Zum Tod von Miriam Makeba:Gesang als Abwehrzauber

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Obamas Schwester im Geiste: Sie gab der Welt ihren Gesang und dem afrikanischen Kontinent das Bewusstsein, "Yes, we can!". Zum Tod der Weltmusikerin Miriam Makeba.

Jonathan Fischer

Gut möglich, dass Miriam Makeba noch einen Song für Barack Obama geschrieben hätte - schließlich war die Wahl eines schwarzen Präsidenten in dem Land, dass sie einst wegen ihres Einsatzes für die Bürgerrechtsbewegung zur Persona non grata erklärt hatte, eine persönliche Genugtuung.

Der erste afrikanische Superstar: Miriam Makeba. (Foto: Foto: ap)

Gut möglich auch, dass Obama die südafrikanische Sängerin zu seiner Inaugurationsfeier laden wollte. Nicht nur weil Makeba schon für seine politischen Ahnen John F. Kennedy und Nelson Mandela gesungen hatte. Sondern auch weil "Mama Afrika" die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung und die Emanzipationsbestrebungen auf dem schwarzen Kontinent kurzschloss, Miriam Makeba seit den sechziger Jahren verkörperte, wofür Obama heute bei den jubelnden afrikanischen Massen steht: dass Hautfarbe kein Stigma mehr ist.

Und dass der schwarze Atlantik, auf dem die Sklavensegler einst mit ihrer Fracht auch die Kultur Afrikas in den Westen brachten, die Menschheit mehr verbindet als trennt. Kurzum: die Hoffnung auf eine Welt. Eine Vision, die Makeba als erster afrikanischer Superstar ins Leben gerufen hatte.

Als sie 1932 in Johannesburg geboren wurde, setzte sich die Musik ihrer Umgebung schon über alle Grenzen hinweg: Die Jazzbands in den Townships mischten Elemente des amerikanischen Swing mit den Grundstrukturen des Marabi, boten afrikanische Melodien mit den Instrumenten einer westlichen Combo dar.

Die Vorbilder überflügelt

Miriam Makeba hörte ihre Vorbilder aus Taxis, Township-Clubs und Marktständen tönen: Billie Holiday, Ella Fitzgerald und natürlich Dolly Rathebe, die als heimische "Queen of the Blues" stets Marabi-Motive in ihren Gesang einflocht. Makeba sollte sie bald in den Schatten stellen.

1954 brillierte sie als Sängerin der "Manhattan Brothers", machte danach Aufnahmen mit ihrer eigenen, rein weiblichen Gesangsgruppe "Skylarks" und ging mit der "African Jazz & Variety Show" auf Tournee durch Afrika. Den Durchbruch brachte ihr die weibliche Hauptrolle in dem Musical "King Kong".

Dann ging es für sie Schlag auf Schlag: Der Anti-Apartheid-Film "Come Back Africa" brachte eine Einladung, bei den Filmfestspielen in Venedig aufzutreten. Dabei dauerte Makebas Filmdebüt gerade mal fünf Minuten. Doch das reichte, um ihren kehligen Gesang um die Welt zu schicken, der in gleichem Maße beeindruckte wie die Bilder vom Elend der schwarzen Minenarbeiter in Südafrika schockierten.

Harry Belafonte besorgte der Sängerin mit dem kindlich-großäugigen Charme ein Visum für die Vereinigten Staaten: Dort schien man nur auf sie gewartet zu haben.

Makeba sang im New Yorker "Village Vanguard Club". Trat in Fernsehstudios auf. Wurde von John F. Kennedy auf seine Geburtstagsparty geladen. Und nahm unter der Ägide von Belafonte Songs wie "Pata Pata", "Click Song" oder "Malaika" auf, die ein Quentchen Marabi-Exotik in die Pop-Arrangements mischten und zu Recht als die ersten Hits einer in den Geburtswehen liegenden Weltmusik gelten dürfen.

Lesen Sie auf Seite 2, womit Miriam Makeba ihre inneren Dämonen bekämpfte.

Doch die alten Dämonen verfolgten den Popstar auf Schritt und Tritt, einige davon politischer, einige auch persönlicher Natur. In ihrer Autobiographie schreibt sie von einer Seelenkrankheit, einem vererbten Besessenheitszustand, der ihrer Mutter erlaubt hatte, als Medium mit den Ahnengeistern zu sprechen, der sie selbst oft auf der Bühne befiel, und an dem ihre lange mit ihr auftretende Tochter Bongi zu Grunde gegangen sei.

