Ernährung:Generation XXL

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Jedes fünfte Kind ist zu dick, weil es zu viel Süßes und Fastfood konsumiert - betroffen sind vor allem sozial schwache Familien.

Kristina Läsker

Mit 44 Stücken Würfelzucker könnten Kinder lange spielen - daraus ließen sich Türmchen bauen oder Schlösser, so viel Zucker ist das. 44 Stück Würfelzucker sind in einem Liter des Erdbeer-Trinkjoghurts "Biene Maja" für Kinder enthalten, das hat die Berliner Verbraucherschutzorganisation Foodwatch öffentlich gemacht. Ein Liter Cola mit 28 Stück Zucker ist dagegen fast ein Diätgetränk. Der Kindermilchdrink tarnt sich mit liebevollen Bienchen-Motiven und ist für den Konsumenten kaum als Zuckerbombe voller künstlicher Aromastoffe zu erkennen.

Fastfood: Viele können ihre Finger von Dickmachern nicht lassen. (Foto: Foto: iStockphotos)

Süße Joghurts, Cola, Pizza, gezuckerte Säfte, Schokoriegel, Chips - deutsche Wissenschaftler schlagen Alarm, weil sich viele Kinder schlecht und einseitig ernähren. Die Folgen sind auf den Schulhöfen kaum mehr zu übersehen: Knapp 21,3 Prozent der deutschen Kinder und Jugendlichen sind zu dick - in Bayern ist jeder fünfte Erstklässler bei seiner Einschulung zu moppelig.

Deutschlandweit gelten etwa 15 Prozent oder 1,8 Millionen Kinder und Jugendliche als übergewichtig. 6,3 Prozent oder knapp 770.000 Kinder und Jugendliche sind sogar so dick, dass sie als fettleibig bezeichnet werden. So lauten die Ergebnisse des jüngsten Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (Kiggs) des Berliner Robert-Koch-Instituts (RKI). Deutschland nähert sich den amerikanischen Verhältnissen an. In den USA tragen bereits 40 Prozent der Kinder zu viel Fett mit sich rum.

Weniger als Hälfte der Kinder isst ausreichend Obst

Die Körperfülle kann langfristig zu schweren seelischen und körperlichen Schäden führen. Gelenkverschleiß, Bluthochdruck, Herzinfarkt oder Schlaganfall treten immer früher auf, die Zahl der Zuckerkranken nimmt drastisch zu. Kinder und Jugendliche erkranken häufiger an Typ-2-Diabetes, dem sogenannten Alterszucker. Dass die Kinder fetter werden, liegt nach Ansicht von Experten an einer Mischung aus schlechter Ernährung, Trägheit - und niedrigem Sozialstatus der betroffenen Familien. Diese miteinander verknüpften Ursachen erschweren das Abnehmen, und sie sorgen dafür, dass die Beteiligten die Verantwortung oft von sich weisen.

Schlechte Ernährung: Seit der Kiggs-Studie aus den Jahren 2003 bis 2006 sind viele der Essgewohnheiten besser bekannt: So nehmen Kinder und Jugendliche viel zu wenig gesundes Obst und Gemüse zu sich. Etwa die Hälfte verzehrt weniger als 50 Prozent der empfohlenen Menge von 400 Gramm pro Tag. Auch Säfte und Vitaminkapseln könnten diesen Mangel nicht beheben, warnt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung.

Außerdem trinken Kinder viel zu wenig Wasser, dafür aber zu viel Limo oder Cola. Der Anteil fettreicher Lebensmittel wie Wurst und Fleisch sei deutlich zu hoch, stellt die Studie fest. Ob Fastfood, Schokoriegel und Chips: Die Generation XXL liebt Kalorienbomben mit geringem Nährwert.

Auf der nächsten Seite: Die häufigste Ursache für Übergewicht

Mangelnde Bewegung: "Die häufigste Ursache für Übergewicht ist die fatale Kombination aus immer weniger Bewegung und falscher Ernährung", sagt eine Sprecherin der Techniker Krankenkasse. Kinder bewegten sich seltener, säßen häufiger am Nachmittag vor dem Fernseher, und oft brächten Eltern ihre Kinder selbst kurze Wege mit dem Auto, warnt auch das Karlsruher Max-Rubner-Institut. Dort wird ein Projekt der Bundesregierung namens "Besser essen - mehr bewegen" betreut. In 24 Modellregionen wird erprobt, wie dem Übergewicht von Kindern frühzeitig und dauerhaft entgegengewirkt werden kann.

