40 Gründe gegen Kinder:Kinder? Nein danke!

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Kinder sind etwas Wundervolles, sie sind der Augenstern ihrer Eltern, die Basis unserer Gesellschaft. Soweit die Theorie. In der Praxis, davon ist Corinne Maier überzeugt, gibt es viele Gründe, dem Nachwuchs abzuschwören - vierzig an der Zahl.

Mirja Kuckuk

"No Kid", die Argumente-Sammlung der französischen Publizistin und Buchautorin, stürmte die Bestsellerlisten ihrer Heimat, dem Vorzeigeland neben Schweden, in dem Kind und Karriere so vermeintlich leicht zu vereinbaren sind und die Geburtenrate aus Sicht von Demographen und Politik beneidenswert hoch ist. In Frankreich werden 42 Prozent der unter Zweijährigen in Krippen betreut, hierzulande sind es gerade mal 14 Prozent. Pro oder contra Kind ist eine Frage, die sich jede Frau - und jeder Mann in einer Beziehung - einmal stellt und die in unserer Leistungsgesellschaft nicht leicht zu beantworten ist.

"No Kid": Corinne Maier, zweifache Mutter, träumt von einer kinderlosen Gesellschaft. (Foto: Foto: Michalon)

Dennoch verlangt der Staat, so kritisiert Corinne Maier, ein zweifelsfreies "Ja, ich will", und mehr noch, "ja, ich kann" von Paaren, egal in welchen Lebensumständen. Mit "No Kid" schreibt Maier eine Polemik gegen eine Gesellschaft, in der Kinderlosigkeit als Egoismus gilt und Nicht-Eltern in Rechtfertigungsnot bringt. Es sei deshalb an der Zeit, den Druck von Paaren zu nehmen, nur mittels Kind anerkanntes Mitglied der Gesellschaft zu sein. Die 830.000 Geburten in Frankreich im Jahr 2006 (in Deutschland waren es 680.000 bei einem Drittel mehr Einwohner), führt die Autorin auf einen Kinder-Kult zurück, forciert durch den Staat, der sich in seiner Form durch die Überalterung der Gesellschaft bedroht sieht.

Kampf dem Kinder-Kult

Kinderschwund kann Corinne Maier angesichts mittlerweile überfüllter französischer Kinderkrippen hingegen ganz und gar nicht ausmachen und wagt es, mit einem gesellschaftlichen Tabu zu brechen: Kritik an Kindern. Die Mutter zweier Kinder (10 und 13 Jahre) will dem euphemistischen Baby-Hype Einhalt gebieten, indem sie Frauen mit Kinderwunsch "demoralisiert" und Eltern, die ähnlich denken wie sie selbst, es sich aber nicht zu sagen trauen, das schlechte Gewissen nimmt.

Fünfzig Prozent Provokation und fünfzig Prozent von der Allgemeinheit gedachte, aber nicht ausgesprochene Meinung sieht Maier hinter ihrer Generalkritik, die bei der Schwangerschaft ansetzt und die Stadien des Familiendaseins durchspielt - als überzogenes Horrorszenario. Mit großer Freude an der Provokation wird nicht nur mit der Gesellschaft, sondern vor allem mit der Frau und dem Kind ins Gericht gegangen. Die Frau in prä- und postnatalem Zustand ist demnach ein deformiertes Wesen, bei dessen Anblick es keinem Mann zu verdenken sei, wenn ihm die Lust vergehe. Mit der ihrer Attraktivität beraubten Frau an sich empfindet die Autorin wiederum tiefes, nachgefühltes Mitleid.

Kinder seien keineswegs liebenswürdige Wesen, sondern kleinwüchsige Terroristen, "eine Sorte Zwerg von angeborener Brutalität". Dieser Tabubruch ist allerdings nicht neu - die Autorin pflichtet vielmehr ihrem Kollegen Michel Houellebecq bei. Und wenn aus diesen Zwergen junge Erwachsene werden, bessere sich das Leben der Erzeuger keinesfalls, vielmehr steige die Scham für den nicht selten misslungenen Nachwuchs, der alle Erziehungsversuche per se zunichte macht. Wer sich bei derlei harscher Kritik vor den Kopf gestoßen fühlt, muss sich die warnenden Worte der Autorin zu Beginn des Buches wachrufen: Sie will demoralisieren.

Müde Gründe

Bleibt die Frage, ob ihre Strategie die Richtige ist. Zweifelsfrei gibt Maier den Anstoß zu einer vernachlässigten oder bewusst vermiedenen Diskussion. Der Titel ihres Buches macht durchaus neugierig auf viele weitere Argumente gegen das Vater-Mutter-Kind-Modell, außer den sich aufdrängenden - wie der "Kind oder Karriere"-Frage, die Maier selbstverständlich auch thematisiert. Die vierzig Gründe, die der Baby-Manie ein Ende bereiten sollen, überzeugen aber nicht immer. Kein Mensch ist gezwungen, Kindergeburtstage im Fast-Food-Restaurant zu feiern, das Euro-Disney-Land zu besuchen oder gar eine "mèredeuf", eine sich gänzlich aufopfernde Mutter, zu werden.

Die Autorin träumt gar von einer kinderlosen Gesellschaft, in der Erwachsene tun und lassen können, was sie wollen. Doch hat man bereits nach einem Dutzend Gründen den in seiner Schärfe und Wiederholung leicht ermüdenden Tenor begriffen: Kinder bedeuten das Ende persönlicher Freiheit. Und so kann, wenn der Ton derart derb ist, die gewünschte Reaktion ins Gegenteil umschlagen.

Am Ende bleibt aber die Idee des Tabubruchs. Dieser progressive Vorstoß ist zu begrüßen - auch hierzulande, wo eine Familienministerin mit sieben Kindern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf vorlebt, aber die optimalen Rahmenbedingungen nicht zu schaffen vermag. "No Kid" erscheint in Kürze auf Deutsch und vielleicht führt es bald auch hiesige Verkaufslisten an.

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