Schon als Mädchen diente Makeba ihr Gesang als Abwehrzauber. Nach dem Tod ihres Vaters und dem Zwang, sich eine bezahlte Arbeit zu suchen, fand die Sechsjährige heraus, dass die Musik sie auf magische Weise über die Schinderei ihres Hausangestellten-Daseins und so manche Enttäuschungen hinweghob.

Und Enttäuschungen zählte sie viele: Als Schülerin dazu auserwählt für den Besuch des englischen Königs George VI. zu singen, musste sie mit ansehen, wie er mit dem Auto an ihr vorbeiraste. Ihr Lied blieb unerhört: "What a Sad Life For a Black Man". Worte, die sie nachhaltig verfolgten, als sie Jahre später ins Exil gezwungen wurde. Offensichtlich war ihre Stimme den weißen Machthabern zu prominent geworden, und sie verweigerten Makeba 1960 die Einreise, um am Begräbnis ihrer Mutter teilzunehmen.

In der Folge entwickelte sich die Sängerin zu einer der furiosesten Kritikerinnen des Apartheid-Regimes. Ihre Konzerte erinnerten an Protest-Rallyes. Und sowohl linke Popmusiker wie auch afrikanische Staatschefs, ja selbst Commandante Fidel Castro - er verlieh ihr die kubanische Ehrenbürgerschaft -, buhlten um ihre Gunst.

Dabei sah sich Makeba selbst eher als Griot denn Politikerin: "Vielleicht denkt die Welt", erklärte sie, "ich hätte es mir ausgesucht, über die Zustände in Südafrika zu berichten. Nein! Ich singe nur über mein Leben, so wie wir daheim von jeher über unser Leben singen - besonders die Dinge, die uns verletzen".

Stimme gegen das Unrecht

Ihre gescheiterten Ehen, unter anderem mit Hugh Masekela und dem radikalen Bürgerrechtler Stokely Carmichael, und der Tod ihrer Tochter setzten Makeba zu. In der Öffentlichkeit aber gab sie die Unbeugsame. Eine Kämpferin für die Unterdrückten nicht nur in Südafrika, sondern in aller Welt. Das verschaffte Makeba besonders unter afroamerikanischen Bürgerrechtlern, die gerade dabei waren, ihre afrikanischen Wurzeln zu entdecken, große Sympathien.

Doch das Establishment fürchtete die unbequeme Sängerin. Nach ihrer Heirat mit Carmichael 1968 wurde sie von Veranstaltern und Radiostationen als "Radikalen-Braut" boykottiert und wanderte notgedrungen nach Guinea aus.

Das westafrikanische Land nahm sie und Carmichael mit allen Staatsehren auf. In den nächsten 15 Jahren nahm sie von hier aus Songs über Mandela, den guineischen Präsidenten Sékou Touré und Malcolm X auf, und sprach zweimal als Sonderbotschafterin vor der UNO-Vollversammlung.

Nebenbei entwickelte Makeba in Conakry eine neue Form afrikanischer Popmusik: Traditionelle Songs und Township-Tänze wurden da mit westlichem Instrumentarium aufgemöbelt. Jazz mit Folklore vermählt. Und der Grundstein des späteren Weltmusik-Booms gelegt - alles im Geiste einer sozialistisch gefärbten afrikanischen Authenticité. So erhielt Mama Afrika als Staatsangestellte Guineas einen Monatslohn und probte jeden Tag sechs Stunden mit einheimischen Bands. Klar, dass sie auch auf Tournee durch deutsche Gewerkschaftshäuser, Ethno-Festivals wie auch die New Yorker Carnegie-Hall ihren Panafrikanismus predigte.

1990 erfüllte sich ihr Traum, als Nelson Mandela die Sängerin zur Rückkehr nach Südafrika einlud. 1998 und 2005 folgen Abschiedstourneen. Doch dann wurde Makebas Stimme gebraucht, wo auch immer ein Unrecht zu bekämpfen war. So auch am vergangenen Sonntag, als die schon von Arthritis Gezeichnete in Castel Volturno in Süditalien ein Konzert zugunsten des von der Mafia bedrohten Schriftstellers Roberto Saviano gab - und anschließend einem Herzinfarkt erlag.

Was für ein Abgang für das Mädchen aus den Townships, das zur Botschafterin eines Kontinents avancierte und schließlich nicht anders konnte, als ihre Stimme weltweit den Menschenrechten zu leihen: Afrika ist überall.

© SZ vom 11.11.2008/jb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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