Zwangsenteignete Kunst:Die Welle der Begeisterung, der Schrei des Entsetzens

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Die Sotheby's-Auktion von acht Gemälden Edvard Munchs aus der Sammlung des Norwegers Fred Olsen wirft einige Fragen auf.

Stefan Koldehoff

Ein Scoop ist die Auktion, die Sotheby's für den 7. Februar angekündigt hat, allemal. Bedeutende Werke des Norwegers Edvard Munch kommen nicht häufig in den Handel, und wenn, dann erzielen sie gleich 7,7 Millionen Dollar wie 1996 eine Fassung der bekannten "Mädchen auf einer Brücke".

Wenn das Auktionshaus nun gleich acht Gemälde aus der Sammlung des Reeder-Erbens und Milliardärs Fred Olsen anbietet - darunter zwei der von Sammlern und Museen gesuchten Selbstbildnisse Munchs und ein Bild mit Motiven aus seinem zentralen Bilderzyklus "Lebensfries" -, wird der Schätzpreis von insgesamt rund zwölf Millionen Pfund sicher überboten werden. Die spektakuläre Auktion, für die eine Tour der Bilder durch deutsche Sotheby's-Büros werben wird, führt aber auch siebzig Jahre zurück in die deutsche Geschichte und zu der Frage, wie der Umgang mit der von den Nationalsozialisten als "entartet" verfemten Kunst heute zu bewerten ist.

Einige der von Olsen eingelieferten Munch-Bilder hingen bis 1937 in deutschen Museen oder Privatsammlungen. Das auf 700000 Pfund geschätzte Gemälde "Pferde" etwa gehörte bis 1937 zum Bestand des Essener Folkwang-Museums. Der auf 3,5 Millionen Pfund taxierte "Sommertag", der einige von Munchs bekanntesten Motiven und Themen vereint, hing bis zur Beschlagnahmeaktion "Entartete Kunst" in der Berliner Nationalgalerie, wurde später von Hermann Göring annektiert und zu Geld gemacht. Von einem dritten Bild, das heute Olsen gehört, musste sich 1938 das Kölner Wallraf-Richartz-Museum trennen.

Die Bilder aus Essen und Berlin erwarb der norwegische Kunsthändler Harald Holst Halvorsen direkt von den Nationalsozialisten. In seinem Besitz befand sich nach 1937 ein großer Teil der 82 in Deutschland ausgesonderten Munch-Werke. Über seine eigene Galerie und über norwegische Auktionshäuser handelte Halvorsen mit der preiswert erstandenen Ware noch in den Fünfzigern. Einiges verkaufte er an Thomas Olsen, den Vater des jetzigen Einlieferers. Seinem zweiten Sohn Petter gehört auch die letzte der vier erhaltenen Fassungen des berühmtesten Munch-Bildes "Der Schrei", die sich heute noch in Privatbesitz befindet.

Munch und Olsen waren Nachbarn

Rechtlich ist an den Transaktionen zwischen Halvorsen und dem Deutschen Reich nichts auszusetzen, sie erfolgten nach damals geltenden Gesetzen und Erlassen. Kein deutsches Museum hat deshalb heute ein Recht, sein ehemaliges Bild zurückzufordern - Werke, die von 1937 an aus deutschen Museen entfernt wurden und heute in öffentlichen Kunsthäusern in Basel und Lyon, Zürich und Cambridge/Massachusetts, aber auch in unzähligen Privatsammlungen auf der ganzen Welt hängen.

Trotzdem hat der Direktor des Osloer Zentrums für Holocaust-Studien, Odd Bjørn, die Olsen-Familie schon vor drei Jahren aufgefordert, die aus Deutschland stammenden Bilder aus moralischen Gründen an ihre ehemaligen Besitzer zurückzugeben: "Es ist verwerflich", argumentierte er nun noch einmal, "auf diese Weise zwangsenteignete Kunst billig zu erwerben".

Sotheby's schreibt Thomas Olsen eine "Schlüsselrolle bei der Rettung von Munchs Werken vor der Zerstörung" zu und weiß sogar, dass Munch selbst Olsen gebeten habe, Bilder aus Deutschland aufzukaufen. Einiges spricht für diese These: Der Maler und der Sammler waren Nachbarn im Badeort Hvitsten, und Olsen sammelte seit den 1920er Jahren Munchs Werke. Es gibt allerdings auch Zweifel an den uneigennützigen Motiven. So erwarb Olsen eine Reihe von Werken aus Deutschland erst ein bis zwei Jahre, nachdem sie der Händler Halvorsen von den Nationalsozialisten übernommen hatte.

Außerdem begründete der Sammler, als er 1939 Munchs weltberühmtes, 1937 aus der Dresdener Gemäldegalerie beschlagnahmtes Gemälde "Das kranke Mädchen" der Londoner Tate Gallery schenkte und so vor der herannahenden deutschen Besatzung in Sicherheit brachte, diesen Schritt nicht mit der Gefährdung des Bildes in Deutschland. Olsen erklärte später, die Stiftung sei geschehen wegen seines "Wissens, aus Gesprächen mit Munch, dass er die Notwendigkeit spürte, in Westeuropa bekannt zu werden, vor allem nach der Ankunft von Hitler". Halvorsen hatte das Bild zuvor für 1000 Schweizer Franken von der deutschen Regierung gekauft.

Und dann ist da noch das Gemälde "Die Welle", das Sotheby's im Februar für 900000 Pfund anbieten wird. Nach 1931 zählte es zum Bestand der legendären Galerie Alfred Flechtheim mit Filialen in Berlin und Düsseldorf. 1940 tauchte es dann plötzlich bei einer Auktion in Oslo auf, wo Thomas Olsen es erwarb. Flechtheim ging 1933 ins Exil, 1937 starb er in London. Die Bestände seiner Galerie wurden geplündert und zum Teil bei einer Scheinauktion in Amsterdam unter mehreren Kunsthändlern aufgeteilt. Wo sich Munchs "Welle" zwischen 1931 und 1940 befand, kann auch der Auktionskatalog von Sotheby's nicht klären. Fragen bleiben also offen.

© SZ vom 5. Januar 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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