Zum Tode von Ingmar Bergman:Der subversive Pennäler

Lesezeit: 5 min

Er galt als Realist der Innerlichkeit. Seine minutiösen Darstellungen menschlicher Beziehungen waren beides zugleich: Report und Menetekel der Seele. Zeugnisse von Existenzängsten und sexuellen Obsessionen, die eher angeheizt als gedämpft wurden durch die Gefühle von Schuld und Schande.

Bernd Graff

Ernst Ingmar Bergman ist tot. Der am 14. Juli 1918 in Uppsala als Sohn eines lutherischen Pfarrers geborene Theater- und Filmregisseur "sei friedlich" eingeschlafen, so seine Tochter Eva.

(Foto: Foto: AFP)

Ingmar Bergman galt als einer der einflussreichsten Regisseure des 20. Jahrhunderts. Sein psychologischer Realismus, seine minutiöse Darstellung menschlicher Beziehungen waren beides zugleich: Report und Menetekel der Seele. Eher Dokumentationen einer zerrissenen conditio humana als Charakterstudien, Zeugnisse von Existenzängsten und sexuellen Obsessionen, die eher angeheizt als gedämpft werden durch die Gefühle von Schuld und Schande.

In seiner langen Karriere drehte Bergman etwa 40 Filme, darunter das 1982 mit vier Oscars gekrönte autobiographisch geprägte Werk "Fanny und Alexander" Bergman starb im Alter von 89 Jahren auf der Ostseeinsel Fårö.

Bergman kam zur Kunst, weil er vor dem Leben floh. Er entzog sich der strengen Erziehung durch die Flucht in eine Welt des gestaltbaren Scheins. Wer in einem Pfarrhaus aufgewachsen sei, sagte er einmal, beginne "früh, sich einen Blick hinter die Fassade von Leben und Tod zu verschaffen." Doch sein Blick blieb der des staunenden, auch naiven Kindes: "Die Welt der Kindheit", so Bergman, "ist immer die unterste Schublade meiner Werkstatt gewesen".

Im Sommer 1936 war Bergman als Austauschschüler im hessischen Dorf Haina Gast einer Pastorenfamilie und erlebte den Parteitag der Nationalsozialisten in Weimar, bei dem Adolf Hitler eine Rede hielt.

In seiner 1987 veröffentlichten Autobiographie "Laterna magica" schilderte Bergman dann seine kindliche Schwärmerei für die Deutschen, Richard Wagner und den Nationalsozialismus.

In dem 1999 veröffentlichten Buch "Heder och samvete" einer schwedischen Journalistin über die Kollaboration Schwedens mit dem Dritten Reich nahm er noch einmal Stellung dazu.

Nach dem Abitur in Stockholm brach er den Kontakt zu seinem Vater für lange Zeit ab und begann 1937 an der Stockholmer Universität mit dem Studium der Literatur- und Kunstgeschichte.

1940 verließ er aus Geldmangel die Universität, nahm einen Job als Drehbuchautor bei der Svensk Filmindustri an und wurde zugleich Regieassistent an der Königlichen Oper in Stockholm. Hier blieb er zwei Jahre lang und begann nach eigenem Bekunden erst, seine "Kunst zu erlernen".

1944 verfilmte Alf Sjöberg Bergmans Drehbuch "Qualen". Dieser Film erhielt gleich acht "Charlies", das schwedische Äquivalent zum Oscar. 1946 kam der Große Preis in Cannes dazu.

1944-1946 leitete Bergman das Stadttheater Helsingborg, wo er "Macbeth" als Demonstration gegen das faschistische Regime in Deutschland inszenierte. Danach inszenierte er in Hamburg Mozarts "Die Zauberflöte" und brachte eigene Stücke auf die Bühne. Intensiv beschäftigte sich Bergman seitdem mit dem frühen Psychologismus des August Strindberg, dessen Pointierungen sein gesamtes Theater- und Filmschaffen beeinflusste.

