Die Lifestyle-Falle:Wenn Aussehen alles ist

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Wie hebt man sich durch seinen Lifestyle von anderen ab, wenn Leben mit Stil zum allgemeinen Trend wird? Am besten gar nicht, sagt Politologe Lars Distelhorst.

Ulrike Bretz

sueddeutsche.de: Sie sind auf dem Umschlag Ihres Buches "Lifestyle Toujours" zu sehen, mit Tätowierung und Adidas-Jacke. Ist das stylish?

Was tun, wenn man sich für stylish hält, und alle anderen genauso aussehen? (Foto: Foto: Photocase/koketts6)

Lars Distelhorst: Man könnte es meinetwegen "peinlich" nennen oder "authentisch" - aber "stylish" trifft heute auf alles zu. Ich habe mich für das Foto bewusst nicht umgezogen. Ich wollte zeigen, dass ich beim großen Lifestyle-Spiel mitspiele. Wie jeder andere auch.

sueddeutsche.de: Welche Regeln gelten in diesem Spiel?

Distelhorst: Es funktioniert nach dem Motto: "Ich sehe mich mit den Augen der anderen, statt mit meinen eigenen". Man leistet sich die Kleidung, das Auto oder die Reisen, für die man glaubt, Anerkennung zu bekommen. Dabei geht ein Stück des Ichs verloren, man höhlt sich sozusagen aus und wird bedeutungslos. Das ist die Gefahr, wenn man beim Lifestyle-Spiel mitmacht.

sueddeutsche.de: Aber man muss doch nicht bei allem mitmachen.

Distelhorst: Lifestyle ist so vielfältig und allgegenwärtig, dass man sich dem nicht entziehen kann. Jeder tappt in die Lifestyle-Falle. Man achtet auf fettreduzierte Nahrung, kümmert sich um seine Work-Life-Balance, kauft sich einen iPod. Und wer sich keinen iPod leisten kann, kauft einen günstigeren MP3-Player. Aber auch der soll hauptsächlich gut aussehen und sich mit dem Bild vertragen, das man gerne abgeben will.

sueddeutsche.de: Und was ist mit Kleidung? Mit einer Mode drückt man doch auch einen eigenen Geschmack aus.

Distelhorst: Auch Mode ist heute völlig beliebig. Nehmen Sie zum Beispiel die T-Shirts mit Che-Guevara-Motiv. In den siebziger Jahren war das ein politisches Statement, man zeigte sich solidarisch mit dem Kommunismus in Kuba. Wer das T-Shirt heute trägt, tut das, um hip zu sein. Auch der 25-jährige Grafikdesign-Student, der die FDP wählt, weil sie Freiberufler unterstützt. Das Konterfei ist kein Zeichen mehr, sondern nur noch revolutionärer Schick.

sueddeutsche.de: Ähnlich wie bei den Punks?

Distelhorst: Ja, bei Punk ist das auch so: Das war mal ein politischer Versuch, sich abzusetzen. Heute gibt es in jeder Boutique Hosen mit Löchern zu kaufen und überall sieht man den Iro-Haarschnitt. Eine politische Position steckt nicht dahinter.

sueddeutsche.de: Also sind wir alle Verlierer im Lifestyle-Spiel?

Distelhorst: Die Überzeugungen jedenfalls werden bedeutungslos. Es ist hip, bestimmte Ansichten zu haben. Es ist hip, gegen die Norm zu verstoßen. Es ist hip, sich als bisexuell zu outen - Hauptsache, man sieht gut dabei aus.

sueddeutsche.de: Geht damit auch der Individualismus verloren? Wie kann ich zeigen, dass ich anders bin als andere?

Distelhorst: Anders sein will jeder. Gleich sein will keiner. Also sollte man gleich sein wollen, so verrückt es klingt. Aber nicht wie die breite Masse - man sollte sich Menschen suchen, die ähnlich denken wie man selbst, mit ähnlichen Überzeugungen. Dann reiht man sich gerne ein, dann ist man gerne Konformist.

sueddeutsche.de: Also ist man am Ende so oder so gleich wie andere?

Distelhorst: Ja. Aber diese anderen hat man sich wenigstens selbst gesucht. Dann hat man eine Gleichheit mit Bedeutung. Etwa wenn man sich der progressiven Gruppe von kritischen linken Intellektuellen anschließt.

sueddeutsche.de: Und dann nur noch schwarze Kapuzenpullis anzieht?

Distelhorst: Da muss man natürlich aufpassen. Wenn man nur cool auf Demos rumhängt, Zigaretten raucht und Bier trinkt, nennt man das "radical chic". Das ist dann kein Bekenntnis - sondern wieder nur bedeutungsloser Lifestyle.

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