.
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Geschwister im Geiste
Natürlich kommt kein Promi-Trainer-Ratgeber ohne Speiseplan aus: Zum perfekten Body findet man demnach nicht nur mit Sprüngen vor und zurück und kräftigen Hüftschwüngen. Nein, Apfel-Zimt-Joghurt, Steak-Salat und Spargel-Potpourri sollen ebenfalls zur perfekten Form verhelfen. Madonna allerdings, so sagt man, esse nur Sojabohnen und Nüsse.
Der in Wisconsin geborene King gibt sich zwar kumpelhaft und locker, doch er leugnet nicht: "Ich bin ein Perfektionist und Workaholic". Urlaub habe er seit zwei Jahren nicht mehr gemacht ("Viel zu stressig."). Und deshalb habe er auch in der ruhelosen Madonna eine Schwester im Geiste gefunden.
Dass Madonna nicht immer zimperlich mit ihrer Gefolgschaft umgeht, auf ihrer Tournee fürstlich residiere und ihre rund 250 Mannen unterdessen in billigen Hotels wohnen lässt - davon will King nichts wissen. "Madonna ist vielleicht streng. Aber sie ist es vor allem zu sich selbst", sagt er. Natürlich - wer sägt schon an dem Ast, auf dem er sitzt?
Hartes Training verlangen sich die beiden gemeinsam ab: Die Vorbereitung auf die aktuelle Tournee hat drei Monate gedauert. Das erscheint kurz für das immense Spektakel, umso intensiver waren die Arbeitstage. Acht Stunden täglich, 650 Stunden insgesamt wurden auf der Bühne perfekte Bewegungsabläufe einstudiert, viele weitere Stunden via Mail und Telefon am Feinschliff gearbeitet. Wie viel Körpereinsatz in der Show steckt, verrät ihr Equipment: Madonna reist mit 100 Knieschonern im Tournee-Gepäck.
Das perfekte Selbstmarketing
Motivationsprobleme kenne Madonna trotz harter Bandagen nicht, sagt King. Wie auch, mit dem jungenhaften Energiebolzen an der Seite? Im stuckverzierten Kronleuchtersaal im Bayerischen Hof, wo Jamie King vor deutschen Pressevertretern vortanzt, bekommt man eine Ahnung von einer Trainingseinheit.
King steppt vor und zurück, vor und zurück, seine Ellenbogen schnellen abwechselnd auf Brusthöhe, er gibt laute Anweisungen zu lauter Madonna-Musik. Dann schiebt er lässig das Gesäß nach vorn und wieder zurück. Wer beim Step zur Seite nicht hinterherkommt, darf die Hände auf des Meisters Schultern legen, um in den Rhythmus zu finden. King - der Motivationstrainer zum Anfassen.
Seine kostenlose Tanzstunde dient der Eigenpromotion; auch wenn man sich fragt, wozu der Mann das überhaupt noch nötig hat. Schließlich tanzt er seit jeher in der ersten Reihe. Aber das hat King wohl von der Pop-Königin gelernt: das Nimmermüdewerden im perfekten Selbstmarketing.
Madonna sagt, mit Kabbala halte sie ihren Geist fit. Für ihren Körper hat sie einen dauerlächelnden jungen Mann, Mitte 30. (Video: Florian Stielow; Sprecherin: Ruth Klaus)