Big Wave Surfen:Keine Zeit für Angst

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"Es fühlt sich an, als würde einem der Rücken brechen und ein Bein ausgerissen" - wer in Monsterwellen stürzt, wird brutal bestraft. Jetzt wird der Meister der "Big Waves" gekürt.

Stephan Bernhard

Ein Jahr lang waren die besten Big Wave Surfer der Welt auf der Suche nach der imposantesten Welle. Vor den Küsten von Kalifornien, Frankreich, Australien und Hawaii ritten sie haushohe Wasserberge und riskierten dabei ihr Leben.

Big Wave Surfen: Man stelle sich vor, hinter einem bricht ein zehnstöckiges Hochhaus zusammen. (Foto: Foto: BillabongXXL.com)

Am Ende winken den Wagemutigen Adrenalinschübe, die Tage andauern, der Neid der Konkurrenten und mit etwas Glück 50.000 Dollar. Am 11. April werden im kalifornischen Anaheim die Billabong XXL Awards vergeben. Die dortige Jury wertet jährlich eingereichte Fotos und Videoaufnahmen von den gerittenen Riesenwellen aus.

Der Australier Ross Clarke-Jones hat sich der Suche nach den Monsterwellen verschrieben. Seit Jahren ist der 41-Jährige bei den XXL Awards dabei, bisher ohne Erfolg. Seine diesjährigen Chancen rechnet er sich nicht allzu hoch aus: "Nur 15 Meter", sagt er über seine beste Welle im vergangenen Jahr. Andere Surfer hatten mehr Jagdglück und ritten fast doppelt so hohe Wasserwände ab. Dennoch zählt Clarke-Jones weltweit zu den berühmtesten Extrem-Surfern.

sueddeutsche.de: Wie fühlt es sich an, auf Wasserbergen von der Größe eines zehnstöckigen Hochhauses zu surfen?

Clarke-Jones: Die Wellen sehen unwirklich aus. Es dauert so lange, bis die brechende Wellenlippe auf das Wasser aufschlägt, dass es wie eine Zeitlupenaufnahme erscheint. Als sich zum ersten Mal eine 30 Meter hohe Wasserwand vor mir aufbaute, war ich wie erstarrt, so beängstigend war der Anblick. Aber als ich diesen Berg aus Wasser runterraste, wurde ich so schnell, dass kein Platz mehr für Angst war. Ich war absolut konzentriert, um keinen Fehler zu machen. Nach dem Ritt war mein Körper dann mit Adrenalin so vollgepumpt, dass das Gefühl tagelang anhielt.

sueddeutsche.de: So hohe Wellen findet man nicht oft - wann war Ihre bisher größte Welle?

Ross Clarke-Jones: Das war am 28. Januar 1998 auf Hawaii - dem "Biggest Wednesday", wie der Tag in der Surfszene genannt wird. Schon am Vortag gab der Katastrophenschutz Hawaii den "Code Black" aus. Wenn das passiert, sind alle Strände gesperrt und eigentlich darf niemand auch nur in die Nähe des Wassers. Am nächsten Morgen trafen dann die höchsten Wellen seit mehr als einem Jahrzehnt auf die Inseln und brachten den Ozean zum Kochen. Nur ein Riff weit vor der Küste sah surfbar aus: Outside Log Cabins. Ich war da draußen und ritt fast 30 Meter hohe Brecher ab.

sueddeutsche.de: Wie fühlt sich ein Sturz in diesen tosenden Massen an?

Clarke-Jones: Solche Wellen bestrafen hart und brutal. Man sagt immer, dass man unter Wasser entspannt bleiben muss - aber so funktioniert das nicht. Ich ziehe immer Arme und Beine eng an den Körper, rolle mich zu einer kleinen Kugel zusammen und lasse mich ohne Gegenwehr von der puren Kraft der Welle herumreißen. Das fühlt sich an, als ob mein Rücken in zwei Teile gebrochen und mir gleichzeitig ein Bein ausgerissen wird. Auf Hawaii ist wenigstens das Wasser warm. Kaltes Wasser, wie in Nordkalifornien, fühlt sich irgendwie härter an, und die Kälte raubt einem zusätzlich Atemluft.

sueddeutsche.de: Wie lange ist man unter Wasser gefangen?