Nicht nur zu Hause, auch in der Schule wird zu häufig gesessen. Gesundheitsexperten weisen darauf hin, dass der Sportunterricht an deutschen Schulen zu kurz kommt. An vielen Grundschulen werde das Fach nicht von Fachlehrern unterrichtet, beklagt auch der Paderborner Sportwissenschaftler Dietrich Brettschneider. Auch später verbessert sich die Lage nicht: An weiterführenden Schulen falle etwa jede vierte Sportstunde aus, erklärt der Forscher.

Soziales Umfeld: Die Herkunft der Kinder spielt eine entscheidende Rolle bei Übergewicht. "Kinder mit niedrigem Sozialstatus sind häufiger übergewichtig", heißt es beim Robert-Koch-Institut. In dieser Bevölkerungsgruppe sind laut Kiggs-Studie fast 28 Prozent der Kinder dick, in gebildeteren und wohlhabenderen Familien sind es nur 15 Prozent.

Schokoriegel im Automat

Ein ähnliches Bild zeichnet auch die bundesweite Verzehrstudie, die Bundesverbraucherminister Horst Seehofer Ende Januar vorstellte. Kinder und Jugendlichen aus einkommens- und bildungschwachen Familien sind demnach häufig dicker. Auch Nicht-Regierungs-Organisationen kritisieren, dass ausgewogene Ernährung von der Dicke des Geldbeutels abhängt: "Der Kauf von gesunder Nahrung ist ein Einkommensproblem", sagt etwa Thilo Bode, Leiter von Foodwatch.

Doch egal ob reich oder arm: Eltern hätten bei der Speisenauswahl oft kaum eine Chance, weil auf den Lebensmitteln selten klar draufstehe, was wirklich drin sei, meint Verbraucherschützer Bode: "Sie brauchen eine Lupe für die Produktionformationen - und verstehen doch nichts." Er fordert deshalb eine verständliche Kennzeichnung von Lebensmitteln in Ampelfarben: Grün, Gelb und Rot würden dann auf den niedrigen bis hohen Gehalt an Fett, Zucker und Salz in den Produkten hinweisen - in Großbritannien ist dieses System gerade eingeführt worden. "Das hilft bei der schnellen Entscheidung am Regal", erklärt Bode. Das Ampelmodell zwinge den Hersteller zu leichter vergleichbaren Angaben, meint auch Ursula Tenberge-Weber von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen.

Dort ärgert man sich darüber, mit welchen falschen Versprechen die Eltern zum Kauf verführt werden: ,,Die Firmen werben mit der ,Extraportion Calcium' oder dem ,Plus für eine ausgewogene Gesundheit' für Kinderlebensmittel'', sagt Ursula Tenberge-Weber. "Den Wert für die Ernährung der Kinder erfahren die Eltern aber meist nicht." Verbraucherschützer wünschen sich daher, dass Werbezeiten für Kinderlebensmittel eingeschränkt werden. Vorbild sind dabei Schweden und Norwegen, dort sind solche Fernsehwerbespots bis 21 Uhr verboten. "Dort dürfte Thomas Gottschalk nicht für Gummibärchen werben", meint Thilo Bode von Foodwatch.

Die Industrie reagiert mit Unverständnis. "Kinder müssen lernen, mit Werbung umzugehen", sagt eine Sprecherin von Mars. Doch zuletzt hat sich auch der weltweit größte Schokoriegelhersteller (Twix, Balisto, Snickers) dem politischen Druck gebeugt. Umworben würden nur noch Jugendliche ab 16 Jahren, und auf Werbung auf Kindersendern werde verzichtet, sagt die Sprecherin. In die Schule gelangen die Süßigkeiten trotzdem: Mars bestückt - außer an Grundschulen - landesweit Schulautomaten mit Schokoriegeln. Darauf dürfte der Konzern aber nur ungern verzichten: Früh eingeübtes Essverhalten behalten auch Erwachsene bei.

© SZ vom 13.2.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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