Als international gefragter Theaterregisseur mit über 120 Inszenierungen machte Bergman auch in München am Bayerischen Staatsschauspiel und in Salzburg Station, wo er etwa "Don Juan" inszenierte und gelegentlich auch Opern herausbrachte.

Als Filmregisseur und -autor prägte Bergman über drei Jahrzehnte lang die Entwicklung des erzählenden Autoren-Kinos. Mitte der vierziger Jahre drehte er seine ersten Filme, welche die Kämpfe, Missverständnisse und die Hoffnungslosigkeit im Leben von Jugendlichen inmitten der Erwachsenenwelt beschreiben. Sie schockierten durch ihren Pessimismus, durch Tod und Revolte, und fanden wenig Anklang beim schwedischen Publikum. Man habe Bergman damals, urteilte später der französische Meisterregisseur François Truffaut, "wie einen subversiven Pennäler" behandelt. Mit "Lächeln einer Sommernacht" (1955), der den Großen Preis in Cannes erhielt, und dem mehrfach ausgezeichneten Film "Wilde Erdbeeren" - über die Bedrohung des Individuums in einer entfremdeten Gesellschaft - schaffte er den internationalen Durchbruch. Jahrzehnte später noch bewerteten Fachkritiker "Wilde Erdbeeren" als das beste seiner Werke.

1960 erhielt Bergman die erste von insgesamt sechs Oscar-Nominierungen seiner Karriere (1963, 1974, 1977, 1979, 1984) für "Smultronstället" und brachte zwei Jahre später mit "Das Schweigen" auch einen kommerziell höchst erfolgreichen Film in die Kinos.

An dieser Geschichte einer Nymphomanin und den für die damalige Zeit ungewöhnlich freizügigen Liebesszenen entzündete sich ein Sturm der Entrüstung. Viele Kritiker wähnten in diesem Film die Vision einer gottlosen Welt und sahen die moralische Werteordnung gefährdet. Mit den beiden Filmen "Wie in einem Spiegel" (1961) und "Licht im Winter" (1963) bildet "Das Schweigen" Bergmans "Kammerspieltrilogie" um die zentralen Fragen nach Gott und dem Sinn des Lebens.

Bergman bevorzugte bei seiner Filmarbeit einen festen Mitarbeiterstamm, so wurden viele Schauspieler und Schauspielerinnen durch seine Filme berühmt, darunter Bibi Andersson ("Wilde Erdbeeren"), Ingrid Thulin ("Das Schweigen"), Liv Ullmann ("Persona", "Passion"), Eva Dahlbeck ("Das Lächeln einer Sommernacht"), Gunnel Lindblom ("Das Schweigen", "Das siebente Siegel"), Max von Sydow, Erland Josephson, Gunnar Björnstrand und Harriet Andersson. Auch Kameraleute wie Gunnar Fischer oder Sven Nykvist, der eine spezielle Lichtdramaturgie und poetische Phantasien in den überwiegend schwarzweißen Filmen zu entwickeln verstand, kamen zu internationalem Ansehen.

Nach "Das Schweigen" dauerte es elf Jahre, bis Bergman 1973 mit "Szenen einer Ehe" (auch hier wieder Liv Ullmann mit Erland Josephson) ein großer künstlerischer und kommerzieller Erfolg gelang. Diese vielfach ausgezeichnete Studie über den Zerfall einer Ehe kam auch als Fernsehfassung heraus und wurde 30 Jahre später als "Saraband" und den gleichen Hauptdarstellern fortgesetzt.

Eine "Lebenskatastrophe" bedeutete für Bergman, dass er im Februar 1976 während einer Theaterprobe zu Strindbergs "Totentanz" wegen Steuerhinterziehung verhaftet und angeklagt wurde. Er galt da als "Poet mit der Kamera", der sich mit Irdischem beschmutzt hatte. Bergman zog sich entnervt in eine psychiatrische Klinik zurück und verließ dann wegen der rüden, "machtbesessenen Bürokratie" im April 1976 das Land. Er verlegte den Wohnsitz nach München und inszenierte nunmehr am Residenztheater Strindbergs "Traumspiel" und "Fräulein Julie", Ibsens "John Gabriel Borkman" und "Nora", ferner Stücke von Tschechow, Molière, Shakespeare, Anouilh, Sartre, Camus und O'Neill. Sein 1976 gedrehter Film "Das Schlangenei", der den wachsenden Einfluss des Nationalsozialismus im Berlin der zwanziger Jahre aufzeigt, wurde von der Kritik zwar kontrovers diskutiert, aber nicht als überzeugend empfunden.