Ross Clarke-Jones jagt rund um den Globus nach den größten Wellen (Foto: Foto: Quicksilver)

Clarke-Jones: Mit den neuen Rettungswesten kommt man nach 30 oder 40 Sekunden wieder an die Oberfläche. Früher dauerte ein Waschgang bis zu zwei Minuten, das ist eine lange Zeit. Zuerst versuchst du ruhig zu bleiben, nach einer Minute dauert es aber schon etwas zu lange. Dann kommt ein bisschen Panik auf, es wird schlimmer, und irgendwann denkst du, du ertrinkst. Dann kommst du hoch und über dir bricht gerade die nächste Welle, während du nach Luft schnappst. Manche Taucher können die Luft acht Minuten lang anhalten, aber die liegen ruhig im Wasser und werden nicht "verprügelt".

sueddeutsche.de: Wie bereiten Sie sich auf solche Situationen vor?

Clarke-Jones: Man kann sich nicht vorbereiten. Natürlich bin ich topfit, trainiere mit Gewichten und mache Ausdauertraining. Aber die Luft anzuhalten übe ich nicht, das bringt auch nichts. Man muss nur seine Panik kontrollieren können, denn sonst zögert man im entscheidenden Moment - und wird "gewaschen". Furcht erzeugt man selbst in seinem Kopf, sie ist nicht real. Viele haben Angst vor großen Wellen, ich nicht. Ich habe Spaß beim Big Wave Surfen.

sueddeutsche.de: Haben Sie nie Angst?

Clarke-Jones: Doch, einmal beim Surfen an einem abgelegenen Riff in Australien gab es viele Haie, große Weiße - das war ziemlich unheimlich. Ich wartete auf dem Jetski bis eine Welle kam, bin dann kurz ins Wasser, habe gesurft und mich sofort nach dem Ritt wieder von dem Jetski einsammeln lassen. Dort wollte ich keine unnötige Sekunde lang im Wasser sein.

sueddeutsche.de: Vor einigen Jahren, als Surfer noch auf dem Board liegend in die Wellen paddelten, galt es als unmöglich eine 20-Meter-Welle abzureiten. Dann kam man auf die Idee, sich von Jetskis in die Wellen ziehen zu lassen und plötzlich wurden Wasserberge von 30 Metern Höhe und mehr gesurft. Gibt es überhaupt eine Grenze nach oben?

Clarke-Jones: Je größer eine Welle ist, desto schneller ist sie auch. Wenn man nur mit den Armen paddelt, kommt man schnell an seine Grenzen. Daher war es früher unmöglich, richtig große Wellen zu surfen. Von einem Jetski wurde ich aber schon mit 120 Stundenkilometern gezogen und es war kein Problem, die Kontrolle zu behalten. Keine Welle auf der Welt ist so schnell und deshalb gibt es heute keine Grenzen mehr: 40 Meter, 50 Meter oder mehr. Aber solch gewaltige Wasserberge kann nur ein wahrer Monstersturm entfesseln und so ein Naturereignis passiert vielleicht einmal in zehn Jahren. Das Problem ist daher, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.

sueddeutsche.de: Wie muss man sich die Wellenjagd vorstellen?

Clarke-Jones: Ich beobachte ständig die Wetterlage auf den Ozeanen, wenn sich irgendwo auf der Erde ein kräftiges Sturmtief zusammenbraut, wird es interessant. Mit einer Vorwarnzeit von einer Woche kann man dann erkennen, ob die Chance auf große Wellen besteht, und drei Tage vorher gibt es eine genaue Vorhersage. Manchmal wird die Zeit knapp, weil ich von Kalifornien nach Europa oder von Tahiti nach Australien fliegen muss, um die Wellen zu erwischen.

sueddeutsche.de: Dann muss man schnell packen und los geht's?

Clarke-Jones: Meine Taschen stehen immer bereit.

Ross Clarke-Jones wurde am 6.6.1966 in Australien geboren, brach mit 16 die Schule ab und entdeckte mit 20 seine große Leidenschaft: das Big Wave Surfen. Er zog an die Gold Coast - Australiens Surferparadies - und begann an seinem Traum vom Leben als Surfprofi zu arbeiten. Mit Erfolg. Heute lebt er mit seiner Familie noch immer in Australien, wenn er nicht - finanziert von Sponsoren - irgendwo auf der Welt eine Monsterwelle jagt.

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