Daheim:"Ich wohne anders"

Lesezeit: 4 min

Im Tierpark neben den Braunbären oder direkt an der Autobahn? Im Camper oder auf einem Boot? Als Familie auf acht Quadratmeter wohnen? Hier erzählen vier Kinder von ihrem ungewöhnlichen Zuhause.

Protokolle: Hannah Weber

Luis, 9

(Foto: Privat)

"Wenn ich aus dem Fenster schaue, kann ich die Braunbären beobachten, und gleich neben uns wohnen die Rhesusaffen. Mein Zuhause ist nämlich im Heidelberger Zoo. Mein Papa arbeitet hier im Elefantenrevier, deshalb durften wir in eine Wohnung direkt auf dem Tierparkgelände ziehen. Wenn ich nach der Schule draußen spielen will, gehe ich meistens auf den großen Spielplatz oder spaziere quer durch den Zoo und schaue mir die Tiere an oder versuche sie zu zeichnen. Am liebsten beobachte ich die Vögel, das sind meine Lieblingstiere. Deshalb probiere ich auch, ihre Laute zu lernen. Mit dem Adler klappt das schon ganz gut. Der antwortet mir sogar. Aber was er sagt, das verstehe ich leider nicht. Abends oder bei schlechtem Wetter ist es besonders toll. Da habe ich manchmal den ganzen Zoo für mich. Wenn ich ohne Tierpfleger oder meinen Papa unterwegs bin, muss ich auf den Wegen bleiben, so wie alle Besucher. Aber manchmal darf ich meinem Papa bei der Arbeit helfen. Dann putze ich die Gehege oder fülle die Heunetze für die Elefanten. Das macht total Spaß. Wenn ich neue Freunde kennenlerne, glauben sie mir oft nicht, dass ich mitten im Zoo wohne. Dann lade ich sie zu mir ein. Ich hole sie am Haupteingang ab und winke sie einfach durch. Das finden sie dann schon mal ziemlich cool."

Elias, 15

(Foto: privat)

"Mein Papa ist Mesner in einer Kirche. Er kümmert sich um alles, was so anfällt: Kirche schmücken und Gottesdienste vorbereiten zum Beispiel. Weil es für ihn gut ist, schnell zur Stelle zu sein, wohnen wir einfach direkt neben der Kirche. Die Kirche steht aber nicht in der Stadt, sondern an der Autobahn. Es ist nämlich keine normale Kirche, sondern eine Autobahnkirche. Es kommen zwar auch ein paar Leute aus der Umgebung zum Gottesdienst, aber vor allem sind es Lkw-Fahrer oder andere Menschen auf Durchreise. Sonntags helfe ich eigentlich immer beim Gottesdienst, lasse die Besucher rein und passe auf, dass die Corona- Regeln eingehalten werden. Neben einer Autobahnkirche zu wohnen kann manchmal schon etwas nervig sein: Die Autobahn ist lauter als andere Straßen, und die Lkw-Fahrer auf dem Rastplatz machen nachts manchmal ganz schön Krach. Außerdem werfen viele Leute ihren Müll einfach auf den Boden und manche pieseln ins Gebüsch. Hier zu wohnen hat aber auch was Tolles: Wenn es einem mal schlecht geht, man traurig ist oder einfach mal für sich sein will, ist man ganz schnell in der Kirche. Dort ist es ruhig, und man kann ungestört beten. Das macht den Müll und Krach auf dem Parkplatz wieder wett."

Sophie, 11

(Foto: Moritz Thumann)

"Seit fast zwei Jahren sind wir in einem Wohnwagen unterwegs und reisen quer durch Europa. Erst mal war das schon krass: Wir mussten viel loswerden. Schließlich haben wir jetzt nur noch acht Quadratmeter Platz. Für uns und alles, was wir zum Leben brauchen. Aber daran gewöhnt man sich. Ich teile mir ein Bett mit meinem kleinen Bruder, aber die meiste Zeit verbringe ich allein darin. Es ist wie ein kleines Zimmer, ich kann einen Vorhang zuziehen und dann habe ich meine Ruhe. Das ist besonders bei schlechtem Wetter gut, da kann die Stimmung im Wohnwagen nämlich manchmal kippen. Dann mache ich es mir mit einem Hörbuch gemütlich und niemand stört mich. Aber eigentlich sind wir sowieso viel draußen unterwegs. Meistens parken wir irgendwo am Strand, und wenn es uns gut gefällt, bleiben wir auch mal zwei Monate, wenn nicht, suchen wir nach einer Nacht einen neuen Ort. Zur Schule gehe ich nicht, geht ja gar nicht, wenn man ständig unterwegs ist. In Deutschland sind wir nicht gemeldet. Fast überall sonst ist das sogenannte Homeschooling erlaubt. Und ich lerne sowieso die ganze Zeit: Beim Backen berechne ich Zutaten, ich lese viel über die Orte, an denen wir sind, gerade interessiere ich mich besonders für griechische und nordische Mythologie. Im Sommer waren wir zwei Monate in der Heimat bei unserer Oma und haben in einer Wohnung gelebt. Es war natürlich schön, meine Freunde und Familie wiederzusehen, aber nach ein paar Wochen dachte ich: Können wir jetzt bitte wieder los?"

Alegra, 10

(Foto: Privat)

"Mein Zuhause heißt Pachamama. Das bedeutet Mutter Erde und ist der Name des Schiffs, auf dem wir wohnen. Ich wohne anders als andere. Schon seit meiner Geburt segle ich mit meiner Familie um die Welt. Unser Ziel: auf den Klimawandel aufmerksam machen. Gerade haben wir in Norwegen angelegt und bleiben hier auch eine Weile, um unsere nächste Expedition vorzubereiten. Deshalb gehen meine fünf Geschwister und ich auch gerade hier zur Schule. Wenn wir länger auf Expedition sind, unterrichten uns unsere Eltern oder wir haben Lehrer mit an Bord, die auf unserem Schiff mitfahren. Wenn wir einmal losgesegelt sind, kann es ziemlich lange dauern, bis wir wieder Land sehen. Einmal mussten wir acht Monate ohne Supermarkt auskommen. Da haben wir viel Fisch gegessen und hatten ein kleines Gemüsebeet auf dem Schiff. Hier an Bord gibt es viel zu tun, da müssen auch wir Kinder mit anpacken. Tagsüber nehme ich manchmal Proben für ein Forschungsprojekt über Mikroplastik, und in der Nacht müssen wir alle abwechselnd Nachtwache halten. Da müssen wir vor allem aufpassen, dass wir nicht in Eisberge reindonnern und das Schiff kaputtgeht. Wenn es mal brenzlig wird, klopfe ich von außen an Papas Kabine: Drei Mal klopfen heißt: Hilf mir mal. Sechs Mal klopfen heißt: Alarm! Dann hat Papa keine Zeit mehr, sich was Warmes anzuziehen und muss im Schlafanzug rauskommen. Auch wenn wir im Schiff nicht so viel Platz haben, liebe ich das Leben auf dem Wasser. Wenn wir unterwegs sind, ist jeder Tag ein Abenteuer, und wir lernen viele Menschen und Kulturen kennen. Aber das Abschiednehmen, das ist doch immer wieder traurig."

© SZ vom 30.10.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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