1977 erhielt Bergman die Große Goldmedaille der Schwedischen Akademie und kehrte ein Jahr später als Direktor des "Dramaten" nach Stockholm zurück. Im selben Jahr entstand mit "Herbstsonate" das Seelendrama einer Mutter-Tochter-Beziehung, das Ingrid Bergman und Liv Ullmann nach Kritikermeinung kongenial interpretierten.

Einen weiteren internationalen Kinoerfolg drehte Bergman mit der opulenten Familiensaga "Fanny und Alexander", die zugleich als "Summe seines Lebens als Filmemacher" gefeiert wurde. Erzählt wird in diesem "Alterswerk" die Geschichte eines Geschwisterpaars, das nach dem Tod des Vaters in die strenge Obhut des religiösen Stiefvaters kommt. Dieser Film stellte nach Kritikermeinung auch einen künstlerischen Höhepunkt in Bergmans Ambitionen dar, über das Medium Film die eigene Kindheit aufzuarbeiten. "Das war mein letzter Film", beschied Bergman, der sich fortan dem Fernsehen und der Theaterregie zuwandte. 1989 übernahm er die Leitung des Madame-de-Sade-Theaters, im gleichen Jahr wählte man ihn in Berlin zum Präsidenten der neu gegründeten Gesellschaft für den europäischen Film, die 1991 in Europäische Filmakademie umbenannt wurde.

Nach einer Phase der Resignation, mit der er auf die Ermordung des schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme im Februar 1986 reagierte, meldete sich Bergman als Drehbuchautor wieder zu Wort. Ende 1995 verlängerte Bergman seinen Zehnjahresvertrag als Regisseur am Königlichen Theater Stockholm nicht mehr und nahm dort im April 1996 einen grandiosen Abschied mit den "Bakchen" von Euripides. "Von den begeisterten Kritikern waren die meisten nicht bereit, an den endgültigen Abschied Bergmans vom Theater zu glauben", schrieb die Neue Zürcher Zeitung - und sie bekamen Recht: 1997 kehrte Bergman an das Stockholmer Nationaltheater zurück, um dort das neue Drama seines Landsmanns Per Olov Enquist "Die Bildmacher - Erinnerungen aus der Welt des Stummfilms" herauszubringen. Für internationale Schlagzeilen sorgte er im April 1997 mit der Ablehnung einer Einladung nach Cannes, wo er beim Filmfestival im Mai 1997 den neu gestifteten Ehrenpreis "Palme aller Goldenen Palmen" für sein filmisches Gesamtwerk hätte entgegennehmen sollen. Bergman erklärte, depressiv zu sein und nicht reisen zu können, was man in Cannes als Demütigung empfand.

Mit Standing Ovations wurde 2000 in Stockholm dann seine Interpretation von Schillers Trauerspiel "Maria Stuart" gefeiert. Ebenso begeistert nahm das Premierenpublikum 2002 die als ultimativ letzte Bergman-Inszenierung angekündigte Produktion von Ibsens "Gespenster" auf. Er hatte dieses Drama selbst übersetzt und mit Dialogen aus anderen Werken ergänzt. Nach Meinung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hinterließ er damit "ein weiteres eindrucksvolles Dokument seiner Innerlichkeit (...), gespenstisch, persönlich". Danach zog sich Bergman auf die Ostseeinsel Fårö zurück, um nur noch zu schreiben und Filme anzuschauen. Das Kino wird diesen Realisten der Innerlichkeit vermissen.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: