Deutschland:"Man stirbt nicht mehr an Aids"

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Die Zahl der HIV-Neuinfektionen hat einen neuen Höchststand erreicht. Ein Grund ist, dass die Angst vor der Erkrankung und damit vorm Sterben kleiner geworden ist. Zu Recht, sagt Hans Jäger vom Kuratorium für Immunschwäche in München.

Interview: Tanja Rest

SZ: Die meisten Menschen kennen die Risiken von HIV - warum also dieser Höchststand bei den Neuinfektionen?

Jäger: Drei Faktoren. Zum Ersten ist die anonyme statistische Erfassung verbessert worden - es werden einfach mehr Infizierte registriert als bisher. Zum Zweiten findet das Testangebot niedrigschwelliger statt, man kann sich heute sogar auf schwulen Straßenfesten testen lassen, und auch das treibt die Zahlen in die Höhe. Von etwa der Hälfte der Neuansteckungen wissen wir also nur wegen der verbesserten Erkennungsmethoden. Der dritte Faktor: Es stecken sich tatsächlich mehr Menschen an als bisher.

SZ: Damit stellt sich weiterhin die Frage nach dem Warum.

Jäger: Lassen Sie uns noch kurz bei dem Zahlenmaterial bleiben, denn da findet man auch positive Dinge. Zum Beispiel werden HIV-Infizierte heute immer früher erfasst. Auch das trägt zu den hohen Zahlen bei, aber diese Menschen können so auch früher medizinisch betreut werden, haben also viel bessere Perspektiven als noch vor zehn Jahren. Und: Der Anteil der Frauen bei den Neuinfizierten ist seit 2001 deutlich gesunken, von 26 Prozent auf 19 Prozent.

SZ: Warum stecken sich aber immer noch so viele Schwule an, die wissen müssen, dass sie zur Risikogruppe gehören?

Jäger: Ein Grund ist, dass die Angst vor der Erkrankung und damit vorm Sterben kleiner geworden ist. Wie ich meine zu Recht, denn man stirbt heute nicht mehr an Aids. Aids ist eine schwere Erkrankung, aber sie ist anders als früher gut behandelbar. Die schwulen Männer haben über 15 Jahre sehr intensiv Safer Sex betrieben. Aber das funktioniert nur über eine bestimmte Zeit, denn Sexualität heißt zunächst ja mal loslassen. Mit dem Nachlassen der Angst sind auch die Vorsichtsmaßnahmen zurückgegangen.

SZ: Wie erklären Sie sich, dass sich neuerdings auch immer mehr Menschen außerhalb der Großstädte infizieren?

Jäger: Bisher haben sich die Schwulen gern in die Städte zurückgezogen, weil sie dort besser integriert waren als auf dem Land. Hinzu kam, dass man als HIV-Infizierter immer befürchten musste, dass die Erkrankung im Dorf bekannt wird. Mit der kleiner werdenden Angst vor der Infektion hat es nun möglicherweise auch auf dem Land einen Nachholbedarf bei Nicht-Safer-Sex gegeben.

SZ: 81 Prozent mehr Neuinfizierte als im Jahr 2001, das klingt dramatisch. Sieht man sich nun die absoluten Zahlen an, dann haben sich im vergangenen Jahr 2611 Menschen angesteckt. Das wiederum sind nicht besonders viele, oder?

Jäger: Es ist tatsächlich so: HIV betrifft weniger als ein Promille der Bevölkerung - Volkskrankheiten wie Diabetes etwa zehn Prozent. Nun kann man sagen, Aids hat nicht genügend Aufmerksamkeit. Man kann aber auch sagen: Für eine so seltene Erkrankung hat Aids eine ganz gehörige Publicity. Deutschland ist eine glückliche Insel. Jede Infektion ist eine zu viel, keine Frage. Aber wir liegen im europäischen Vergleich im unteren Drittel, massiv mehr Infektionen gibt es in Osteuropa und natürlich in Afrika. Es ist richtig, 81 Prozent hört sich schlimm an. Aber die Absolutzahlen bleiben klein.

SZ: Kein Grund zur Aufregung?

Jäger: So ist es. Man muss sagen, Prävention ist kein Ruhmesblatt im Augenblick in Deutschland. Aber im Bereich der Behandlung sind wir auf einem guten und professionellen Weg.

© SZ vom 2. Juni 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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