Deutschlands erstes Topmodel:Veruschka, die nackte Gräfin

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Sie war das Model in "Blow Up" und wurde über Nacht weltberühmt. Heute wird Vera "Veruschka" Gräfin Lehndorff, das erste deutsche Topmodel, siebzig Jahre alt.

Holger Liebs

Im heißen Sommer des Jahres 2001 posierte sie, damals 62 Jahre alt, als lebendes Kunstwerk, in den aufgelassenen Werften der ehemaligen venezianischen Flotte, als Abbild ihrer selbst: Der Künstler Francesco Vezzoli, der ein Faible für vergessene Diven und die Ruinen ihrer ehemaligen Star-Identität hat, stellte Vera Gottliebe Anna Gräfin Lehndorff auf der Kunstbiennale in Venedig aus; man sah sie starr und stumm und melancholisch blickend dasitzen - oder am Stickrahmen mit ihrem eigenen Abbild werkeln.

Sie war zeitweise eines der bestbezahlten Models der Welt und zierte 800 Magazin-Cover: Vera Gräfin Lehndorff, die 1966 mit dem Film "Blow Up" über Nacht berühmt wurde. (Foto: Foto: dpa)

Dieses versponnene Tun hatte etwas Verzweifelt-Trauriges, als hinge sie in einer Endlosschleife fest: Denn eigentlich hat die Frau, die in den Sechzigern zu Germany's First Topmodel wurde, nie etwas anderes getan, als sich ständig als Bild ihrer selbst neu zu erfinden.

Als Kind, sagt sie, habe sie klein, frech und sportlich sein wollen. Sie war jedoch mit 14 schon 1,83 Meter groß, gesegnet mit endlosen Beinen und einer tiefen Stimme. Sie stammt aus Ostpreußen, Hitlers Wolfsschanze lag in der Nähe, Außenminister von Ribbentrop war ständiger Gast auf Schloss Steinort. Der Vater, Heinrich Graf Lehndorff, war ein Widerständler des 20. Juli und wurde erhängt, die Familie kam in Sippenhaft, in der Schule, einer von insgesamt 13, nannte man Vera die Tochter eines Mörders.

In New York dann sah man, Anfang der sechziger Jahre, ein zeitlupenartig, katzenhaft gleitendes Wesen im schwarzen Catsuit, unnahbar, sie nannte sich selbst "Veruschka", ohne Titel und Nachnamen, und ihre Biographie hatte sie umgedichtet. 1,86 Meter Coolness. Ihre Füße waren ihr zu groß, also ließ sie sich die großen Zehen verkürzen. "Es war eine Befreiung, eine Geschichte, eine Gestalt zu erfinden", sagte sie später.

Die legendäre Vogue-Chefredakteurin Diana Vreeland wurde auf Veruschka aufmerksam - bis 1970 soll sie dann 800 Zeitschriftencover geziert haben. Avedon hat sie fotografiert, Newton, Irving Penn, Cecil Beaton, Peter Beard, Peter Lindbergh, die berühmtesten Fotografen des 20. Jahrhunderts.

Traum des Verschwindens

Doch die entscheidenden Sekunden ihrer Karriere waren 1966 zu sehen, in Michelangelo Antonionis "Blow Up", sie spielte auch hier nicht Vera, sondern Veruschka, eine Stele fast wie von Giacometti, im Londoner Rätselspiel über Bild und Abbild, Wahrheit und Lüge und über einen Mord, der nur auf einer Fotografie zu sehen ist. Der Fotograf spricht sie an, verwundert, denn er wähnt sie in Paris, und sie antwortet, ihr einziger Satz in dem Film: Ich bin in Paris.

Dann folgt der berühmte Foto-Shoot mit David Hemmings, ein Liebesakt mit der Kamera, eine Art Tanz zwischen Künstler und Modell, der dann plötzlich abbricht, die schöne Illusion zerstörend. Sie lebte damals im Hotel, in New York, kannte Bacon und Warhol, Dalí hüllte sie in Rasierschaum.

Doch Veruschkas Kühle, "die Form, die ich mir gewählt habe", mit Greta Garbo als Vorbild, wurde ihr später zur Last, in Amerika nannte man sie "Ubermensch". Diana Vreeland warf ihr den "kühlen Blick, dieses ,Looking into the future‘" vor, und Vivienne Westwood sagte einmal über sie, als Model sei sie zu präsent, "sie ist kein Medium für unsere Phantasie."

In Veruschka kam wieder Vera zum Vorschein, sie häutete sich ein weiteres Mal, machte in Sachen Körperkunst, es erschienen Mimikry-Fotos, in denen sie den Ton der Kieselsteine, die Farben verwitterter Hausfronten annimmt. Das Verschwinden, auch so ein Traum von ihr, wie das Posieren als Mann: 1984 mimt sie in Ulrike Ottingers "Dorian Gray im Spiegel der Boulevardpresse" den Dandy, der nicht altern will.

Dann, 40 Jahre nach "Blow Up", ein Cameo-Auftritt in "Casino Royale", dem Bond-Prequel mit Daniel Craig. Erst vor ein paar Jahren ist sie nach Berlin gezogen, in die Stadt, in der ihr Vater ermordet wurde. In ihrem Pass steht: "Performance Artist". An diesem Donnerstag wird Vera Gräfin Lehndorff 70 Jahre alt.

© SZ vom 14.05.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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